Wie nachhaltig kann Tourismus wirklich sein? Wolfgang Strasdas lehrt Nachhaltiges Tourismusmanagement an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung im brandenburgischen Eberswalde. Jürgen König spricht mit ihm über Ideal und Realität des nachhaltigen Reisens.

Jürgen König: Herr Professor Strasdas, während der Coronapandemie entdeckten viele Deutsche das eigene Land als Urlaubsziel. Was ist von dieser Leidenschaft übrig geblieben?

Wolfgang Strasdas: Man hatte zwischendurch den Eindruck, als könnte das zu dauerhaften Veränderungen führen. Es war schon von »new normal« die Rede.

Aber lange angehalten hat die Begeisterung nicht …

Nein, wir sind schon 2022 fast wieder zu dem »old normal« zurückgekommen. Deutschland ist als Reiseziel wieder auf einen Anteil von knapp 25Prozent zurückgegangen wie in Vor-Corona-Zeiten.

Dabei finden doch zwei von drei Deutschen Nachhaltigkeit wichtig – auch beim Reisen.

Das ist eine Tendenz, die man seit vielen Jahren beobachten kann. Die Werte steigen immer. Es ist aber weiterhin so, dass der Anteil derjenigen, der dann tatsächlich auch nachhaltig reist, immer im niedrig einstelligen Bereich bleibt.

Bei der diesjährige ITB, der Internationalen Tourismus-Börse, schien der Begriff der Nachhaltigkeit allgegenwärtig zu sein, aber konkrete Angebote gab es nur wenige.

Ja. Die Tourismusbranche ist insgesamt sehr opportunistisch. Zumindest von den großen Konzernen gehen keine Neuerungen in Richtung Nachhaltigkeit aus. Es gab mal in den 1990er Jahren einen ersten Boom in diese Richtung. Ein paar Jahre später ist das alles in sich zusammengefallen, weil man gemerkt hat: Die Kundinnen und Kunden, die sagen, dass ihnen nachhaltiges Reisen wichtig ist, tun es de facto nicht, also macht die Branche das auch nicht.

Wo und wie wäre denn nachhaltiges Reisen möglich?

Es gibt natürlich Ausnahmen. Kleine, inhabergeführte Hotels oder auch Veranstalter, die davon überzeugt sind, dass Nachhaltigkeit wichtig ist. Studiosus ist so ein Beispiel, der größte deutsche Studienreise-Veranstalter: sehr engagierte Inhaber, die ziehen so was durch, und zwar nicht aus opportunistischen Gründen, sondern weil sie es selber wichtig finden.

Führt nachhaltiges Reisen immer zu höheren Preisen?

Ob Nachhaltigkeit immer teurer sein muss, da würde ich differenzieren. Wenn ich z. B. die Emission meines Fluges kompensiere, dann habe ich natürlich Mehrkosten, das ist ja wie eine freiwillige Selbstbesteuerung, und das ist etwas, was im Sinne des Klimaschutzes auch passieren muss. Auf der anderen Seite gibt es Nachhaltigkeit auch, indem man auf Komfort verzichtet, Stichwort Jugendherberge oder Zelten. Das ist tatsächlich nachhaltiger und umweltfreundlicher – und billiger.

Der Tourismus trägt mit etwa acht Prozent zu den globalen CO2-Emissionen bei. Die deutschen Luftverkehrsunternehmen haben sich auf das Ziel eines CO2-neutralen Flughafen- und Flugbetriebs verpflichtet: emissionsärmere Flugzeuge, nachhaltige Treibstoffe, wettbewerbsneutrale CO2-Bepreisung. Was halten Sie davon?

Das finde ich im Prinzip gut, es läuft alles unter dem Stichwort Effizienzgewinne. Was die Technik, die Treibstoffe, die Materialien von Flugzeugen, die aerodynamischen Formen angeht: Da hat es tatsächlich Fortschritte gegeben. Die sind auch im Interesse der Airlines, weil sie dadurch Kosten sparen. Das Problem ist, dass das schiere Wachstum des Flugverkehrs diese Effizienzgewinne aufgefressen hat. In einer Branche, die im Jahr ein bis zwei Prozent weniger Treibhausgase produziert, dabei aber um vier Prozent wächst, steigen die Gesamtemissionen.

Wie könnten die absoluten Zahlen sinken?

Das geht nur über die Sustainable Aviation Fuels, die nachhaltigen Luftfahrttreibstoffe. Darunter fallen aberauch Biotreibstoffe, und deren Problematik hat sich in den letzten Jahren deutlich gezeigt. Die sind zum Teil klimaschädlicher als fossile Treibstoffe. Und diese ganze Diskussion um die E-Fuels … Man braucht Unmengen von Strom, um sie herzustellen, und wenn das fossiler Strom ist, ist das total kontraproduktiv. Das heißt, damit es nachhaltig ist, muss ich tatsächlich erneuerbaren Strom nehmen, und der ist begrenzt.

Wollte man also konsequent Klimaschutz betreiben, müsste es weniger Reisen geben, insbesondere weniger Fernreisen?

Ein Großteil der Emissionen des deutschen Reiseverkehrs spielt sich im Mittelstreckenbereich ab, also zwischen 1.000 und 3.500 Kilometern. Wir haben uns an der Hochschule die 22 meistbesuchten Destinationen von Deutschen in Europa angeschaut und festgestellt: Über die Hälfte dieser Ziele erreicht man mit der Bahn auch in weniger als 24 Stunden.

Und doch wird Fliegen etwas Selbstverständliches bleiben …

Es sind eben immer noch »die schönsten Wochen des Jahres« und da möchte man sich mit sol-chen Themen nicht beschäftigen.

Sie haben die Kompensation von Flugemissionen angesprochen. Was halten Sie von Organisationen wie Atmosfair, Klima-Kollekte, Primaklima oder auch myClimate, an die man bei der Flugbuchung Geld zahlt, damit sie z. B. Aufforstungsprojekte im Regenwald finanzieren?

Das Gute an Waldprojekten ist, dass sie tatsächlich aktiv CO2 aus der Luft entziehen und binden, deswegen halte ich persönlich sehr viel davon. Ein Problem ist: Man pflanzt einen kleinen Baum – bis der groß ist, vergehen Jahrzehnte! Und das zweite potenzielle Problem ist: Wenn dieser Wald irgendwann mal abbrennt oder abgeholzt wird, dann ist das alles hinüber. Manche Kompensationsanbieter pflanzen eine Art Puffer, indem sie einfach das Doppelte und Dreifache an Wald anpflanzen. Andere ersetzen fossile Energieträger durch erneuerbare, führen Energiesparmaßnahmen durch, die es sonst nicht gegeben hätte.

Kann man solche Maßnahmen kontrollieren?

Es gibt einen Standard für diese Projekte, den sogenannten Gold Standard, und der wird wirklich sehr aufwendig überprüft.

Mit dem Schiff zu reisen ist auch keine Lösung?

Im Schiffsverkehr ist es noch viel schlimmer, was Emissionen angeht, weil dort nicht nur CO2, sondern auch noch Schwefel-Emissionen und so weiter entstehen. Auch da gibt es die Technologien, etwas zu machen, es gibt auch gewisse Fortschritte. Aber grundsätzlich ist die Schifffahrt ähnlich problematisch wie der Flugverkehr, weil es bis heute kein System gibt, mit dem man die entsprechenden Emissionen einzelnen Ländern zuordnen könnte.

Und die Wachstumsraten sind auch hier so hoch, dass die Effizienzgewinne aufgehoben werden?

Ja. Und es kommt beim Kreuzfahrttourismus hinzu, dass sehr oft auch noch Flüge eine Rolle spielen. Es ist ja nicht so, dass ich von zu Hause losgehe und in das Schiff einsteige, sondern da fliege ich irgendwo hin, steige in das Schiff ein, und wenn ich aussteige, fliege ich wieder zurück. Und: Kreuzfahrten bringen ökonomisch den Zielgebieten sehr wenig. Da gibt es immer nur die Gebühren pro Passagier, die man einnimmt, das ist aber vergleichsweise wenig. Die Multiplikatoreneffekte, die ich habe, wenn sich Touristen wirklich im Land aufhalten, die habe ich im Kreuzfahrttourismus nicht. Das sind nur einige wenige Konzerne, die das Geld verdienen. Kreuzfahrttourismus ist also in vielerlei Hinsicht problematisch.

Kommen wir noch mal auf die Fernreisen. In Sachen Klimaschutz wäre es ohne Zweifel besser, auf das Reisen zu verzichten. Für viele Länder wäre das doch aber ein echtes Problem.

Das mit den Fernreisen ist tatsächlich ein Dilemma. Das eine ist, dass ich auch glaube, dass Reisen, gerade Fernreisen, einen verändern. Dass man einen anderen Blick auf die Welt bekommt, dass man mehr Verständnis hat für bestimmte Dinge oder eigene Positionen hinterfragt.

Der zweite Punkt ist, dass Tou-rismus für viele Länder wirtschaftlich sehr wichtig ist und dort auch zum Naturschutz beiträgt. Wir haben das in der Coronakrise gesehen, dass der Tourismus z. B. in afrikanischen Ländern total eingebrochen ist und die Wilderei wieder zugenommen hat. Erst durch den Safari-Tourismus bekommen Wildtiere einen ökonomischen Wert und werden geschützt und nicht gewildert.

Tourismus schafft Arbeitsplätze.

Ja. Wir haben gerade in den Entwicklungsländern oft eine Landflucht, wo die Menschen in immer größere Megastädte gehen und dort die Slums bevölkern. Insbesondere Natur- oder Strandtourismus findet in Regionen statt, die nicht wirtschaftlich entwickelt sind. Und von daher hat in der Hinsicht der Tourismus etwas Positives. Er kann politisch wichtig sein.

Ich habe vor zehn Jahren mal in Tunesien gearbeitet. Da begann der Arabische Frühling, und wegen politischer Instabilität ist der Tourismus zusammengebrochen. Die tunesischen Kollegen haben sehr vorwurfsvoll gesagt: »Wir machen etwas, was ihr alle begrüßt. Wir haben einen Diktator verjagt, haben versucht, eine Demokratie einzuführen, und was passiert? Ihr bestraft uns, indem ihr nicht mehr herkommt, weil ihr meint, das wäre unsicher.«

Demnach wäre Tourismus demokratiefördernd?

Also mir ist keine Studie bekannt, die das belegt. Ich finde diese Annahme aber plausibel.

Vielen Dank.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 10/2023.