Die gegenwärtig zu beobachtenden Auseinandersetzungen zum Thema Gendern zeigen überdeutlich, wie ein vermeintlich nebensächlicher »Triggerpunkt« (Steffen Mau) zum Zentrum kulturpolitischer Debatten werden kann. Dabei war Sprachpolitik in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg eigentlich ein nur selten diskutiertes Thema. In ihrer Programmatik hatten die Parteien kaum einen Satz dafür übrig. Es war schließlich die AfD, die der Sprachpolitik als erste Partei in ihrem Grundsatzprogramm von 2016 größere Aufmerksamkeit zumaß und dadurch als ein Betätigungsfeld markierte. Seitdem wird dieses mit einem kontinuierlichen Strom von Anträgen, Anfragen und Gesetzesinitiativen in den Parlamenten auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene bespielt. 

Im AfD-Grundsatzprogramm werden konkrete Ziele formuliert, die der Bedeutung der deutschen Sprache Rechnung tragen sollen: die Forderung nach Aufnahme des Deutschen als Staatssprache ins Grundgesetz, die Etablierung der deutschen Sprache als immaterielles Kulturerbe, die Betonung der auswärtigen Sprachpolitik und des Status des Deutschen in der EU, der Vorrang des Deutschen an deutschen Hochschulen; schließlich auch sprachpraktische Zielsetzungen wie die Zurückdrängung des Englischen, die Ablehnung von »Sprachvorgaben«, »politischer Korrektheit« oder des Genderns.  

Mittlerweile haben auch die anderen im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien verstanden, dass sprachpolitische Themen das Potenzial besitzen, stellvertretend für weitaus größere politische Themenbereiche zu stehen und diese in verständlicher Form zugänglich zu machen. Sprachpolitik ist in allen Teilen des politischen Spektrums zu einem Querschnittsthema geworden, mit dem in beispielhafter Weise komplexe Politikbereiche erschlossen werden. In den Programmen zur Bundestagswahl 2021 etwa haben mit Ausnahme der SPD alle Parteien ihre sprachpolitische Programmatik ausgebaut – zum Teil moderat, zum Teil aber auch in erheblichem Maße wie die CDU und die Grünen. Weiterhin führt dabei die AfD hinsichtlich der Anzahl der sprachpolitischen Positionen das Feld der Parteien mit großem Abstand an. 

Exklusiv werden dabei nur wenige Positionen vertreten – Deutsch ins Grundgesetz, die Deutsch-Kompetenz medizinischen Fachpersonals und die Forderung nach mehr Deutsch in den Institutionen der EU bei der AfD, die Förderung von Sprachtechnologie als Zukunftsfeld bei der CDU. Andere Themen tauchen bei dieser Wahl das erste Mal in mehreren Programmen auf: Dass nicht nur der Islamunterricht selbst, sondern auch die islamkundliche Ausbildung der Lehrkräfte und Imame in deutscher Sprache zu erfolgen habe, fordern AfD und CDU. Das Thema Leichte Sprache wird eher ablehnend von der AfD aufgegriffen, deutlich befürwortend von den Grünen und der Linken. Zur Rolle der deutschen Sprache bei der Qualifikation für den Arbeitsmarkt äußern sich CDU und FDP in ihren Wahlprogrammen.  

Die Schwerpunkte sprachpolitischer Positionierungen liegen jedoch in anderen Bereichen. Alle im Bundestag vertretenen Parteien beschreiben ihre Positionen zu sprachlicher Integration in der Folge von Migration, besonders ausführlich die CDU und die Grünen, und auch das Thema der sprachlichen Bildung wird von diesen beiden Parteien großgeschrieben. Eine ganze Liste von Zielen und Maßnahmen zur sprachlichen Bildung finden sich etwa bei der CDU in einem bildungspolitischen Abschnitt. Auch AfD, FDP und die Linke bekennen sich explizit zu sprachlicher Bildung, die AfD bei dieser Wahl erstmals in ihrer sprachpolitischen Programmatik.  

Die zentrale Frage bei der Betrachtung dieser Entwicklung ist die, warum die AfD die deutsche Sprache zu ihrem politischen Anliegen gewählt hat und damit so erfolgreich Sprachpolitik auf die politische Agenda setzen konnte. Ist der AfD so sehr an der deutschen Sprache gelegen, dass sie ganz uneigennützig diese als ein Kulturgut schützen und fördern möchte?  

Die AfD selbst gibt an verschiedenen Stellen eine Antwort auf diese Frage: Es ist der Zusammenhang zwischen Sprache, Kultur und Identität, der sie antreibt. »Kultur ist (…) die zentrale Klammer, in der sich auch ein neues Politikverständnis sehen muss. Unser aller Identität ist vorrangig kulturell determiniert«, heißt es etwa in der Präambel zu dem in dieser Hinsicht zentralen siebten Kapitel »Kultur, Sprache und Identität« des Grundsatzprogramms. Kultur bestimme die gemeinsame Identität, und die deutsche Sprache sei ein wesentlicher Teil davon, wie es in diesem Kapitel weiter heißt: »Unsere Kultur ist untrennbar verbunden mit der über Jahrhunderte gewachsenen deutschen Sprache. Diese spiegelt auf vielfältigste Weise die Geistesgeschichte, das Selbstverständnis dieses Raumes in der Mitte Europas und die Werthaltungen der Deutschen wider (…).« 

Bereits zuvor wurde im Programm ausgeführt, worin die Bedrohung einer so verstandenen Kultur besteht: »Die Ideologie des Multikulturalismus, die importierte kulturelle Strömungen auf geschichtsblinde Weise der einheimischen Kultur gleichstellt und deren Werte damit zutiefst relativiert, betrachtet die AfD als ernste Bedrohung für den sozialen Frieden und für den Fortbestand der Nation als kultu-relle Einheit.« 

Sprache ist danach nicht einfach nur ein Kommunikationsmittel, sondern kodiert und bewahrt eine kulturelle Prägung. Das »Selbstverständnis« des »Raumes in der Mitte Europas« und die »Werthaltungen der Deutschen«, wie es die AfD schreibt, bilden zusammen mit der deutschen Sprache nach dieser Auffassung zwei Seiten ein und derselben Medaille. Im Umkehrschluss bedeutet dies aber auch, dass man die deutsche Kultur nur erfassen kann, wenn man außer der Sprache auch das besagte Selbstverständnis und die Werthaltungen teilt. Sprache allein genügt also nicht, um der deutschen Eigentlichkeit teilhaftig zu werden. In einer Zeit, in der Begriffe wie »Nation« oder »Volk« (und erst recht »Rasse«) verdächtig geworden sind, erweist sich ein in dieser Weise ethnokulturell aufgeladener Sprachbegriff somit als geeignet, eine gesellschaftspolitisch als notwendig angesehene Distinktionsfunktion zu übernehmen. 

Die sprachpolitischen Positionen in ihrem Grundsatzprogramm bieten der AfD somit die Möglichkeit, ein allseits als wichtig angesehenes und positiv bewertetes Thema zu besetzen und dabei mit ihren allgemeinpolitischen Positionen zu verknüpfen – die Ablehnung des Genderns etwa mit Wertvorstellungen zu Familie und Gesellschaft, Sprachförderung mit Einwanderungs- und Gesellschaftspolitik oder die Forderung nach Stärkung des Deutschen in den europäischen Institutionen mit einem ablehnenden Blick auf die EU. Das Thema der deutschen Sprache wird auf diese Weise zu einem Vehikel, um darüber hinausgehende politische Positionen wie mit einem Trojanischen Pferd weit hineinzutragen in die Mitte der Gesellschaft.  

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 2/2024.