1880 veröffentlichte Konrad Duden erstmals ein Vollständiges Orthographisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Heute gilt der Duden nicht nur als Marke der deutschen Sprache, sondern bildet die Grundlage einer einheitlichen deutschen Rechtschreibung. Politik & Kultur spricht mit Kathrin Kunkel-Razum, die seit 1997 Redakteurin im Dudenverlag ist und seit 2016 die Dudenredaktion leitet. 

 

Wie kommt ein neues Wort ins Duden-Wörterbuch?  

Die meisten Neuaufnahmen ermitteln wir durch die Analyse des Dudenkorpus. Das ist eine Art digitale Bibliothek, in der wir Tages- und Wochenzeitungen, Zeitschriften, aber auch Sach- und Fachtexte, populärwissenschaftliche Texte, Romane und Ähnliches sammeln. Diese Sammlung umfasst derzeit etwa 6,7 Milliarden laufende Wortformen, ein bestimmtes Wort wie »Jahr«, »arbeiten«, »singen« tritt also mehrfach und in unterschiedlichen Formen (»Jahre«, »arbeitete«, »sang« …) auf. Insgesamt sind etwa 20 Millionen unterschiedliche Wörter enthalten. Diese Sammlung wächst ständig, und wir durchforsten sie mit computerlinguistischen Hilfsmitteln regelmäßig nach den am häufigsten belegten neuen Wörtern. Diese müssen aber weiteren Kriterien entsprechen – sie sollen über einen längeren Zeitraum vertreten, also keine Eintagsfliegen, und keine Individualbildungen eines Autors bzw. einer Autorin sein sowie möglichst in unterschiedlichen Textsorten auftreten. Aus dieser – zunächst maschinell erzeugten – Sammlung wählen wir dann in der Redaktion die Neuaufnahmen für den Rechtschreibduden oder für Duden online aus. 

 

Was kennzeichnet Ihre Arbeit in der Duden-Wörterbuchredaktion? Wie sieht ein typischer Arbeitstag aus?  

Unsere Arbeitstage sind sehr vielfältig. Zunächst einmal werden sie gefüllt durch viele Managementaufgaben, dazu gehört z. B. die Programmplanung. Wir legen also in Abstimmung mit anderen Abteilungen des Verlags wie Vertrieb und Marketing fest, wann welches (Wörter-)Buch neu aufgelegt oder auch neu entwickelt wird und welche Kapazitäten dafür benötigt werden. Das gilt für Print- und digitale Titel gleichermaßen. Natürlich sind wir auch immer auf der Suche nach neuen Themen, die mit Sprache und ihrer Entwicklung zu tun haben, und nach Menschen, die diese Bücher zusammen mit uns erarbeiten möchten. Dann wird die wirtschaftliche Seite des Programms beleuchtet, die Titel werden kalkuliert. Wir arbeiten aber auch selbst redaktionell, schreiben also Artikel oder lektorieren Werke. Und einen beachtlichen Teil unserer Arbeitszeit nimmt die Öffentlichkeitsarbeit ein – wir beantworten Fragen der Journalistinnen und Journalisten, halten Vorträge, besuchen Konferenzen und Tagungen – natürlich auch zur eigenen fachlichen Weiterbildung. Oft bringen die Tage Überraschendes mit sich: Gerade wenn die Presse sich meldet, heißt es schnell zu recherchieren und zu informieren. Und wir arbeiten in vielen Gremien mit, so z. B. im Rat für deutsche Rechtschreibung, im Ständigen Ausschuss für geographische Namen, in verschiedenen DIN-Ausschüssen.  

 

In jüngster Vergangenheit sind bei Duden zahlreiche thematisch gebundene Wörterbücher erschienen. Beispiele reichen von »Vielfalt: das andere Wörterbuch« über »Sächsisch« bis zu »Sprachschätze: Mode und Beauty«. Was ist der Mehrwert? 

Sprache interessiert und fasziniert die Menschen, das erleben wir jeden Tag: Sie ist vielfältig, sie entwickelt sich, sie ist Teil der Identität eines Menschen. Sie ist so viel mehr als das, was wir zwischen den beiden gelben Buchdeckeln des Rechtschreibdudens abbilden können. Darum gibt es so viele Themen, unter denen man die Sprache und ihre Entwicklung betrachten kann und auch so viele Modi: sachlich, spielerisch, emotional, aktuell, historisch … Dialekte beispielsweise vermitteln uns ein Heimatgefühl, sie haben manchmal präzisere Wörter für Gegenstände oder auch für Gefühle als die Standardsprache und sie zeugen von Zugehörigkeit. Deshalb legen wir eine Dialektreihe auf, deren Titel aber nicht klassische Wörterbücher sind, sondern in denen die Autorinnen und Autoren von den Besonderheiten des Plattdeutschen, Hessischen, Wienerischen, Bairischen, Sächsischen oder von Ruhrdeutsch erzählen. Weitere Bände sind in Vorbereitung, so zum Pfälzischen, Badischen, Schwäbischen, Fränkischen, Berlinischen und auch zum Luxemburgischen, wiewohl das natürlich kein Dialekt ist. 

Auf der anderen Seite gibt es viele aktuelle Entwicklungen, die sich in der Sprache manifestieren: Wir beobachten eine viel stärkere Entwicklung, eine Ausdifferenzierung unterschiedlicher Lebensentwürfe. Die Anerkennung dieser Vielfalt muss zum Teil auch erkämpft werden, und all dies geschieht durch und mit Sprache. Viele neue Wörter entstehen, und da der Rechtschreibduden ja nur alle drei bis vier Jahre neu erscheint, haben wir den Band »Vielfalt« veröffentlicht – ein aktuelles Wörterbuch mit 100 Diversity-Stichwörtern, erklärt von 100 Schreibenden. Dieses Buch findet so große Resonanz, weil es neue Wörter ausführlicher erklärt, als es das klassische Wörterbuch kann, und es lebt auch von dem Kontrast zwischen der Duden-Definition zu jedem Stichwort und dem individuellen Blick der jeweiligen Autorin, des Autors auf das Wort.  

Und Bücher nimmt man gern als Geschenk mit, zu Weihnachten, zum Geburtstag, zu einer Party. Daraus resultierte die Idee zu der Sprachschätze-Reihe: Basierend auf Artikeln aus dem Duden-Herkunftswörterbuch ordnen wir hier Wörter beispielsweise aus der Mode historisch ein, zeigen ihre Wurzeln und ihre Entwicklung auf. Versehen mit schönen Illustrationen und schön gestaltet sind so Duden-Geschenkbücher entstanden. 

 

Inwieweit ist das Duden-Wörterbuch heute noch eine Instanz der deutschen Sprache?  

Selbstverständlich ist Duden auch heute noch eine Instanz. Er wird millionenfach, besonders auch in der digitalen Form, konsultiert, wenn es um die richtige Schreibung, die Aussprache oder die Bedeutung geht. Die Nutzerinnen und Nutzer setzen sich mit dem, was wir festhalten, auseinander, bestätigen es oder melden Kritik an. Jeden Tag erhalten wir Belege zur Funktion von Duden-Bedeutungswörterbüchern als Referenz, beispielsweise in Zeitungsartikeln. Und nicht zuletzt werden in »Wer wird Millionär«-Fragen zum Duden gestellt, z. B. danach, welches Wort noch nicht im Duden steht – das ist immer wieder bewegend auch für uns.  

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 2/2024.