Jugendsprache gilt immer noch und immer wieder als Stein des Anstoßes, der Verständigungsprobleme zwischen den Generationen und negative Einflüsse auf die Allgemeinsprache auslöse. Zugleich wirkt Jugendsprache aber auch als ein Faszinosum und als Attraktion, vor allem auf dem Markt der Jugend- und Szenewörterbücher. In Familie, Schule und Jugendarbeit herrscht Informations- und Aufklärungsbedarf im Hinblick auf den Umgang mit Jugendsprache bei Kindern und Jugendlichen im Spektrum zwischen Akzeptanz, Duldung und Abwehr. In den Sprach- und Kulturwissenschaften werden die oben genannten Lesarten von Jugendsprache als mediale Konstruktionen kritisiert. Die linguistische Jugendsprachforschung charakterisiert die unterschiedlichen Sprachgebrauchsweisen von Jugendlichen als ein Variationsspektrum und Ensemble subkultureller Sprachstile. 

Und die Jugendlichen selbst? Sie scheinen von der Existenz einer eigenen Jugendsprache fest überzeugt, nutzen sie in ihren Gruppen und Szenen, vergnügen sich am Spiel mit Sprache und an der Abwandlung von Gewohntem und setzen die Wirkung eines solchen Sprachgebrauchs oft bewusst ein. 

An der Bergischen Universität Wuppertal haben wir eine Reihe von Forschungsprojekten durchgeführt, darunter zwei DFG-geförderte zur deutschen Schülersprache im Jahr 2016 und zum Umgang mit Höflichkeit bei Jugendlichen 2020. Dabei konnten wir manche öffentliche Vorurteile über Jugendsprache widerlegen, wie z. B. Sprach- und Dialogunfähigkeit von Jugendlichen, Jugendsprache als Symptom für »Sprachverfall« und Jugendsprache als Fäkalsprache, Comicsprache, Denglisch, Türkendeutsch. 

Als Auslösefaktoren für wissenschaftliche Analysen werden oft »Jugendprobleme« geltend gemacht, die sich allerdings meist als verschleierte Gesellschaftsprobleme erweisen, wie z. B. die Jugendbewegungen der 1968 und der 1980er Jahre. Diese können daher auch als Indikatoren gesellschaftspolitischer Konflikte gesehen werden. In der Öffentlichkeit herrscht weithin eine Perspektivenverengung auf die Kritik an Umgangsformen und sprachlichen Ausdrucksweisen von Jugendlichen vor.  

 

Demgegenüber halten wir mit unserer Forschung für weiterführend: 

 

  • eine zeitdiagnostische Analyse des Sprachgebrauchs Jugendlicher im Hinblick auf die jeweils vorherrschenden kulturellen Normvorstellungen, wobei sich die Jugendlichen eben auch als »Kinder ihrer Zeit« und Jugendsprachen auch als Spiegel der Zeit erweisen, 
  • die Berücksichtigung des kulturellen Wandels von Generationsdifferenzen, die kultursoziologischen Analysen zufolge zunehmend im Schwinden begriffen sind, 
  • die Unterscheidung von Jugend und Jugendlichkeit als Prestigephänomen, das durch Medien und Werbung als Promotoren des kulturellen und sprachlichen Wandels auch die Wirkung von Jugendsprache befördert bis hin zu den medialen Konstruktionen eines »Doing Youth«.  

 

Jugendsprachen als Spiegel der Zeit 

Eine zeitdiagnostische Perspektive auf Jugendsprachen kommt kaum in den Blick, wenn man sich vorschnell auf die zumeist erfundenen »Jugendwörter des Jahres« bezieht, die alljährlich von einem Verlag ausgelobt werden. In der Lexik spiegelt sich zwar der sprachlich-kulturelle Wandel besonders deutlich wider. Dies erkennt man schon in Wortbildungen in der Geschichte der Jugendsprachen, so in den historischen deutschen Studentensprachen vom 17. bis 19. Jahrhundert und der deutschen Nachkriegszeit ab 1945. In der »Teenagersprache« der 1960er Jahre wurde z. B. auf zeitgenössische Entwicklungen oft ironisch-abwertend Bezug genommen – z. B. »Illusionsbunker« für Kino, »Schlaglochsucher« für Kleinwagen. Ähnliches findet sich heute im Bereich Mode und Konsum. 

Beispiele finden sich aber auch in der Pragmatik, wie wir mit unseren Studien zur sprachlichen Höflichkeit belegen können. Obwohl Jugendliche in den öffentlichen Diskussionen als zunehmend unhöflich betrachtet werden, zeigt sich pragmatisch wie metapragmatisch ein anderes Bild: Demnach kennen Jugendliche durchaus die üblichen Formeln derzeitiger konventioneller Höflichkeit – »Siezen, gewählte Ausdrucksweise« – und vermögen diese zu ironisieren z. B. »Würden Sie mir ein Gläschen Wein reichen?«. Sie verwenden diese aber normalerweise nicht untereinander, sondern eher adressatenspezifisch gegenüber Erwachsenen. Intragenerationell praktizieren Jugendliche im Rahmen von Scherzkommunikation eine »mock politeness«, d. h. Ausdrucksformen, die von Erwachsenen als Beleidigungen aufgefasst werden können – z. B. »wir benutzen das Wort Opfer oder Dödel, aber nur zum Spaß«. 

 

Jugendsprache als Faktor des Sprachwandels 

Der rasche Wandel der Jugendsprachen gilt seit ihrer Entdeckung als eines ihrer Hauptmerkmale. Die linguistische Jugendsprachforschung setzt diesen in einen größeren Kontext rekursiver Prozesse von Stilbildung, Stilverbreitung und Stilauslöschung (2018). Im Bestreben nach Abgrenzung und Identifikation bemühen sich Jugendliche ständig um neue eigene Ausdrucksweisen – »Unsere Sprache ist die Zukunft, und da kann keiner was dran ändern, denn jede Generation hat ihren Teil zur deutschen Sprache beigetragen«. Die Möglichkeiten der Bildung einer neuen Sprache sind allerdings begrenzt. Daher prägen Jugendliche – übrigens regelgerecht – neue Wortformen im Deutschen, z. B. »Tussi« aus »Tusnelda«, »Proll« aus »Proletarier«, verändern ursprüngliche Bedeutungen (z. B. »geil«, »Braut«) oder greifen zu Anglizismen (z. B. »chillen«).  

Im Zuge der Stilverbreitung werden solche Ausdrucksformen, denen das Sozialprestige der Jugendlichkeit zugeschrieben wird, vermittelt über Werbung und Medien von der Öffentlichkeit verwendet und verlieren so ihre Funktion der Distinktion und Identifikation: »nerven … das sagt meine Mutter schon, voll peinlich«. Ein Beleg für diese Prozesse ist die kontinuierliche Aufnahme ursprünglich jugendsprachlicher Wörter in die allgemeinen Wörterbücher des Deutschen, zunächst mit der Markierung >jugendsprachlich<, bald schon unmarkiert. Der Kreislauf von Neubildung, Übernahme und Verlust setzt sich fort. 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 2/2024.