In Deutschland sind Nordfriesisch, Saterländisch, Dänisch, Obersorbisch, Niedersorbisch und Romanes als Minderheitensprachen anerkannt, seit 1994 auch Plattdeutsch. Dieser Artikel wird sich hauptsächlich auf die sorbischen Sprachen beschränken. Mutatis mutandis haben die Aussagen aber grundsätzlich auch für andere Minderheiten Gültigkeit. 

Unter Minderheitensprachen versteht man Sprachen, die innerhalb eines Staates – zumeist auf eine bestimmte Region beschränkt – von einer Minderheit gesprochen werden. Da Sprache Kulturträger ist und wesentlich für die Identität ihrer Träger, sind Minderheitensprachen oft bedroht, weil ihre Träger gezwungen sind, auch die Sprache der Mehrheit zu beherrschen, während dies andersherum nicht gilt. Sprachen von Zuwanderern und Dialekte gelten nicht als Minderheitensprachen. 

Der Verbreitungsraum des Sorbischen reichte im 8./9. Jahrhundert von Franken bis Niederschlesien, im Norden schlossen sich bis an die Ostsee andere slawische Sprachen an, von denen jetzt nur noch Ortsnamen zeugen. Die letzten Reste verschwanden im sogenannten Hannoverschen Wendland um Lüchow-Dannenberg Ende des 18. Jahrhunderts. Auch das sorbische Sprachgebiet ist stark geschwunden, und so sind die sorbischen Sprachen jetzt auf Teile der Ober- und Niederlausitz beschränkt und auch da weiter im Rückgang befindlich. 

Minderheiten in Deutschland sind Bekenntnisminderheiten, d. h. die Zugehörigkeit wird durch ein nicht formales Bekenntnis ausgedrückt, welches weder überprüft noch hinterfragt werden darf. Das macht es bereits fast unmöglich, einigermaßen verlässlich festzustellen, wie viele Angehörige eine Minderheit überhaupt hat, und so unterscheiden sich die Schätzungen sehr stark. Z. B. ging Vogt in seiner Untersuchung über die sorbische Zivilgesellschaft 2009 von der Anzahl der Schüler aus, die Sorbischunterricht erhalten, und ermittelte die statistische Anzahl von zugehörigen Elternteilen, bei denen er davon ausging, dass sie dem Sorbischen gegenüber positiv eingestellt sind. Diese Zahl nahm er hilfsweise als Anzahl der Sorben an und kam auf ca. 20.000. Offensichtlich ist das sehr optimistisch, und wäre so, als nähme man z. B. die Anzahl der Kinder, die freiwilligen Spanischunterricht besuchen, um abzuschätzen, wie viele Spanier in Deutschland leben. Aber verlässliche Zahlen gibt es eben nicht. 

Eine völlig andere Frage ist, wie viele Sprecher eine Minderheitensprache hat. Zum einen ist das Bekenntnis zu einer Minderheit ja nicht von der Sprachbeherrschung abhängig, zum anderen ist nicht wirklich klar, wer als Sprecher einer Minderheitensprache betrachtet werden kann. Während man bei einer Staatssprache davon ausgeht, dass ein Muttersprachler die Sprache mehr oder weniger vollständig beherrscht, ist dies bei einer Minderheitensprache nicht der Fall, denn oft spricht nur ein Elternteil oder nur die Großeltern sprechen gelegentlich Sorbisch mit dem Kind, das dann, obwohl technisch gesehen Muttersprachler, oft nicht wirklich fließend sprechen kann, von Lesen oder Schreiben ganz zu schweigen. Somit bleibt nicht nur unklar, wie viele Sprecher es gibt, sondern auch, was sie können. Das wäre aber die Voraussetzung für die Konzipierung wirksamer Spracherhaltungsmaßnahmen, denn man muss ja bei den vorhandenen Kompetenzen ansetzen. Leider sind gerade die politischen Vertreter der Minderheit hier wenig nützlich, da sie gewöhnlich glauben, ihre Stimme habe mehr Gewicht und die Minderheit werde umso besser und effektiver gefördert, je größer sie in der Öffentlichkeit erscheint. Das Gegenteil ist aber der Fall. Je kleiner die Sprachminderheit ist, umso mehr muss durch Förderung gestützt werden. 

Diskriminierung im Alltag gehört nach wie vor zum täglichen Leben eines Sorben. Die meisten dieser Fälle kommen kaum an die Öffentlichkeit, sei es, dass der deutsche Chef dem sorbischen Lehrling verbietet, mit seinen Eltern auf Sorbisch zu telefonieren, oder dass der sorbischen Kellnerin verboten wird, sorbische Gäste auf Sorbisch zu bedienen. Auch der Autor dieser Zeilen musste seinerzeit die Beine in die Hand nehmen, um sich vor einer Gruppe Jugendlicher in Sicherheit zu bringen, als er in Königswartha auf der Straße Sorbisch sprach. Häufig reagiert man auf solche Erlebnisse mit stillem Zähneknirschen oder mit Resignation. Man spricht nur noch in geschützter Atmosphäre Sorbisch, in der Familie oder mit Freunden, in der Öffentlichkeit vielleicht lieber nicht. 

Außer dieser offenen Diskriminierung gibt es strukturelle Diskriminierung. So ist es nicht einmal an der Universität Leipzig, der einzigen Universität in Deutschland – und weltweit – mit kompletter Sorabistik-Ausbildung (so heißt die Sorbenkunde offiziell), möglich, an den Anzeigetafeln sorbische Zeichen auszugeben. Namen der Mitarbeiter haben dann kleine Quadrate anstatt Buchstaben, sorbischsprachige Ankündigungen für sorbischsprachige Veranstaltungen sind nicht möglich. Die Sprache bleibt unsichtbar. Im offiziellen sorbischen Sprachgebiet gibt es zwar zweisprachige Beschilderung, aber auch die ist zumeist auf Orts- und Straßennamen beschränkt und fehlerhaft. 

Ebenso gehört es zum sorbischen Alltag, dass man mit einem für Deutschland eingerichteten Computer oder Handy nicht einfach auch Sorbisch schreiben kann. Natürlich kann man, wenn es der eigene Computer ist, zusätzliche Tools installieren, die das ermöglichen, aber bei allen diesen Erfahrungen bleibt der Eindruck, dass man als Sorbe eben doch nicht dazugehört. 

Ganz gehört man erst dazu, wenn man kein Sorbisch mehr spricht. Und so sprechen auch heute noch viele sorbischsprachige Eltern mit ihren Kindern Deutsch; wenn der Ehepartner Deutscher ist, ist das fast ausnahmslos der Fall. Quantität wirkt sich aber auf die Qualität aus. Kinder, die mit Sorbisch aufwachsen, haben heute weniger sorbischsprachige Gleichaltrige, dafür aber jede Menge deutsches Fernsehen und Computerspiele. Hier müssten die Kindergärten und Schulen wirksam dem Sprachzerfall gegensteuern, aber sprachkompetente Kindergärtner und Lehrer sind Mangelware, und die Lehrpläne für Sorbisch müssen im Wesentlichen in das Korsett für Deutsch passen, man bräuchte aber viel mehr Stunden und vor allem auch den verpönten Grammatikunterricht, nicht nur, um die fehlende Sprachpraxis auszugleichen. Das Sorbische hat nun mal sieben Fälle und drei Numeri – es gibt neben Singular und Plural auch einen Dual –, der Formen- und Ausdrucksreichtum muss geübt und praktiziert werden, sonst geht er verloren und mit ihm die Sprache. 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 2/2024.