Ötzi stieg vor über 5000 Jahren mit einer Gürteltasche und einer Rückentrage auf die Berge, darin neben Werkzeugen, Waffen und Medikamenten ein Glutbehälter für das lebensrettende Feuer. An Kleidung hatte er nur die Felle, die er auf dem Leib trug. Hannibal zog 3000 Jahre später mit Elefanten und großer Kriegs- und persönlicher Ausrüstung über die Alpen, in den Krieg gegen Rom. Nomaden schleppen bis heute ihre Habseligkeiten zu Fuß, auf Pferden, Eseln, Ochsen, Kamelen oder Karren. Herrscher und Herrschaften hatten dafür Träger, so wie heute die Massen an Mount-Everest-Touristen Sherpas, die gelegentlich für sie ihr Leben riskieren.

Der Zweck der Reise, die Art des Reisens, die Transportmittel und auch die gesellschaftlichen Verhältnisse spiegelten sich schon immer auch im Reisegepäck wider. Einer der ältesten erhaltenen Koffer stammt aus dem Grab Tutanchamuns. Er diente dem ägyptischen Pharao, gefüllt mit edlen Schätzen, vermutlich für die Reise ins Jenseits. Die alten Römer und Griechen reisten mit hölzernen, mit Kupfer beschlagenen Truhen, je nach Wohlstand ihrer Besitzer auch mit Ornamenten aus Edelmetallen oder Elfenbein verziert. Auch im Mittelalter und bis in die Neuzeit waren Truhen, meist gewölbt, damit das Regenwasser ablaufen konnte, das bevorzugte Aufbewahrungsmittel für all das, was man mit sich führte. Den Wikingern dienten sie auf langen Seereisen sogar als Schlafplatz. Für die große Fahrt nahmen Wohlhabende in Schrankkoffern oft ihre gesamte Garderobe mit und Weiteres, was das Leben unterwegs angenehm macht.

Als mit der industriellen Revolution durch Eisenbahn, Dampfschiffe, später Autos und Urlauberjets das Reisen demokratisiert und popularisiert wurde, entwickelten Louis Vuitton und andere erst flache, stapelbare Truhen, dann Koffer als moderne Gepäckbehälter, die auch ohne Diener bewegt werden konnten. Im ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz zeugt ein großes Lager voller Koffer mit den Namen der früheren Besitzer darauf von der letzten »Reise« von Millionen Opfern der Nationalsozialisten in die Vernichtung in den Gaskammern. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Italien Sehnsuchtsort vieler Westdeutscher. Mit Campingausrüstung, Kind und Kegel querten sie in voll beladenen Autos die Alpen gen Süden, dem Strandurlaub entgegen. Goethe hatte einst für seine Kulturreise nach Arkadien noch Wochen und Monate gebraucht, mit Reisekisten auf der Kutsche. Mit dem aufkommenden Massentourismus und der Kommerzialisierung des Reisens wurde dann auch das Gepäck standardisiert, damit es in die Reisebusse, Flugzeuge und Autos passte.

Meine Eltern besaßen einen riesigen grünen Koffer. Den schickten sie mit der Bahn voraus, wenn sie mit uns fünf Kindern im Sommer zunächst nach Holland ans Meer, später in die Schweizer Berge aufbrachen. Darin Kleidung für die ganze Familie, Wanderschuhe, Spiele und Reiselektüre. Als ich mit den Pfadfindern ins Zeltlager durfte, verstaute ich meine Sachen in einem Rucksack, »Affe« genannt, weil er auf der Vorderseite eine Art Pelz hatte. An Bändern und Ösen konnte ich Schlafsack, Luftmatratze, Feldflasche und Schuhe befestigen, so wie vordem Wandersleute und Soldaten. Als ich nach dem Abitur mit drei Freunden in einem uralten Käfer durch Frankreich fuhr, war das Gepäck knapp bemessen: Zelt, Schlafsäcke, Kochausrüstung und Vorräte kamen in das Abteil hinter der Rückbank. Und da unter der Vorderhaube nur wenig Platz war, durfte jeder nur eine kleine Tasche mit zwei T-Shirts, drei Unterhosen, Socken, einer Hose zum Wechseln und Waschzeug mitnehmen – dazu »Rei in der Tube«. Für spätere Fernreisen und Trekkingtouren schaffte ich mir verschiedene Rucksäcke, voluminöse Reisetaschen und Koffer an, von denen die meisten längst das Zeitliche gesegnet haben. Heute reise ich wie viele mit Rollkoffer oder bei kürzeren Fahrten mit einer kleinen Tasche und einem Rucksack für Laptop und persönlichen Bedarf. Das Rattern der rollbaren Koffer ist vor allem in großen Städten, aber auch kleineren Urlaubsorten zum Schrecken Einheimischer geworden, zeugt es doch vom Einfall der modernen Nomaden.

Als Reisen noch Luxus Reicher und Abenteuerlustiger war, reisten sie mit Kisten und Kasten, in Postkutschen, auf Dampfern und in Schlafwagen der ersten Eisenbahnen. Seeleute griffen zum Seesack, Reiter verstauten ihr Gepäck in Satteltaschen, Ärmere begnügten sich mit Pappkoffern und Reisebündeln. Der Massentourismus brachte auch hier einen Wandel: vom Leder- zum Schalenkoffer mit Rädern, vereinheitlicht wie die Reiseprogramme und -ziele, sodass man am Gepäckband am Flughafen aufpassen muss, nicht zum falschen zu greifen. In den 1950er und 1960er Jahren zeugten Aufkleber auf den Koffern stolz von den Orten, die man schon bereist hatte. Heute verbreitet man das stattdessen in den sozialen Medien.

Gepäck muss in der Neuzeit vor allem eines sein: praktisch, leicht, schnell zu verstauen. Und während die einen sich immer noch mit mehreren Koffern und Taschen in den Zug oder den halben Hausstand für den Urlaub in und auf ihr Auto, den Camper oder das Fahrrad quetschen, fliegen die anderen wegen des Kofferchaos an den Flughäfen und den immer höheren Zusatzpreisen der Billigflieger nur noch mit Handgepäck. Den Rest kann man ja, das nötige Geld vorausgesetzt, am Urlaubsziel erwerben. Und im Sommerurlaub braucht es eh nicht so viel an Kleidung.

Für das Wichtigste auf Reisen benötigt man sowieso kein Gepäck: Neugier, Weltoffenheit und Interesse an Land, Leuten und Kultur. Wie werden wir und unsere Nachfahren in Zukunft reisen? Nur noch mit Kreditkarte, Apps oder aus ökologischen und Klimagründen lediglich digital – ohne Gepäck, ohne persönliche Erfahrungen und Eindrücke als wichtigstes Souvenir?

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 10/2023.