Über das Museum der Zukunft kann man auf viele Arten nachdenken. Sicher ist nur, dass darüber nachgedacht werden muss. Denn seit in den 1970er Jahren viele der bis heute wirksamen Diskurse ihre Ausprägung gefunden haben, wird über Öffnung, Partizipation und Inklusion debattiert, neue Schlagworte wie Diversität, Digitalität und Nachhaltigkeit kommen laufend hinzu. Natürlich gibt es herausragende Initiativen, die tief in diese Themen vorgedrungen sind, und Häuser, die weiter sind als andere. Blickt man auf die Debatten der letzten Jahrzehnte, hat sich aber auch immer wieder gezeigt, dass alle diese Diskurse eine zutiefst dialektische Qualität haben: Indem sie immer und immer wieder adressiert werden, üben sie keineswegs eine zwingende Macht auf das Denken von Akteuren aus, sondern dienen oftmals eher der Entlastung von konkretem Handeln. 

Auf jeden Fall hat die immer schnellere Folge existenzieller Krisen die Zwänge zum Nachdenken und Handeln dramatisch erhöht. Nach zahllosen politischen Verwerfungen sind Museen vor allem von der Pandemie hart getroffen worden. Lange Schließzeiten und scharfe Restriktionen haben sowohl in der Mitarbeiterschaft als auch beim Publikum tiefe Spuren hinterlassen. Und kaum hat die pandemische Lage zu einem labilen Gleichgewicht gefunden, steht mit dem Krieg in der Ukraine und der Energiekrise bereits die nächste Infragestellung vor der Tür, von potenziellen Rezessionen und absehbar klammen Kassen ganz zu schweigen. Auch den Konservativsten wird nun langsam dräuen, dass eine schlichte Rückkehr zum Status quo ante kaum ein Weg sein kann. Ein Nachdenken über das Museum der Zukunft kann deutlich besser an der Vision eines Danach ansetzen und die schillernde Vorsilbe »Post« ins Zentrum stellen. 

Die Vorsilbe Post steht momentan vor allem im Zentrum von Debatten über das Postkoloniale, das auf eine bewusste Dekonstruktion kolonialer Sichtweisen und impliziter Herrschaftsstrukturen zielt und Museen einen schonungslos transparenten Umgang mit ihren Sammlungen abverlangt. Post meint hier tatsächlich ein zutiefst oppositionelles Danach. Eine etwas andere Konnotation hat Post hingegen im Begriff des Postdigitalen. Von Nicholas Negroponte in den späten 1990er Jahren in die Debatte eingebracht, umreißt der Begriff die gesellschaftlichen Auswirkungen und Implikationen der Digitalisierung. Post meint hier nicht die Nachfolge oder Kritik des Digitalen, sondern den Zustand, nachdem Digitalität zu einer Selbstverständlichkeit in allen gesellschaftlichen Feldern geworden ist. Tatsächlich ist diese Ausprägung von Post für die Ausrichtung von Museen bereits vielfach fruchtbar gemacht worden, in dieser Richtung kann man sinnvoll weiterdenken. 

So wird das Museum der Zukunft zweifellos ein postpartizipatives sein. Post auch hier nicht im Sinne einer Überwindung von Partizipation, sondern der selbstverständlichen Integration von Offenheit und Beteiligung in die Strukturen von Museen. Léontine Meijer-van Mensch hat diesen Punkt erst kürzlich mit Blick auf postkoloniale Debatten und ethnologische Museen deutlich gemacht: Es geht nicht mehr darum, ob Museen zur Öffnung bereit sind, inzwischen fordern Communities ihr Recht auf Teilhabe und Mitarbeit aktiv ein. Und genau auf derselben Linie bewegt sich auch das Postdigitale, da der Kern der digitalen Transformation eben nicht im verstärkten Einsatz von digitalen Technologien besteht, sondern in einer neuartigen Kultur, die ganz selbstverständlich auf Partizipation und Augenhöhe angelegt ist. Partizipation ist daher keine offene Entscheidung mehr, das aktive Zugehen auf neue Communities im analogen und digitalen Raum ist schon jetzt das zentrale Gebot der Stunde. 

Das Museum der Zukunft wird auch ein postrelevantes sein. In der Pandemie ist viel über die Systemrelevanz von Museen diskutiert worden. Der Impetus war natürlich nachvollziehbar, aber dass man die Relevanz besonders herausstreichen musste, hat leider vor allem gezeigt, dass sie keine gesellschaftlich akzeptierte Selbstverständlichkeit ist. Grundsätzlich können Museen eine hohe Relevanz entfalten, wenn sie sich mutig zu Fragen der Gegenwart positionieren und diese im Zusammenspiel aus Mitarbeiterschaft, Objekten und Publikum aushandeln. Dass dies angesichts rapiden gesellschaftlichen Wandels und fortlaufender Krisen kein leichtes Geschäft ist und oftmals das Operieren in hochfluiden Kontexten bedeutet, steht außer Frage. Flexibles und schnelles Agieren, neue Synthesen von Kuration und Moderation sowie die Aufgabe ohnehin nicht erreichbarer Neutralitätsansprüche sind gefragt – Relevanz braucht Haltung, eigene Infragestellung und regelhafte Neuerfindung. 

Schließlich wird das Museum der Zukunft ein postagiles sein. Momentan wird in der Weiterentwicklung von Museen kein Thema so intensiv diskutiert wie die Agilisierung von Management und Prozessen. Zweifellos muss Post auch hier die Integration solcher Methoden und Mindsets bedeuten. Die Entwicklung digitaler Formate etwa ist gar nicht anders zu machen und die programmatische Zentrierung auf die Nutzerinnen und Nutzer sollte auch in anderen Handlungsfeldern wie Ausstellungen Gesetz sein. Aber natürlich ist Agilisierung nicht die Lösung aller Probleme: Sie kann der Schlüssel zur Entwicklung hochrelevanter Angebote sein, aber auch hochagile Start-ups überleben sehr oft nicht den Markteintritt. Scheitern muss als Teil von Lernprozessen erlaubt sein, aber leitendes Prinzip kann es nicht sein. Das Museum der Zukunft wird daher über eine Vielzahl von Ansätzen verfügen und je nach Vorhaben entscheiden, wie sich wissenschaftlicher Anspruch, Wasserfallmanagement und agile Vorgehensweisen produktiv ins Verhältnis setzen lassen – sowohl als auch statt entweder oder. 

Das Museum der Zukunft wird auf harte kulturpolitische Auseinandersetzungen zurückblicken. Dabei wird es nicht nur um wichtige Themen wie Postnachhaltigkeit gegangen sein. Im Zentrum werden vielmehr die grundsätzlichen Probleme von Institutionalität gestanden haben, gerade unter Druck introversionistisch zu reagieren und vor allem den eigenen Selbsterhalt zu verfolgen. Man wird eingesehen haben, dass es nicht um den Anbau einer Stelle hier und da oder immer neue Querschnittsaufgaben gehen kann, sondern dass der Umbau von Organigrammen und Zusammenarbeit ansteht. Man wird behördliche Hierarchien und Selbstverständnisse abgebaut, erst einmal im Inneren mit breiter Partizipation begonnen und zu gemeinsamen Zielsetzungen gefunden haben. Diese Prozesse werden nicht einfach und oftmals schmerzhaft sein. Aber manch einer wird dann vielleicht daran erinnern, dass dem Museum mit der Öffnung einstmals aristokratischer Sammlungen die Revolution ins Stammbuch geschrieben ist, während andere im Museum der Zukunft schlicht den evolutionär notwendigen nächsten Schritt sehen werden. 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2022.