»Museen … sind kraftspendende Orte der Bildung, der Begegnung, der sozialen Wärme und der Gemeinschaft … sowie Anker der Demokratie«, so Staatsministerin für Kultur und Medien Claudia Roth kürzlich in einem Interview. Dies war nicht immer so, denn lange galten Kulturerzeugnisse sowie die Museen als deren Ausstellungsorte als unpolitisch, und sie bemühen sich auch heute immer noch allzu oft, über den politischen und sozialen Themen zu stehen, die unser Leben beeinflussen, und machen sich damit nach wie vor den Mythoseiner Neutralität zu eigen. Schon in den 1970er Jahren war in Fachkreisendiesem Museumsverständnis eine deutliche Absage erteilt worden: Der Elfenbeinturm des reinen Sammelns, Inventarisierens und Erforschens sollte verlassen werden, um den Blick nach außen zu richten und Beziehungen zur Gesellschaft aufzubauen, um stärker als bildungspolitische Einrichtung verstanden zu werden. Denn ihrem Wesen nach waren Museen schon immer (kultur-)politisch und hatten schon immer ein Motiv. Indem sie die vorherrschende Kultur widerspiegeln, befassen sie sich zwar mit vermeintlichen Tatsachen, betonen dabei aber bestimmte Perspektiven.  

Es gibt also kein Nichthandeln des Museums. Handeln ist Tun wie Unterlassen. Museen sind qua Amt Agierende der Kulturpolitik und ebenso wie der Mensch ein Zoon politikon. In Zeiten des vielgestaltigen gesellschaftlichen Wandels, einer immer komplizierter werdenden Welt in Multikrise – unter anderem Pandemie, Russlands Angriffskrieg, Nationalpopulismen, Klimawandel und Naturkatastrophen – stellt sich das Museum als vergleichsweise stabiler Beteiligter im Bereich der Kulturpolitik dar. Krisen fungieren als Stresstest. Sie decken schonungslos jede Schwäche in der Art und Weise auf, wie Systeme konzipiert, implementiert und gewartet werden.  

Studien der American Alliance of Museums aus 2001 und 2021 zeigen, dass Museen außerordentlich hohes Vertrauen genießen, mehr als jede andere Institution, wie z. B. NGOs, Nachrichtenorganisationen, die Regierung, forschendes oder wissenschaftlich arbeitendes Personal oder soziale Medien, und nur übertroffen werden von befreundeten Personen und Familie. In der jüngeren der Studien gaben Befragte an, Museen seien sogar die vertrauenswürdigste Informationsquelle überhaupt. Dieses hohe Maß an Vertrauen galt für Museen aller Art, von Kunstmuseen bis hin zu zoologischen Gärten. Wer so viel Vertrauen genießt, muss sich bewusst sein, dass jedes Handeln und Nichthandeln Konsequenzen hat. Vor dem Hintergrund abnehmenden Vertrauens in die klassischen Informationsquellen inklusive der Presse können und müssen Museen also ihre Stärke als kulturpolitische Institutionen verantwortungsvoll wahrnehmen.  

In Deutschland drückt sich der Trend, den Museen eine gewichtigere Rolle in der Gesellschaft zuzuordnen, in der stärkeren finanziellen öffentlichen Unterstützung aus. Fließen heute zwar immer noch rund 30 Prozent der öffentlichen Mittel in die Förderung von Theatern, Orchestern und sonstiger Musikpflege, so legten die Museen mit einer Förderung von inzwischen knapp 20 Prozent deutlich zu und gewannen auch damit an Einfluss.  

Das Spektrum der Handlungsräume von Museen ist groß, wie auch ein Blick in die neue ICOM-Museumsdefinition zeigt. Die sich wandelnde Rolle und das Verständnis von Museen wird durch die am 24. August 2022 auf der Generalkonferenz von ICOM in Prag verabschiedete Museumsdefinition abgebildet. Denn die Frage, was überhaupt ein Museum ist und wie es sich definiert, wird schon seit 1946 mit der von ICOM erarbeiteten Definition beantwortet – und zwar mit weltweiter Wirkung. Die neue Museumsdefinition steckt einen gesamtgesellschaftlichen Rahmen ab. Neben den Kernfunktionen, nämlich dem Sammeln, Bewahren, Interpretieren und Präsentieren von materiellem und immateriellem Kulturerbe, werden die weiteren Funktionen nun deutlicher anerkannt und hervorgehoben. Die neue Definition postuliert das Museum als einen Ort, der Vielfalt und Nachhaltigkeit fördert, der zugänglich und inklusiv zur Verfügung steht und der partizipativ arbeitet.  

Was das praktisch bedeutet, zeigt beispielsweise der Prognosebericht 2022 des amerikanischen Center for the Future of Museums. Ihm zufolge stellen Museen äußerst wichtige Einrichtungen der Infrastruktur dar, aufgrund ihrer wertvollen Beiträge im Bereich Bildung für Kinder, lebenswerte Gemeinschaften für die Älteren, psychische Gesundheit, Notfallmaßnahmen bei Katastrophen als auch eine auf den Menschen ausgerichtete Kultur der Nachhaltigkeit. Dem Bericht zufolge können Museen ihre Umgebung besser, stärker und widerstandsfähiger machen.  

Museen haben dafür diverse Möglichkeiten, diese reichen in einem breiten Spektrum von der digitalen Transformation, über gute wissenschaftliche Arbeit, die Stärkung der Sammlungen, Mitarbeitermotivation, Gendergerechtigkeit bis zu agilem Arbeiten und Zahllosem mehr. Exemplarisch seien zwei Bereiche genannt, die viel diskutiert werden: der Besuch vor Ort mit Blick auf freien Eintritt und die heilsame Wirkung eines Museumsbesuchs.  

Dass Museen die psychische Gesundheit fördern können, ist zunehmend anerkannt. So kündigte im September 2021 inmitten der Pandemie die Stadt Brüssel medienwirksam ein Pilotprojekt an, bei dem Patientinnen und Patienten einen kostenlosen Museumsbesuch auf Rezept erhalten konnten. Vorbild waren Modelle aus Kanada und Großbritannien, vor allem das von 2014 bis 2017 in Großbritannien vom Arts and Humanities Research Council,dem University College London und der Canterbury Christ Church University durchgeführte und preisgekrönte Projekt »Museums on Prescription«. Es brachte Menschen, die von sozialer Isolation bedroht waren, mit Partnermuseen in London und Kent zusammen und untersuchte Methoden wie Auswirkungen. Das Ergebnis war eindeutig: Museen, Kunst und Kulturerbe haben ein erhebliches Potenzial, das Gefühl der Einsamkeit zu verringern und die Isolation zu reduzieren, indem sie Menschen die Möglichkeit geben, mit anderen in Räumen zusammenzukommen, die zu Gesprächen und Kontemplation anregen. Auch Ärztinnen und Ärzte in Kanada verschreiben als Ergänzung zu einer konventionellen Behandlung seit November 2018 Besuche im Montreal Museum of Fine Arts.  

Menschen jeden Alters und jeden Hintergrunds zugunsten von Bildung, Gesundheit und Lebensqualität in Museen zu bringen, ist die grundlegendste und selbstverständlichste Mission. Dazu sind Zugänglichkeit und Partizipation wichtige Voraussetzungen. In der Diskussion darum taucht immer wieder der freie Eintritt als das Mittel der Wahl auf. Um es gleich vorwegzunehmen: Leider reicht der freie Eintritt allein wohl nicht aus. Dies kann man unter anderem in Großbritannien ablesen. Hier hatte die Labour-Regierung 2001 den freien Eintritt wieder eingeführt. Doch obwohl die Besuchszahlen seitdem massiv – um rund 70 Prozent – gestiegen sind, gab es relativ geringe Veränderungen im Besuchsprofil, eine echte soziale Eingliederung konnte nicht nachgewiesen und die Reichweite der Museen in den unteren sozioökonomischen Schichten konnte nicht erhöht werden – abgesehen von Bildungsbesuchen durch Schulen. Ein guter Teil des Anstiegs der Museumsbesuche ging zudem auf ausländische Besucherinnen und Besucher zurück, die etwa 40 Prozent der Gäste ausmachten. Wie eine Studie des British Art Fund 2009 feststellte, blieben andere Barrieren bestehen, die Menschen davon abhielten, Museen zu besuchen. Mangelndes Wissen über die ausgestellte Kunst und ein Gefühl der Einschüchterung in Bezug auf die Gebäude selbst gaben laut Aussage der Studie den Menschen das Gefühl, nicht qualifiziert zu sein, um die Kunst im Besitz der Nation zu würdigen. Auch eine 2019 in Baden-Württemberg durchgeführte Studie zeigte, dass der freie Eintritt kein pauschal geeignetes Mittel ist, um mehr Menschen anzusprechen. Eine bereits etwas ältere Studie von 2006 aus den Niederlanden zur Auswirkung von freiem Eintritt in den Nationalmuseen kam zu folgendem, differenziertem Ergebnis: Ein kostenloser Museumsbesuch für Jugendliche unter 18 Jahren führte bei den untersuchten Varianten des freien Eintritts immerhin zum größten Anstieg der Besuchszahlen. Gleichzeitig waren die Kosten pro zusätzlichem Besuch am geringsten. Ein monatlicher freier Sonntag führte andererseits zu der geringsten Zunahme, die Kosten pro zusätzlichem Besuch waren hingegen am höchsten, da sich kostenpflichtige Besuche auf kostenlose Besuche verlagerten. Um breitere Bevölkerungsschichten ins Museum zu locken, müssen Museen folglich diverse weitere und neue Ideen entwickeln, diese können von fortschrittlichen Vermittlungsangeboten, abwechslungsreichen Ausstellungen oder auch anderen Öffnungszeiten reichen, um nur einige zu nennen.  

Museen haben gerade heute mehr denn je das Potenzial, relevante und sozial engagierte Orte in unserer Gesellschaft zu sein und damit eine gesamtgesellschaftliche positive Entwicklung zu bewirken. Kein Museum muss sich dabei einer bestimmten Schablone verpflichtet fühlen oder z. B. befürchten, dass es sich, bildlich gesprochen, vom Hort der Stille und Beschaulichkeit zur Leitfigur des Sekundenkleber-bewehrten Klimaaktivismus wandeln muss. Aber die besondere Wertschätzung und das Vertrauen, das Museen genießen, sollten das Bewusstsein dafür schärfen, dass sie als Handelnde mit Vorbildfunktion wahrgenommen werden. Wo und wie sich jedes Museum auf seine ganz eigene Weise zeigt, hängt naturgemäß von vielen Faktoren wie Thema, Trägerschaft und Ort ab. Da sie im Handeln wie im Nichthandeln stets eine Wahl treffen und eine Aussage nach außen geben, sollen sie dies bewusst und verantwortungsvoll zugunsten der Gesellschaft tun.  

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2022.