Während sich das Aufgabenfeld »Digitalisierung« in Deutschland seit vielen Jahrzehnten in den Arbeitsfeldern der Museen immer tiefer verankert und z. B. in der digitalen Bestandserfassung weite Strecken zurückgelegt hat, steht die Ausformung einer »Digitalität« als gelebter Kulturpraxis noch vor großen Herausforderungen. 

Der maßgebliche Impuls zum Fortschritt kam dabei nicht aus den Museen selbst, sondern von außen. Die Pandemie hat in den letzten Jahren zu einer enormen Beschleunigung des Digitalen in kleinen und großen Museen geführt. Sie hat Defizite aufgezeigt, Arbeits- und Kommunikationsmethoden verändert und ganze Landschaften digitaler Angebote motiviert. Diese sind aber, wie üblich, weiterhin gerne befristet und die notwendigen Betriebsstrukturen in den Häusern eher temporär und nicht dauerhaft verankert. Das hat viele Gründe. Maßgebliche Ursachen hat Bernhard Maaz schon vor drei Jahren in »Das gedoppelte Museum« (2019) beschrieben und es hat sich seitdem in der Kernproblematik nicht so viel geändert: fehlende Ressourcen, komplexe rechtliche Fragestellungen und eine problematische IT-Landschaft prägen weiter das Feld. Die Perspektiven eines postdigitalen Museums, wo auf Basis einer positiv-reflektierenden Haltung und eines nachhaltigen, institutionalisierten Settings das Digitale selbstverständlich gelebt und weiterentwickelt wird, erscheint nur selektiv und bruchstückhaft. Digitalisierung ist nicht nur eine Frage der Technik. Es ist ganz wesentlich auch eine kulturelle Praxis und Frage der Haltung. 

Das Jüdische Museum in Frankfurt dürfte hier mit einer klaren Strategie, inspirierten Online-Sammlung, modernen Vermittlungsformaten wie dem »Museum To Go« und der Verbindung zwischen physischem und digitalem Raum ein guter Impulsgeber sein. 

Ein Blick auf die letzte umfassende statistische Erfassung der Museen in Deutschland durch das Institut für Museumsforschung – »Ausgerechnet: Museen 2020« – macht weitere Baustellen deutlich: Zwar sind 90 Prozent der in der Umfrage erfassten deutschen Kultureinrichtungen im Internet vertreten, aber 77,2 Prozent der dort gezeigten Ausstellungen wurden ausschließlich für analoge Umsetzung geplant, d. h. mehr als Dreiviertel der Ausstellungen wurden nicht digital flankiert. Letztlich geht es auch nicht nur um die Frage, »ob« das Museum im Netz vertreten ist, sondern gerade auch »wie«, »womit« und »warum«. Der deutschsprachige Kreativ- und Verwaltungsraum hat noch immer Mühe, die Mechaniken der Dokumentation, Kommunikation und Vermittlung auf hybride oder agile Konstruktionen umzustellen. 41,9 Prozent der in der genannten Studie erfassten Museen gaben an, ihre digitalen Aktivitäten infolge der Pandemie ausgeweitet zu haben und neue digitale Inhalte und Medien oder Aktivitäten in den sozialen Medien entwickelt zu haben. Mehr als zwei Drittel der Museen erheben aber – wohl bis heute – keine Daten zur digitalen Nutzung dieser Angebote und stehen vor der Herausforderung, eine quantitative und qualitative Bewertung des eigenen digitalen Outputs zu entwickeln. Das dürfte eine Kernaufgabe der digitalen Gegenwart sein: mehr über das digitale Publikum, seine Konturen und Bedarfe zu lernen und Standards bzw. Kriterien zur Erfolgsmessung für den digitalen Rollout zu finden. 

Gleichwohl ist die Anzahl der »Leuchttürme«, also Vorbilder der Digitalität, bei den deutschen Museen in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Sie wird heute nicht mehr von einem (freilich noch immer vorbildlichen) Solisten aus Frankfurt bestimmt. Im Gegenteil lassen sich immer mehr Akteure bezeichnen, die mit Überzeugung die eigenen Sammlungen digital zugänglich machen und ambitionierte Vermittlungskonzepte oder inspirierte digitale Produkte entwickeln. Dabei spielt der Rückhalt, den diese Häuser bei den unterschiedlichen Trägern oder Stakeholdern haben oder entwickeln, eine große Rolle. Handlungsvielfalt entsteht dort, wo die notwendige Handlungsfreiheit und Handlungsfähigkeit gegeben ist. 

Baden-Württemberg dürfte hier vorbildlich sein. Das Bundesland spendierte bereits 2020 seinen Landesmuseen 13 Digitalmanager in unbefristeten Anstellungen. In weiteren Projekten und Förderlinien wirkt es außerdem positiv ins Feld. Mindestens eine weitere, wesentliche Erfolgskoordinate der Digitalisierung wurde hier richtig gesetzt: Nachhaltigkeit. Nur über unbefristete Prozesse lässt sich Digitalität in den Einrichtungen dauerhaft verankern. Die Verstetigung setzt dann auch qualifiziertes Personal oder entsprechende Qualifizierungsmaßnahmen voraus. Es geht um »Digital Literacy« als Ausdruck einer sozialen Dimension der Digitalität und der Fähigkeit, im digitalen Raum mündig, reflektiert und kompetent zu agieren. Das ist sicher in den meisten Museen noch ein zu entwickelndes Fortbildungsprogramm. 

In den letzten Jahren wurden die Dimensionen von Digitalisierung und Digitalität in zahlreichen Forschungsvorhaben, Tagungen, Publikationen, Podcasts, Workshops, Livetalks etc. ausführlich reflektiert. Reihenweise lassen sich organisierte Formationen und Verbände benennen, die sich mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Perspektiven mit dem Thema auseinandersetzen. Der Verbund museum4punkt0 vernetzt Kultureinrichtungen auf dem Weg in die Digitalität und zeigt wesentlich, wie Synergien und »Learnings« aus den Prozessen zu ziehen sind. Fortbildungsprogramme und Förderlinien wie »Fonds digital« oder »dive in« der Kulturstiftung des Bundes und Formate wie der Kultur-Hackathon »Coding da Vinci« haben Rahmenbedingungen, Vernetzungs- und Reibungsflächen für unterschiedlichste Produktionen und Produzenten geschaffen. Und inspirierte Formate wie der jährlich verliehene »Digamus-Award für die besten Digital-Projekte der Museen« machen die Kreativität und Lust der Museen an der Gestaltung digitaler Vermittlungsangebote deutlich. Das Potenzial ist also da, es fehlt nur der gesunde Nährboden. 

Und gerade deshalb: Bei der Konzeption des digital erweiterten Museums geht es um das Miteinander von analogen und digitalen Bühnen. Ob aus dieser Kombination dann wirklich ein »Metaverse« erwächst, wird sich zeigen. Der Museumsbesucher bewegt sich bereits heute alternierend in diesen Räumen. Die klassische »Visitor-Journey« des Museumsbesuches beginnt fast immer im Netz, führt – womöglich und vielleicht auch idealerweise – in das gemauerte Gebäude und dort zur Auseinandersetzung mit den Originalen. Vor Ort nutzen unsere vermeintlich analogen Besucher längst auch digitale Produkte und wandeln sich spätestens mit dem Verlassen des Gebäudes wieder zu virtuellen Flaneuren. Feedback und Nachbereitungen passieren heute vielfach im Netz. Museumsbesuche sind folgend immer mehr hybride Begegnungen und Erlebnisse. Dabei geht es im seltensten Fall nur um den Kontakt mit einer angesagten Technologie. Für die Museen geht es ganz grundsätzlich um die Gestaltung von Relevanz, Sichtbarkeit, Zugänglichkeit und Nachnutzbarkeit des eigenen digitalen Outputs. Die Museen müssen lernen, das digitale Publikum, vom Fachwissenschaftler bis zum Laien, vom Menschen bis zur Maschine, zu interpretieren und einzubeziehen. Sie müssen den eigenen digitalen Impact und den eigenen digitalen Content – Bilder, Metadaten, Digital Objects, Digital Twins etc. – so entwickeln, dass er den zeitgenössischen internationalen Standards, z. B. FAIR- und CARE-Prinzipien, und den Bedarfen eines diversen Publikums genügt. Ein digital kompetentes Museum agiert souverän und übernimmt Verantwortung für einen in Jahrzehnten geschaffenen digitalen Bestand. Es öffnet sich neuen Formen der Vermittlung, Kommunikation und Vernetzung. Es blickt nicht nur auf den Museumsbesucher in den historischen Räumen, sondern sucht für diesen und für einen digitalen Besuch, das Beste aus den analogen und digitalen Welten zu verbinden.  

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2022.