Die 2022 beschlossene Neufassung der Museumsdefinition des International Council of Museums (ICOM) schreitet bei einem Detail rückwärts: In der Aufzählung der sogenannten Kernaufgaben steht nun, wie schon 1974, die Forschung an erster Stelle. Forschung erscheint so als Ausgangspunkt aller Museumsarbeit oder als wichtigste Form, sich mit den Museumssammlungen auseinanderzusetzen. Allerdings gibt es neben sammlungsbezogener Forschung auch Markt-, Publikums-, Rezeptionsforschung, museumsdidaktische Forschung, Untersuchungen zur Konservierung und Restaurierung. Ferner lädt die Institution Museum zu kulturanalytischer Forschung ein. Diese anderen Handlungsfelder sind nachfolgend kein Thema. 

Alle Museen gehören zur Forschungsinfrastruktur, denn ihre Sammlungen enthalten Forschungsmaterial, Belege, Vergleichsobjekte. Eine Monopolstellung haben Museen, die alle neuen Grabungsfunde aufbewahren. Internationale Vereinbarungen verpflichten die Bestimmung biologischer oder paläontologischer Arten dazu, Typusexemplare an öffentliche Sammlungsinstitutionen abzuliefern. Für die Lokal- und Regionalforschung bieten die gleich ausgerichteten Museen, neben den kommunalen Archiven, oft die einzige Grundlage, sodass deren dichtes Netz trotz begrenzter Leistungsstärke unersetzlich ist. Ferner genießen mittlere und große Museen besondere Aufmerksamkeit, denn Museumsausstellungen geben eine anerkannte Lösung her für die Bedingung vieler Forschungsförderprogramme, die Projektergebnisse einer breiten Öffentlichkeit vorzustellen. 

Traditionelles Ergebnis sammlungsbezogener Forschung sind Bestandskataloge, die nicht nur Text- und Bilddokumentationen anbieten, sondern wissenschaftliche Vergleiche ziehen sowie Herstellungs- und Nutzungszusammenhänge aufklären. So wie die Sammlungszentrierung vieler Museen schwindet, sinkt jedoch das Interesse an Katalogarbeit stetig. Die Digitalisierung könnte zu aktuelleren und auch diskursiven Formaten führen; die derzeitigen Anstrengungen konzentrieren sich meist auf Dienstleistungen wie Online-Recherche in Dokumentationsdaten oder das Angebot von Bildmaterial, gelegentlich mit Partizipationselementen zum Faktenwissen. 

Die in der Nachkriegszeit zunehmende Themenzentrierung führte viele Museen zur Fokussierung auf Wechselausstellungsthemen, die teils auch Forschungsprojekte auslösen. Die 1970er Jahre waren in der »alten« Bundesrepublik die Blütezeit voluminöser Ausstellungspublikationen, die neben dem Katalog der mehrheitlich geliehenen Exponate oft mehrere Aufsatzbände umfassen. Im 21. Jahrhundert hat sich in Museumspraxis, Forschung und Lehre das eigenständige Feld der Provenienzforschung entwickelt. Neu ist dabei, Eigentumsabfolgen nicht nur festzustellen, sondern alle Erwerbssituationen ethisch zu bewerten – mögliches Unrecht des Nazi-Regimes, der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD), der DDR oder im Rahmen kolonialer Machtausübung. Dieses Forschungsfeld expandiert noch. 

In die gesamtstaatliche Finanzierung außeruniversitärer Forschungseinrichtungen, die Leibniz-Gemeinschaft, fallen acht Institutionen mit Museen, die auch Grundlagenforschung betreiben. So tragen die drei Naturmuseen (Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels (LIB) mit den Standorten Museum Koenig Bonn und Museum Hamburg, Museum für Naturkunde (MfN) – Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung, Berlin, Senckenberg-Gesellschaft für Naturforschung (SGN), Frankfurt am Main, Görlitz, Dresden) wesentlich zur Taxonomie und zur Biodiversitätsforschung bei, das Deutsche Schifffahrtsmuseum entwickelte Kompetenz zur Konservierung archäologischer Holzobjekte. Ähnliche Leistungsniveaus erreichen die großen staatlichen Museumsverbünde in Berlin, Dresden und München, die Klassik Stiftung Weimar oder das »Konsortium Deutsche Naturwissenschaftliche Forschungssammlungen«. Diese Eliteklasse nutzt vertraute Formen institutionalisierter Wissenschaft wie mehrjährige Forschungsprojektgruppen, Konferenzen, Tagungsbände und Qualifikationsschriften. 

Die kommunalen Haushaltspläne rubrizieren alle Museen als »nicht wissenschaftliche Museen«. Die Grenze zur Forschungsinaktivität trennt aber weder staatliche und kommunale Museen noch Museen mit hauptberuflichem Personal und ohne solches, da es auch qualifiziert forschendes Zeitspenden-Personal gibt. In der Regional- und Lokalgeschichte ist freizeitweise, selbständige Forschung kaum wegzudenken, während in Naturmuseen die Mitwirkung bei professionell geplanten und kontrollierten Forschungsprojekten vorherrscht – sogenannte »Citizen Science«. 

Neben dem Paradigmenwechsel zur Digitalität diktieren Forschungsmoden die Zukunftsprognosen. Die neue staatliche Förderung der Universitätssammlungen ließ eine Workshop-Reihe zur sammlungsbezogenen Forschung für wissenschaftlichen Nachwuchs entstehen. Die Lebens- und Geowissenschaften haben die universitäre Forschung von der gegenstandsbezogenen Forschung abgekoppelt und diese weitgehend den Museen überlassen. Dagegen entfernen sich die beiden ethnologischen Disziplinen sowohl in den Hochschulen als auch in den Museen von der Erforschung materieller Kultur, sodass dort die Nachwuchsqualifizierung und die Nachfrage nach Personal zur sammlungsbezogenen Forschung schwinden. 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2022.