Martina Weinland gibt Einblick in die Rolle und Bedeutung von privaten Sammlerinnen bzw. Sammlern und ihren Sammlungen für ein öffentliches Museum aus Perspektive des Stadtmuseums Berlin, an dem sie lange Zeit die Abteilung Sammlung verantwortete und nun Beauftragte für kulturelles Erbe ist.
Welche Rolle spielen Sammlungen und auch Nachlässe privater Sammlerinnen bzw. Sammler für das Stadtmuseum Berlin?
Bürgerschaftliches Engagement gehört zur Gründungsgeschichte des Stadtmuseums, das es seit 1995 gibt und das im Wesentlichen auf seinen beiden Vorgängereinrichtungen fußt. Sowohl das 1874 gegründete Märkische Museum als auch das 1962 gegründete Berlin Museum gehen auf dieses bürgerschaftliche Engagement zurück. Berliner und Berlinerinnen wollten schon immer ihre Stadtgeschichte sammeln, bewahrt sehen und öffentlich präsentiert wissen. Insofern spielen Sammlungen und Nachlässe von privat eine große Rolle in unserer Sammlungsgenese und sind eigentlich der Nucleus, um den herum sich Ankäufe und Erwerbungen gruppieren.
Welchen Umfang der Sammlung machen diese aus?
Einen großen Teil, jedoch ist dieser schwer zu beziffern. Besonders für den Altbestand des Märkischen Museums trifft das zu, das ja zwei Weltkriege mit seiner Sammlung überstehen und eine lange Zeit während der DDR mit verschiedenen Umstrukturierungen überdauern musste. Dabei wurden leider oftmals Konvolute aufgelöst und damit die Provenienz – also die Herkunft bzw. der Hinweis auf einen Sammler und/oder Sammlung – vernichtet. Dies war auch schon während der NS-Zeit der Fall, spätestens nach der Gleichschaltung im März 1933 wurden Vereine, Logen und andere kulturelle Verbände aufgelöst und unter Kontrolle gestellt. Deren Besitz ist heute kaum noch nachzuverfolgen. Für das Berlin Museum sieht die Aktenlage ein bisschen besser aus. Konkret lassen sich private Sammlungszugänge aber an den seit 2000 unter dem Dach des Stadtmuseums gegründeten unselbständigen Stiftungen verdeutlichen. Man könnte sie auch als »Vertiefungsräume« zu Berlin spezifischen Themen bezeichnen. Ihre Bandbreite ist enorm. So widmet sich die Hans-und-Luise-Richter-Stiftung, die 2000 von den Ururenkeln des Komponisten Giacomo Meyerbeer gestiftet wurde, dem deutsch-jüdischen Verhältnis und erzählt anhand dieser Familiengeschichte über drei Generationen, wie es dieser Familie in Berlin ergangen ist. Daran knüpft auch die erst 2019 gegründete Fritz-Ascher-Stiftung an. Sie bewahrt das Werk dieses heute nahezu vergessenen jüdischen Künstlers, der nur unter großen physischen und psychischen Belastungen von 1942 bis 1945 in einem Keller versteckt die NS-Zeit in Berlin überleben konnte. Mit der Jeanne-Mammen-Stiftung, die 2003 ans Stadtmuseum kam, wird wiederum an eine exzeptionelle Berliner Künstlerin erinnert, die von der Kaiserzeit, über die Weimarer Republik, die NS-Zeit, den Zweiten Weltkrieg bis zur Teilung der Stadt alles miterlebt und in ihren Werken sichtbar gemacht hat. Besonders berührend ist ein Besuch in ihrem seit 102 Jahren existenten Atelier am Kurfürstendamm 29, das das Stadtmuseum betreut und das nach Anmeldung öffentlich zugänglich ist.
Wie wird entschieden, welche Sammlungen in den Bestand des Stadtmuseums aufgenommen und welche Objekte auch ausgestellt werden? Wie viel Einfluss hat dabei der Sammler?
Die Annahme einer Sammlung ist ein mehrstufiger Prozess im Stadtmuseum, der mehrere Gremien durchläuft. Die angebotene Sammlung sollte auf jedem Fall dem kulturellen Auftrag des Stadtmuseums entsprechen, der sich auf die Landesgeschichte Berlins konzentriert. Da es in Berlin über 180 Museen mit unterschiedlichen Schwerpunkten gibt, ist dies ein wichtiger Aspekt, auch um Überschneidungen zu vermeiden und mit den räumlichen Ressourcen verantwortungsvoll umzugehen. Ein weiteres wichtiges Kriterium sind natürlich die Kosten, die mit einer Sammlungsannahme verbunden sind, wie Depotfläche, Aufbewahrungsschränke und Manpower, die sich nicht nur auf den Mitarbeitenden der Sammlung beschränkt, sondern ebenso die Restauratoren und die Verwaltung personell einbezieht. Deshalb ist ein sorgfältiges Abwägen vor der Annahme sehr wichtig. Und handelt es sich um die Rechtsform der unselbständigen Stiftung ist zusätzlich der Stiftungsrat des Stadtmuseums vor der Annahme zu befragen.
Auch für den Prozess des Ausstellens gibt es mehrere Stufen, die ein Objekt durchläuft. Ausschlaggebend ist der Kontext – zumeist im Rahmen einer Ausstellung – und das Thema. Kann anhand des Objektes die Geschichte plausibel dargestellt werden, eröffnet das Objekt darüber hinaus weitere Facetten, welche Geschichte, beispielsweise durch seine Provenienz, erzählt das Objekt zusätzlich. Letztendlich entscheidet der Kurator oder die Kuratorin über das Objekt, das ausgestellt werden soll, denn er/sie verantwortet ja das Ausstellungskonzept. Gespräche mit dem Sammler bzw. der Sammlerin sollten aber in jedem Fall geführt werden und gehören zur Museumsetikette.
Welche Herausforderungen entstehen durch private Leihgaben in öffentlichen Museen? Wie werden diese im Stadtmuseum bewältigt, sodass ein Dialog auf Augenhöhe zwischen beiden Parteien geführt werden kann?
Private Leihgaben können inhaltlich gerechtfertigt sein, bedeuten aber für Museen immer einen hohen Betreuungsaufwand, der schon beim Versicherungsschutz beginnt und nicht beim jährlichen Zustandsbericht für das Objekt endet. Ein kulturgeschichtliches Haus wie das Stadtmuseum versucht deshalb eher, private Leihgaben auf Dauer zu vermeiden. Anders sieht dies natürlich bei reinen Kunstmuseen aus, die mit Highlights werben möchten und diese nicht immer in ihren Sammlungen haben. Da sind dann private Leihgaben sehr willkommen und rechtfertigen auch den Aufwand.
Was passiert, wenn eine private Sammlerin bzw. ein privater Sammler einem öffentlichen Museum die Sammlung entzieht? Ist das beim Stadtmuseum schon mal vorgekommen?
Auf jeden Fall hat ein solcher Vorgang eine große Öffentlichkeit, wie zuletzt2020, als der Tagesspiegel titelte »Kunstsammler kehren Berlin den Rücken« und Julia Stoschek mit der Schließung ihrer Präsentation zeitgenössischer internationaler Kunst drohte. Beim Stadtmuseum ist das meines Wissens bisher einmal vorgekommen und betraf ein wirklich wichtiges Gemälde der Berlin-Geschichte von Karl Eduard Biermann »Die Borsig’sche Maschinenbauanstalt« von 1847. Dieses Werk ist ein sehr frühes Bildbeispiel für die Industrialisierung in der Stadt und konnte mit Unterstützung des museumseigenen Vereins, der Kulturstiftung der Länder und der Ernst-von-Siemens-Kunststiftung dann angekauft und damit für die Öffentlichkeit bewahrt werden.