A rchäologie ist eine vergleichsweise junge Wissenschaft. Sie fußt grundsätzlich auf der Erkenntnis, dass Dinge und Objekte historisch geordnet und analysiert werden können. Dieses Wissen ermöglichte es, die in königlichen und fürstlichen Sammlungen sowie Wunderkammern gehorteten Objekte, wie präparierte Tiere, Insekten, Skelette, koloniale Güter, Exotika, Gastgeschenke, Kunst- und antike Gegenstände und eben auch Dinge aus einer unbestimmten »Vorzeit«, in eine uns heute geläufige kategoriale Geschichtsordnung zu bringen. Den Anstoß zur Klassifizierung nach Herkunft und Alter lieferten das Gesetz der Stratigraphischen Ordnung, d. h. oben liegende Erdschichten sind jünger als unten liegende Erdschichten, aus dem 17. Jahrhundert sowie Charles Darwins »On the Origins of Species«. Nach diesen Verschiebungen im Diskurs der Menschheitsentwicklung war der Schritt zur typologischen Ordnung der Dinge nicht mehr weit. 1836 veröffentlichte Christian J. Thomsen, Kustos der Königlichen Sammlungen Kopenhagen, erstmals das Ordnungssystem Steinzeit, Bronzezeit, Eisenzeit, das bis heute die Basis archäologischer Zeiteinteilung bildet. Jedoch blieb das Interesse an den Altertümern trotz der Herausbildung eines zunehmend aufgeklärten und selbstbewussten Bürgertums in der Moderne und den sich zu Bildungsstätten öffnenden Sammlungen zunächst gering. Die bis dahin geringe Wirkmächtigkeit sollte sich mit dem Erstarken nationaler Identitätsdiskurse jedoch schlagartig umkehren. Im 19. und vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden nicht nur zahlreiche Spezial-museen mit Schwerpunkt deutscher Vorgeschichte, sondern Archäologie etablierte sich akademisch als Universitätsfach. Die im Fachdiskurs propagierte und politisch nutzbare Gleichsetzung von germanisch mit deutsch führte schließlich zu einer »hervorragend nationalen Wissenschaft«, die ihre Botschaft in national bewegten Ausstellungen und im Schulunterricht öffentlichkeitswirksam darzustellen wusste. Es erfolgte die Entrümpelung der vor allem enzyklopädisch aufgestellten Altertumssammlungen und eine Didaktisierung der Präsentationen im Sinne einer erzieherischen Volksbildung von nationaler Tragweite. Geschichte und – im Falle der Archäologie – ihre materiellen Quellen wurden zu Propagandainstrumenten und »völkischen Belegmitteln« erster Güte. Das Narrativ der bis in die Steinzeit historischen Verwurzelung eines »Deutsch-Seins« wurde mittels Rekonstruktionen, Dioramen, Kartenmaterial und Schaubildern insbesondere für Laien (be-)greifbar gemacht. Diese Erzählung gipfelte in Leistungsschauen deutscher Nationalgeschichte wie »Lebendige Vorzeit« in Berlin (1937) und »Der Bauer in der deutschen Vorzeit« in Halle (1936). Und auch die Freilichtmuseen Unteruhlding und Radolfzell-Mettnau entstanden 1936 bzw. 1938 unter den Voraussetzungen völkisch-nationaler Weltanschauung. Sie wurden zur romantisch-historischen Kulisse für eine glorifizierte Sehnsucht nach einer »artgerechten« Heimat, nach unberührter Natur und nach starken Vorfahren, um der als Knechtschaft empfundenen Industriearbeit und der krisenanfälligen freiheitlich-demokratischen Weimarer Republik eine nationale Lebensraumideologie entgegenzusetzen. Zwar waren diese frühen pädagogischen Ansätze Meilensteine der Wissenschaftsvermittlung, allerdings gingen sie aufgrund ihres politischen Backgrounds auf Kosten der Entwicklung eines kritischen Reflexionsvermögens, das auch nach 1945 – zumindest im deutschsprachigen Raum – für lange Zeit in der archäologischen Wissenschaft nicht mehr Einzug halten sollte. Denn die Archäologie hatte durch personelle Kontinuität und den sich wirkmächtig in den Köpfen festgesetzten rassisch-völkischen Erzählungen nationalsozialistischer Prägung keine alternativen Narrative zu bieten. So erfolgte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zunächst der Rückzug auf eine vermeintlich objektive und puristische Wissenschaft samt ihrer trockenen, später von Politik und Publikum als verstaubt kritisierten öffentlichen Präsentation. Während bis in die 1990er Jahre eine theoriegeleitete Neuausrichtung auf der Strecke blieb, fand eine Modernisierung zunächst in der Denkmalpflege und den Ausgrabungs- und Analysemethoden statt. Neue Denkmalschutzgesetze beförderten archäologische Grabungsaktivitäten, die wiederum allerhand Quellenmaterial lieferten. Den Universitäten und Forschungseinrichtungen standen damit erstmals auch statistisch auswertbare Quellen zur Verfügung, um akribisch weiter an der Verfeinerung der vermeintlich politisch unbelasteten typo-chronologischen Ordnung zu arbeiten. Erst ab den 1970er Jahren ging das Fach wieder vermehrt an die Öffentlichkeit. Medienwirksam als Sternstunden einer abenteuerlichen Spurensuche inszeniert, war die Archäologie mit ihren ältesten, seltensten und glänzendsten Highlights und mit Attributen wie Schatz, Rätsel und Geheimnis wieder in der öffentlichen Wahrnehmung angekommen. Nur die Germanen waren als Forschungs- und Ausstellungsthemen aus der Mode, ohne dass aber die Identitätserzählung an sich verworfen wurde. Im politischen Kontext der Einigung Europas konzentrierte man sich vielmehr auf weiträumige Identitätskonstruktionen wie die Kelten, Franken und Alamannen. Erfreulicherweise ging diese Entwicklung auch mit einer Internationalisierung des Faches einher. Einerseits entstanden europäische Forschungszentren wie das »Centre archéologique européen de Bibracte«, das unter Beteiligung europäischer Universitäten, unter anderem der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und der Universität Leipzig, die Erforschung des antiken, von Julius Cäsar erwähnten Fundplatzes Bibracte auf dem Mont Beuvray in Frankreich zum Ziel hat. Andererseits führte der kollegiale und studentische Austausch zu einer Öffnung des Faches gegenüber neuen Erkenntnistheorien und -methoden. Turns wie »linguistic turn«, »spacial turn« und »iconic turn« waren keine Fremdwörter mehr, sondern erlangten in der archäologischen Interpretationsarbeit zunehmend an Bedeutung. Dies gilt im Besonderen für den »material turn«, ging dieser doch mit einer gesteigerten Gewichtung der materiellen Kultur in den Geistes- und Kulturwissenschaften einher. Das neue Interesse an der Lesbarkeit materieller Quellen brachte der Archäologie gleichsam ein neues Forschungsfeld ein: die Archäologie der Moderne. Kritikerinnen und Kritiker mögen in Anbetracht der Vielzahl an Quellenmaterial für den jüngsten historischen Abschnitt die Erkenntnismöglichkeit der Archäologie als zu fragmentarisch abtun. Dies mag vielleicht aus einem geschichtswissenschaftlich positivistischen Wissenschaftsverständnis zutreffen. Versteht man die Archäologie jedoch als Kulturwissenschaft, die allgemeine menschliche und kulturelle Phänomene aus einer Objektperspektive in den Blick nimmt und hierfür insbesondere die soziale Beziehung zwischen dem Menschen und seinen von ihnen selbst hervorgebrachten Dingen erforscht, dann ist sie eine Wissenschaft mit enormem zeitlichem Tiefgang. Phänomene wie Migration, Handwerk, Design, Ess- und Trinkkultur, Leben in Extremen, Resilienz und viele Themen mehr können auf diese Weise bis in die Anfänge der Menschheitsgeschichte analysiert werden. Völkische Identitätskonstruktionen, die bisheute Rassismus und Antisemitismus befördern, würden damit endgültig der Vergangenheit angehören.  

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 10/2022.