Welche Rolle spielt Archäologie in der Politik und insbesondere in der Stadtentwicklungspolitik? Die Archäologin Ina Czyborra ist seit mehr als zehn Jahren Mitglied im Berliner Abgeordnetenhaus – und vereint so beide Welten. Politik & Kultur fragt bei ihr nach. 

Frau Czyborra, Sie sind Archäologin und Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses. Was bringen Sie aus der archäologischen Praxis mit in die Politik? 

In der Archäologie ist vernetztes Denken besonders wichtig. Einzelne Daten sagen für sich genommen oft nur wenig aus, aber durch die Verknüpfung einer Vielzahl von verschiedenen Daten lässt sich eine vergangene Welt rekonstruieren. In der Politik sind es ebenfalls komplexe Strukturen und Zusammenhänge, die in einen Kontext gesetzt und zusammen betrachtet werden müssen. Eine ausgeprägte Vorstellungskraft ist in beiden Bereichen ebenfalls unabdingbar, um sich vergangene wie auch zukünftige Gesellschaften vorstellen zu können. 

Die Archäologie beschäftigt sich viel mit Ritualen und Strukturen. Und sie stellt viele Fragen: Wie entwickelten sich frühere Gesellschaften im Raum? Wie halfen Rituale, beispielsweise Bestattungsrituale, ökologische Krisen oder kriegerische Handlungen einer Gesellschaft und die stattfindenden Umbrüche zu bewältigen? Jahreszyklen und Sozialstruktur spielten immer eine fundamentale Rolle für die Entwicklung einer Gesellschaft. Weiträumige Tausch- und Prestigesysteme organisierten und manifestierten Machtstrukturen.  

Welche Rolle spielt Archäologie für die Stadtentwicklung? 

Ausgrabungen in Berlin zeigen uns, woher unsere Stadt kommt und auf welchen Grundlagen sich die Stadt entwickelt hat. Für die weitere Entwicklung ist es wichtig, diese früheren Strukturen der Stadt zu respektieren und aufzunehmen. Die Geschichte der Stadt zeigt uns zudem auch immer wieder, dass sie von jeher durch Einwanderung geprägt wurde. Schon in der Frühgeschichte beeinflussten ökologische Krisen das Siedlungsverhalten. Der Verlust von Lebensgrundlagen führte zu gravierenden gesellschaftlichen Umbrüchen. Die Archäologie zeigt uns für die Gegenwart auf, wie bedeutsam der verantwortungsbewusste Umgang mit Ressourcen ist. 

Welche Auswirkungen haben die Veränderungen in den Denkmalschutzgesetzen der Bundesländer auf die Archäologie und ihre Praxis? 

Tatsächlich haben die Denkmalschutzgesetzgebung und ihre Novellen der letzten Jahre enorme Auswirkungen darauf, wie Denkmale definiert werden, wer für deren Schutz zuständig ist, wie der Schutz des Kulturgutes und auch die Bodendenkmäler fachlich umgesetzt werden kann und wieweit andere Interessen, z. B. die des schnellen und kostengünstigen Bauens, durchschlagen. Sie hat auch Auswirkungen darauf, ob Bodendenkmalpflege im Wesentlichen hoheitliche Aufgabe ist und von der öffentlichen Hand oder von privaten Firmen im Auftrag privater Bauherren durchgeführt wird. Gesetzliche Veränderungen führen dazu, dass die Fachexpertise der Denkmalämter nicht mehr im gleichen Maße in Entscheidungen mit einfließt, wenn sie nur noch das Recht auf Anhörung besitzen. Das alles hat Auswirkungen darauf, ob Bodendenkmäler überhaupt wissenschaftlich untersucht und dokumentiert werden und wie die wissenschaftliche Aufarbeitung der Funde und Befunde erfolgt. Am Ende hängt es auch an der Höhe und Form der Finanzierung der Bodendenkmalpflege und der Zuständigkeit auf Landes- oder kommunaler Ebene. 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 10/2022.