Welche Rolle spielt das Kleine Fach Archäologie in der deutschen Wissenschaftslandschaft? Wie wird es gefördert? Welche Disziplinen verbindet es? Christoph Kümmel von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gibt Antworten auf diese Fragen. 

Wie fördert die DFG »Kleine Fächer« wie die Archäologie?  

Die DFG ist als zentrale Selbstverwaltungs- und Förderorganisation für die Wissenschaft in Deutschland offen für Projektanträge aus allen Wissenschaftsgebieten – natürlich auch aus allen sogenannten »Kleinen Fächern«. Anträge aus den verschiedenen archäologischen Fächern werden vor allem in der Einzelförderung mit einer Laufzeit von drei bis sechs Jahren bewilligt. Die Archäologie ist aber auch häufig an größeren Verbundprojekten – etwa Forschungsgruppen oder Sonderforschungsbereichen – beteiligt. Vor allem die Einzelförderung bietet sehr flexible Möglichkeiten für die Unterstützung von Projekten mit vielfältigen Methoden und Themen, wie sie in der Archäologie üblich sind. Für die Förderung aller altertumswissenschaftlichen Fächer stehen ca. 25 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung – die archäologischen Fächer haben daran sicherlich einen Anteil von mehr als zwei Dritteln. 

Welche Bedeutung kommt dem Fachgebiet Archäologie in der deutschen Wissenschafts- und Forschungslandschaft zu?  

Archäologie gibt es eigentlich nur im Plural. Die vielen archäologischen Fächer von der Ur- und Frühgeschichte über die Klassische und Vorderasiatische Archäologie bis zur Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit – um nur einige größere Einzelfächer zu nennen – sind an allen Volluniversitäten in verschieden großer Vielfalt vertreten. Gemessen an der fachlichen Breite, der Anzahl der Professuren und vor allem der Studierenden nehmen die Archäologien ein beachtliches Gewicht im Spektrum der geistes- und kulturwissenschaftlichen Fächer ein. Im Vergleich zu anderen Fächern sind die Archäologien aus meiner Einschätzung sehr stark in der Einwerbung von Drittmitteln für Forschungsprojekte im Inland, besonders aber auch im Ausland. Die wichtige Bedeutung kann man inhaltlich daran messen, dass die Archäologien die einzigen Disziplinen sind, die sich unter Berücksichtigung aller relevanten Quellen mit der sehr langen Zeit der frühen menschlichen Geschichte und vor allem mit der materiellen Lebenswelt der Menschen auseinandersetzen. Für viele Zeiträume stehen nur materielle Überreste für die Untersuchung der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft zur Verfügung. Außerdem verfolgen die Archäologien sehr vielfältige Methodenansätze – das ist eine notwendige Konsequenz aus der großen Bandbreite an Zeiten, Regionen, kultur- und sozialwissenschaftlichen Themen sowie der schon angesprochenen enormen Quellenvielfalt. Archäologien können sich mit Landschaften und ihrer Veränderung durch die Menschen beschäftigen, aber auch mit den Überresten der Menschen selbst. Sie interessieren sich für kleinste Spuren menschlicher Handlungen oder – ganz im Gegenteil  – mit monumentalen Kunstwerken. 

Wie verbindet die Archäologie als Disziplin Naturwissenschaft und Kulturwissenschaft? 

Grundsätzlich verfolgen Archäologien – auch wenn naturwissenschaftliche Methoden einen sehr großen und wachsenden Stellenwert haben – geistes- und kulturwissenschaftliche Fragestellungen. Anders als in den Naturwissenschaften stehen keine allgemeingültigen Wirkungszusammenhänge – Naturgesetze – im Zentrum. Das Ziel ist die Erforschung der kulturellen und gesellschaftlichen Ausprägung menschlicher Gesellschaften und der Lebensumstände. Wenn möglich auch der Vorstellungswelten, sofern die Quellen dazu ausreichen. Die Verbindung zum Forschungsansatz und zur Methodik der Naturwissenschaften ist aber so eng wie in keiner anderen geistes- und kulturwissenschaftlichen Disziplin. Dies zeigt sich an der Struktur der Forschungsprojekte: Es gibt eigentlich kein archäologisches Ausgrabungsprojekt mehr, an dem nicht auch naturwissenschaftlich ausgebildete Personen intensiv mitarbeiten. Die naturwissenschaftliche Methodik liefert wesentliche Hinweise zur Zeitstellung, zur Beschaffenheit und Herkunft der Funde und – was immer wichtiger wird – zu übergeordneten Umweltbedingungen und Konsequenzen des menschlichen Handels für den Naturraum. Die Grenzen der Disziplinen sind in der Praxis häufig gar nicht mehr spürbar. Archäologie ist aus meiner Sicht gleichbedeutend mit einer integrativen Wissenschaft, die Fächergrenzen täglich überschreitet. 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 10/2022.