K onzentrationslager werden vor allem mit der Verfolgung im Nationalsozialismus verbunden. Weniger bekannt ist, dass es solche Lager bereits in der Kolonialzeit gegeben hat. Im deutschen Sprachraum wurde der Begriff erstmals 1905 in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, verwendet. Vorrangig dienten sie der Kontrolle, um Aufstände zu vermeiden, aber hier wurden die Gefangenen auch zu harter, unbezahlter Arbeit gezwungen, ohne Rücksicht auf Alter, Geschlecht oder physischer Konstitution. Ein großer Teil der Internierten überlebte das Lager nicht. 

Lüderitz im heutigen Namibia wurde 1884 als erstes »deutsches Schutzgebiet« gegründet. Noch heute prägen Bauten der Kolonialzeit die Stadt. Die negative Seite der deutschen Herrschaft ist dagegen auf den ersten Blick nicht sichtbar: Auf der Haifischinsel – heute: Shark Island –, unmittelbar vor der Stadt gelegen und seit 1906 durch eine Landbrücke mit dem Festland verbunden, existierte ein Konzentrationslager, in dem Herero und Nama auf engstem Raum zusammengepfercht wurden und zu einem großen Teil durch Zwangsarbeit, Krankheiten und Mangelernährung umkamen. Dort starben zwischen 1905 und 1907 bis zu 3.000 Menschen. Einige der Gebeine wurden zu Forschungszwecken nach Deutschland gebracht.  

Heute befindet sich im nördlichen Teil der Halbinsel ein Campingplatz und im Südosten der Hafen. Entlang der Inselstraße erfolgt seit der Jahrtausendwende eine intensive Bebauung, weshalb einige Bauwerke aus der Kolonialzeit vermutlich unwiederbringlich verloren sind. Die Aufgabe, mehr über die Struktur des Lagers auf der Haifischinsel herauszufinden, die 2019 zum »National Heritage Site of Namibia« erklärt wurde, und ihre Geschichte mit Archäologen, Geophysikern und Historikern interdisziplinär zu erforschen, war Ausgangspunkt aktueller Untersuchungen, die von der Gerda Henkel Stiftung gefördert werden. Partner des Kooperationsprojekts sind neben dem Landesmuseum Hannover die University of Namibia in Windhoek und das Institut für Geowissenschaften der Universität Kiel unter Leitung von Wolfgang Rabbel.  

Grundlegend für den Survey waren die Forschungsergebnisse von Casper W. Erichsen und Jonas Kreienbaum: Während Erichsen postulierte, dass auf der Haifischinsel ein intendierter Genozid stattgefunden habe (»Kaiser’s Holocaust«), könne dies laut Kreienbaum nicht verallgemeinert werden.  

Im Unterschied zu bisherigen Untersuchungen, die auf der Auswertung von Textmaterial beruhten, war dieses Projekt in erster Linie darauf ausgerichtet, die archäologischen Hinterlassenschaften auf der Haifischinsel selbst zu dokumentieren. Dabei wurden Messungen mittels GPR, kurz für Ground-Penetrating-Radar, vorgenommen, um Strukturen unterhalb der Oberfläche zu kartieren. Diese Methode erlaubt die zerstörungsfreie Erkundung eines Geländes ohne aufwendige Ausgrabung. Sie konnte insbesondere auf dem flachen Untergrund des Campingplatzes durchgeführt werden. Im felsigen Gebiet der Insel wurde ergänzend ein Feldsurvey mit Vermessung der noch oberirdisch sichtbaren Strukturen durchgeführt.  

Wichtige Hilfsmittel, um die Gebäude aufzufinden und zu kartieren, sind Fotos und Karten aus der Kolonialzeit. Erstmals konnte auch das Fotoalbum des deutschen Leutnants Arbogast von Düring in der Sam-Cohen-Bibliothek in Swakopmund ausgewertet werden. Er hielt sich mit General Lothar von Trotha im Oktober oder November 1905 auf der Haifischinsel auf. 

Mithilfe der geophysikalischen Prospektion und des archäologischen Surveys konnten mehrere Strukturen dokumentiert werden wie die Umzäunung des Geländes, eine Kranken- und Quarantänestation für die Internierten, die Basis des ersten eisernen Leuchtturms, die voneinander getrennten Lagerflächen der Nama und der Herero sowie mehrere Staudämme. Damit kann erstmals eine genaue Karte des Lagers gezeichnet werden. 

Abgesehen von dem Wert für die Geschichtsschreibung hat diese Studie auch eine politische Bedeutung, denn die Archäologie zeigt eindeutig, dass Jonas Kreienbaum mit seiner These recht hatte: Auf der Haifischinsel starben sehr viele Menschen, aber es handelte sich nicht um einen intendierten Genozid. Zum einen spricht dagegen, dass die verfeindeten Herero und Nama nicht in einem »Gefangenenkraal« zusammengepfercht wurden, sondern nebeneinander liegende Flächen zugewiesen bekamen. Ihre genaue Lage konnte während des Surveys anhand von Fotos der Kolonialzeit bestimmt werden. Zum Zweiten wurden mehrere Gebäude einer Krankenstation dokumentiert. Eine wichtige Grundlage für die Identifikation war eine wohl 1915 entstandene Kartenskizze eines »Native Hospital«, die erstmals lokalisiert werden konnte. Ihre Bedeutung kann nicht hoch genug angesetzt werden, denn sie benennt die Nutzung der einzelnen Gebäude und ihrer Räumlichkeiten. Während des Surveys wurden die Strukturen aufgefunden und mit GPS eingemessen. Die Trennung dieses Bereichs vom Lager selbst sowie die differenzierte Aufteilung in einen Krankentrakt und einen Quarantänebereich sprechen für eine vergleichsweise gute medizinische Versorgung der Internierten. Wäre die Vernichtung der Herero und Nama beabsichtigt gewesen, hätte man auf diese Einrichtung verzichten können. Vermutlich steht sie in direktem Zusammenhang mit der Rheinischen Missionsgesellschaft, die Ende 1905 eine feste Station in Lüderitzbucht gründete. 

Auch wenn kein Genozid intendiert war: Das Konzentrationslager auf der Haifischinsel führte zu einem Massensterben. Da stellt sich heute die Frage, wie man an diese Geschichte erinnern kann. Derzeit existiert auf der Insel nur eine Gedenkstätte für den Stadtgründer Adolf Lüderitz und einige deutsche Soldaten, die 1976 hierher umgebettet wurden, sowie ein Mahnmal für den Nama-Anführer Cornelius Fredericks, der hier mit 167 Männern, 97 Frauen und 66 Kindern zu Tode kam. An das Schicksal der Herero erinnert dagegen nichts, auch einen Hinweis auf das Konzentrationslager vermisst man. In Namibia werden zudem Stimmen laut, inwieweit es ethisch vertretbar sei, an dieser Stelle einen Campingplatz zu betreiben. Dank der Ergebnisse dieses Projekts könnte nun eine Tafel mit einem Plan aufgestellt werden, um allen Besuchern einen Hinweis auf diese dunkle Geschichte zu vermitteln. Weiter sind Ausstellungsprojekte in Namibia und in Deutschland geplant, damit die Erinnerung in beiden Ländern nicht verblasst. 

Was leistet nun die Archäologie in der Kolonialismusdebatte? Sie lehrt uns zu differenzieren: Es gibt »Fifty Shades of Grey«, nicht jedes menschliche Drama muss ein Genozid sein. Die Gleichsetzung mit dem Holocaust ist auf jeden Fall abzulehnen. Sie zeigt auch, wie in Kooperation mit Kolleginnen und Kollegen in Namibia Geschichte neu geschrieben werden kann. Es gibt noch viele Themen, die man außer der Restitution von Objekten gemeinsam erforschen kann. 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 10/2022.