D arüber, was Archäologinnen und Archäologen tun, scheint beim allgemeinen Publikum Klarheit zu bestehen: Graben, genauer gesagt Ausgraben, und zwar am besten Schätze. Verbunden wird dies gerne mit einer geradezu romanhaften Vorstellung von Abenteuertypen im Stil eines Indiana Jones oder einer Lara Croft, die in entsprechendem Outfit – luftige Kleidung, Tropenhelm oder andere Sonnenschutzutensilien sind unabdingbare Bestandteile dieser Vorstellungswelt – in klimatisch meist aufgeheizten Szenarien, wahlweise Urwald oder Wüste, stets mehr oder minder lebensgefährliche Expeditionen auf der Suche nach sensationellen Entdeckungen durchführen; und bedeutend sind solche Funde erst dann, wenn der Edelmetallwert der hierbei aus dem Boden geholten Objekte stimmt. Nicht weniger klar ist, was die vielen Archäologinnen und Archäologen weltweit über solche populären Sichtweisen dachten bzw. immer noch denken, auch wenn manche von ihnen ihr eigenes Erscheinungsbild aus welchen Gründen auch immer gelegentlich dem Klischee angepasst haben. So ist es auf der einen Seite zwar hilfreich, dass die Archäologie auf ein interessiertes Publikum hoffen kann, welches mit dieser wissenschaftlichen Disziplin eher spannende Unterhaltung als langweilende Belehrung verbindet, doch führt dies auf der anderen Seite dazu, dass es die Archäologinnen und Archäologen sehr schwer haben, in der Öffentlichkeit ihr Potenzial an archäologischen Erkenntnismöglichkeiten als Teil eines gemeinsamen Wissensdiskurses über die Entwicklung der Menschheit voll auszuschöpfen.
Zunächst einmal ist festzuhalten, dass es »die« Archäologie als nur »eine« Wissenschaftsdisziplin gar nicht gibt. Es muss vielmehr im Plural von archäologischen Wissenschaften gesprochen werden. Für die antiken Griechen, die gewissermaßen die »archaiologia« erfanden, war sie in wörtlicher Übersetzung aus dem Altgriechischen die Lehre – griechisch logos – von den Altertümern – griechisch archaios = alt – schlechthin. Über »archaeologia« im Lateinischen hat das Wort dann später Eingang in viele moderne Sprachen gefunden, dabei allerdings zunächst reduziert auf die Bedeutung, Wissenschaft von den materiellen Hinterlassenschaften der griechischen und römischen Antike. Diese sowohl zeitliche als auch geografische Verengung fand ihre Entsprechung in dem Begriff »Klassische Archäologie«, mit dem zugleich auch eine kulturelle (Be-)Wertung der beiden antiken Mittelmeerkulturen als vorbildhaft für Europa schlechthin intendiert war. Auch wenn der Terminus weiterhin verwendet wird, so hat sich in einem bereits im 19. Jahrhundert beginnenden Prozess der Spezialisierung längst die Erkenntnis durchgesetzt, dass es im Sinn einer Beschäftigung mit den jeweiligen Anfängen sehr viele »Archäologien« ganz unterschiedlicher Kulturen bzw. Wissensfelder geben kann und dass diese grundsätzlich als gleichrangig zu gelten haben. Allerdings hat es nicht jede Archäologie vermocht, zugleich auch eine eigene Universitätsdisziplin mit speziellen Lehrstühlen zu werden. Nichtsdestotrotz gibt es gegenwärtig in Deutschland eine doch recht breit aufgestellte archäologische Wissenslandschaft, die beileibe nicht nur die ältere europäische und außereuropäische Menschheitsgeschichte von ihren Anfängen bis zur Ausprägung der ersten Hochkulturen in den Blick nimmt, sondern über Mittelalterarchäologie bis hin zur Industriearchäologie einen großen zeitlichen und geografischen Rahmen aufweist, der im Grunde genommen bis in unsere eigenen Tage reicht. Ebenso vielfältig sind die fachwissenschaftlichen Berufsfelder von Archäologinnen und Archäologen. An erster Stelle zu nennen sind dabei die klassischen Tätigkeitsbereiche (Boden-)Denkmalpflege, Forschungsinstitute, Museen und Universitäten. Sie alle eint ein mittlerweilesehr weit gefasstes Erkenntnisinteresse, das in aller Regel eine interdisziplinäre Arbeitsweise voraussetzt. Die Grenzen zu anderen Geistes- und Sozial-, aber auch zu den Naturwissenschaften sind fließend. Die enormen Datenmengen, die dabei erfasst und gedanklich bewältigt werden müssen, haben dazu geführt, dass Archäologinnen und Archäologen dem digitalen Wandel sehr aufgeschlossen gegenüberstehen. Allenthalben werden neue Projekte zur Stärkung der digitalen Forschungsinfrastruktur entwickelt und realisiert. Exemplarisch sei an dieser Stelle der von vielen Institutionen getragene NFDI4Objects-Antrag zu nennen, der darauf angelegt ist, für die Wissenschaftscommunity die Verfügbarkeit digitaler archäologischer Forschungsdaten langfristig zu sichern.
Im Grunde genommen gibt es kaum ein aktuelles Thema, zu dem die archäologischen Wissenschaften nicht etwas Substanzielles beitragen könnten; und es fehlt auch nicht an Versuchen von Fachvertreterinnen und Fachvertretern, sich in solche gegenwärtigen Debatten einzubringen. Die Frage ist nur, auf welche Weise dies am erfolgreichsten gelingen kann. Wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Publikationen erreichen zwar weiterhin eine Leserschaft, die freilich – traut man den Verkaufszahlen, die einschlägige Verlage klagend verkünden – immer kleiner zu werden scheint. Dass das schwindende Interesse eher am Medienformat selbst liegt als am Inhalt, legen die Besucherzahlen archäologischer Sonderausstellungen in den großen Museen und Ausstellungshäusern nahe. Die Begeisterung für archäologische Themen ist augenscheinlich ungebrochen, was auch für entsprechende einschlägige Filmdokumentationen auf Fernseh- und Videokanälen gilt. Es scheint offenbar ein Grundbedürfnis vieler zu sein, Zeitreisen zu den Anfängen der globalen Menschheitsgeschichte unternehmen zu wollen.
Dieses Interesse, auch wenn es gelegentlich nicht recht tiefgründig wirkt und eher im Deckmantel vermeintlicher Abenteuerlust daherkommt, hat ungeheures Potenzial. Was ist damit gemeint? Offenkundig gibt es nicht wenige, die sich von archäologischen Sachverhalten emotional angesprochen fühlen, denen das Aufspüren, das Entdecken von Wissen Freude bereitet. Sich archäologisch zu betätigen, heißt letztlich nichts anderes, als den Dingen im wahrsten Sinn des Wortes auf den Grund gehen zu wollen. Wer weiß, wie akribisch Archäologinnen und Archäologen im Team mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern arbeiten müssen, um aus den Fragmenten vergangener Zeiten einstiges menschliches Leben zu rekonstruieren, kann ermessen, wie wichtig eine solch exakte Herangehensweise gerade in einer immer hochkomplexer agierenden vernetzten globalen Wissensgesellschaft ist. Insbesondere im schulischen Geschichtsunterricht vergibt man eine große Chance, indem archäologische Unterrichtseinheiten in den Lehrplänen weitestgehend fehlen. Hinzu kommt die Tatsache, dass die archäologische Analyse visuell erfassbarer menschlicher Selbstdarstellungsformen exemplarisch eine Schule des Sehens bietet, die ebenfalls von zentraler Bildungsbedeutung ist. Wer einmal gelernt hat, wie herrschende Eliten vergangener Kulturen sich gerade der Macht der Bilder bedienten, wie sie diese manipulierten und als politische Waffen einsetzten, sollte sich nicht zu leicht von Fake News und anderen Desinformationskampagnen unserer heutigen Zeit beeindrucken lassen. Und schließlich muss auf den Aspekt der kulturellen Verständigung hingewiesen werden. Allein die Betrachtung des gesamten Mittelmeerraumes und der angrenzenden Gebiete in Afrika, Asien und Europa während der Zeit bis zum Ende der Antike offenbart nicht nur eine Vielzahl höchst unterschiedlicher kultureller Gruppen, sondern eben auch deren beeindruckende Vernetzung. Solche frühen Globalisierungsphänomene bereits in der Schulzeit gemeinsam zu erkunden und dabei das Verbindende herauszustreichen, dürfte den Zusammenhalt in vielen sprachlich und kulturell diversen Klassen stärken. Der Heimatbegriff ließe sich auf diese Weise nicht nur für Migrantinnen und Migranten, sondern für alle Beteiligten mit auf Gemeinsamkeiten setzenden, identitätsstiftenden Inhalt füllen und auf diese Weise ein neues kulturelles »Wir-Gefühl« erzeugen. Welche Möglichkeiten die archäologischen Wissenschaften heute haben, solche Themen gewinnbringend zu bedienen, hat zuletzt in sehr eindrucksvoller Weise die Sonderausstellung »Bewegte Zeiten – Archäologie in Deutschland« gezeigt, die 2018/2019 in Berlin im Martin-Gropius-Bau zu sehen war. In internationaler Hinsicht hat das bereits 1829 gegründete heutige Deutsche Archäologische Institut (DAI) als Teil der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes diese wichtige Aufgabe übernommen.
Deutlich wird, die archäologischen Disziplinen zeichnen sich durch ihre Beschäftigung mit zentralen Problemstellungen unserer eigenen Gesellschaften aus. Diese Auseinandersetzungen mit wichtigen Grundsatzfragen menschlichen Daseins eröffnen Langzeitperspektiven, die dabei helfen können, gesellschaftlich bedenklichen Klischees und vorschnellen Schlüssen vorzubeugen. Das Fachgebiet Archäologie steht demnach heute für umfassende vielfältige Sichtweisen auf die globale frühe Menschheitsgeschichte, die dezidiert das Ziel verfolgen, ältere stereotype Deutungsmuster jedweder Couleur zu überwinden und durch eine kulturell-gleichberechtigte wertschätzende diverse Sicht zu ersetzen. Insofern ist es heute schlichtweg nicht mehr möglich und auch gar nicht zielführend, einen wie auch immer gearteten Kanon der vermeintlich wichtigsten Ausgrabungsstätten und Funde zu erstellen. Dass das archäologische Erbe als Tourismusmagnet eine nicht zu unterschätzende große wirtschaftliche Bedeutung hat, dürfte sattsam bekannt sein. Archäologie ist darüber hinaus für jeden Ort der Welt von Interesse, weil hierdurch sowohl lokale Traditionen als auch gleichermaßen regionale wie überregionale Verflechtungen sichtbar werden, die es ermöglichen, sich selbst und die Gemeinschaft, in der man lebt, kulturell und historisch zu verorten. Dies dürfte die eigentliche Bedeutung von Archäologie sein. Sie schafft ideelle Werte, deren identitätsstiftende Bedeutung für eine Gesellschaft letztlich nicht hoch genug zu veranschlagen ist.