In den letzten Jahren haben sich digitale Methoden in den Altertumswissenschaften erheblich weiterentwickelt. Neben etablierten Technologien wie Online-Datenbanken und digitalen Kursmodulen gewinnen spielerische Ansätze in der Lehre zunehmend an Bedeutung. Diese methodische Erweiterung basiert auf der Erkenntnis, dass Spiel intrinsisch motiviert und explorativ ist, während traditionelle Lehrformen oft einem zielgerichteten Arbeitsmodell folgen. Durch die Integration spielerischer Elemente lassen sich Kreativität, individuelle Entwicklung und das Engagement der Studenten fördern. Zudem eröffnen sie neue Möglichkeiten, geisteswissenschaftliche Forschung zeitgemäß zu vermitteln. Münzen bieten sich als Kulturgut für diesen Ansatz aufgrund ihrer Mehrdimensionalität mit den Eigenschaften Materialität, Bild und Schrift besonders gut an. An der Universität Tübingen wurde in Kooperation zwischen der Numismatischen Arbeitsstelle des Instituts für Klassische Archäologie und dem Masterprofil Digital Humanities im Wintersemester 2023/24 das Seminar »Playful Numismatics. Computerspielbasierte Wissensvermittlung von römischen Münzen« durchgeführt. Ziel der Veranstaltung war es, Studenten mit antiker Numismatik vertraut zu machen und gleichzeitig die Entwicklung interaktiver Lernspiele mithilfe der Software RPG Maker MV zu ermöglichen. Diese Anwendung erlaubt die Erstellung von Rollenspielen (RPGs) ohne Programmierkenntnisse und fördert damit zugleich einen niederschwelligen Zugang zur Spieleentwicklung – eine zusätzliche Kompetenz, die Studenten der Altertumswissenschaften in einer sich schnell entwickelnden digitalen Welt mitgegeben wird.
Die Teilnehmer des Seminars setzten sich aus Studenten der Klassischen Archäologie und der Digital Humanities zusammen, von denen nur wenige Vorkenntnisse in Informatik oder Numismatik besaßen. Der Kurs war in vier Phasen unterteilt: (1) Einführung in die römische Numismatik und die Software, (2) Entwicklung eines Spielkonzepts, (3) praktische Umsetzung und (4) Testen und Debugging. Vier studentische Teams entwickelten jeweils ein eigenes Spiel mit dem Ziel, Inhalte über römische Münzen für ein breites Publikum aufzubereiten. Die fertigen Spiele wurden über die Plattform NumisGames veröffentlicht, sodass die User die einzelnen Spiele direkt in ihrem Browser über eine verlinkte URL spielen können.
Aufgrund von Platzbeschränkungen wird hier nur eines der Spiele ausführlicher behandelt: Das erste veröffentlichte Spiel heißt »Neros neue Münze.« In diesem Spiel übernimmt der Spieler die Rolle des Kaisers Nero, der als sympathische und bemitleidenswerte Figur dargestellt wird, während er gegen die Windmühlen der Hofverwaltung kämpft. Mit viel Humor schlägt das fiktive Alltagsleben des Kaisers eine Brücke zur Gegenwart und unseren (meist negativen) Erfahrungen mit der Bürokratie. Nach dem erfolgreichen Abschluss mehrerer Mini-Quests – darunter bewusst grotesk überzeichnete Aufgaben wie das Besorgen eines neuen Bürostuhls aus dem Keller für einen launischen Verwaltungsbeamten – kann Nero schließlich eine neue Münze prägen lassen. Im Verlauf des Spiels vermitteln Dialoge mit zentralen Nicht-Spieler-Charakteren (NPCs) Wissen über das Design der Porträts auf römischen Münzen, die Texte auf Münzen sowie die verschiedenen Metalle, aus denen die Münzen hergestellt wurden. Die humorvolle Auseinandersetzung mit historischen Gegebenheiten erleichtert den Zugang zu den komplexen Inhalten.
Die vier in dem Seminar entwickelten Spiele vermitteln Wissen über römische Münzen aus studentischer Perspektive für die eigene Peer-Group. Durch die Einbeziehung fiktionaler Erzählungen, die in erfundenen historischen Realitäten und Mythen spielen, vermitteln die Spiele spezialisierte Inhalte auf eine Weise, die über traditionelle Wissensvermittlung wie akademische Vorlesungen, Ausstellungspräsentationen oder den Unterricht im Klassenzimmer hinausgeht. Dieser Ansatz trifft besonders gut auf die Zielgruppe. Aufgrund von Beschränkungen der Software weicht die visuelle Gestaltung von historischer Authentizität ab. So wurden Charaktere im Stil klassischer Fantasy-Rollenspiele dargestellt, während moderne Objekte, z. B. Teddybären, bewusst in antike Kontexte integriert sind. Diese Verschmelzung unterschiedlicher Realitäten ist ein zentrales Merkmal des Reizes der Spiele und bietet den Spielern – insbesondere denen, die mit der Materie nicht vertraut sind – einen Einstieg in die Thematik der römischen Münzen sowie eine zugängliche Möglichkeit, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Die Integration von authentischen Münzbildern aus digitalen Sammlungen verstärkt den Kontrast zwischen spielerischer Ästhetik und realen Artefakten. Insgesamt zeigt das Projekt, dass spielerische Ansätze eine vielversprechende Ergänzung zur traditionellen Wissensvermittlung darstellen, um das Kulturgut Münze einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.