Von jeher sind Münzen nicht nur Zahlungsmittel, von Herrschern bzw. Staaten herausgegeben und in großer Stückzahl seriell hergestellt. Sie sind auch Träger von Informationen, die über Aussagen zu Wert und Geltungsbereich hinausgehen: Die (Selbst-)Darstellung von Herrschern oder die Wahl der Gegenstände und Zeichen, die der Darstellung würdig erschienen, machen Münzen zu Bildträgern im Kleinstformat, die über den historischen Kontext Auskunft geben, der sie – im Wortsinn – prägte. Seit es grenzüberschreitenden Handel gibt, finden Neugierige in den Münzen authentische Botschafter räumlich und zeitlich ferner Kulturen. Sie sind Primärquellen für das Verständnis ihrer Bildwelten oder Anlass für die Erforschung der Geschichte und Lebenswelt anderer Weltgegenden – wie auch der eigenen.

Das Dargestellte prägt in Auswahl und Gestaltung das Bild, das sich andere vom Herausgeber machen – oder machen sollen. Es wundert daher nicht, dass sich anhand von Münzen mindestens seit dem 19. Jahrhundert auch die oft hitzigen Debatten um die würdige Darstellung nationaler Symbole verfolgen lassen. Sie zeigen, dass Münzen nicht nur ökonomische, sondern auch emotionale Bedeutung haben, die an das Selbstverständnis der Gemeinschaft im Geltungsbereich des Zahlungsmittels rühren.

Im Euroraum sind schon lange nicht mehr Herrscher oder Staatsoberhäupter die Münzherren und – mit Ausnahme der Monarchien – auch nicht mehr die Abgebildeten. An ihre Stelle traten andere – und damit andere Motive. Aber welches Bild soll vermittelt werden? In Deutschland werden hierfür Vorschläge aus der Bevölkerung entgegen- und ernstgenommen, Umfragen in Zeitschriften helfen dem zuständigen Bundesfinanzministerium bei der Themenfindung, Konzepte für Münz-Serien werden in Zusammenarbeit mit Stiftungen und Verbänden entwickelt. Für die Gestaltung werden Wettbewerbe öffentlich ausgeschrieben, also die kreativen Leistungen herausgefordert, und die besten Ideen durch Preisgerichte prämiert.

Welche Schlüsse lassen nun die Motive auf unseren Münzen zu? Betrachten wir hier nur die 2-Euro-Münzen, von denen jedes Land im Euroraum neben der »Standardausführung« (in Deutschland mit dem Adler) jährlich zwei Motive »mit Gedenkcharakter« herausgeben kann, und die sich zum beliebtesten Sammelobjekt entwickelt haben. Nach einer Zeit der Gewöhnung an die neue Währung startete Deutschland 2006 eine Serie, die Grundsätzliches zur politischen Ordnung mitteilt: In der Reihenfolge des Vorsitzes in der Länderkammer wird jedes Bundesland mit einer Münze gewürdigt, ein markantes Bauwerk, das die Länder selbstverständlich selbst vorschlagen, soll hier das Land bildlich vertreten. Es stellt sich also der föderal verfasste Staatskörper vor, aber nicht simultan, sondern sukzedan, in 16 Jahren, mit dem langen Atem gewissermaßen, der bisweilen auch für die politische Entscheidungsfindung in seinem Innern benötigt wird. Ohne dass dies beabsichtigt war, verweisen die ausgewählten Gebäude selbst zudem auf seine zweite, ältere Haut: Schlösser und Kirchen – Zeugen mithin der feudalen wie christlich geprägten Vergangenheit des Landes.

Nach vier weiteren Münzausgaben »mit Gedenkcharakter«, die Gemeinschaftsmünzen mit anderen Ländern waren, widmete Deutschland 2015 seine erste eigene Gedenkmünze neben der Bundesländerserie der Wiedervereinigung. Mit dem Abstand von inzwischen 25 Jahren zeigt sich das Motiv von Menschen, die vor dem zum Symbol für Einheit und Freiheit gewordenen Brandenburger Tor jubelnd die Arme hochreißen, noch als tauglich – samt der dreifachen Wiederholung der fröhlichen Feststellung »Wir sind ein Volk«, die nach Art eines Spruchbandes Teil der Gestaltung ist.

Nur vier Jahre später widmet sich eine Münze (gemeinsam mit Frankreich) diesem Thema: Auch nach inzwischen 30 Jahren sind jubelnd hochgerissene Arme vor dem Hintergrund des Brandenburger Tores motivbestimmend, nun noch begleitet von drei Friedenstauben. Auch die Demonstrationsparole »Wir sind ein Volk« ist subkutan enthalten: Es ist der Titel des Mauerbildes von Schamil Gimajev, das die Münze am rechten Bildrand ausschnittsweise wiedergibt.

Zum 35. Jahrestag der Deutschen Einheit erscheint nun eine weitere Münze zum Thema, aber im Jahr 2025 sind die jubelnden Menschen auf der Münze verschwunden, nur die Schrift ist geblieben: »WIR SIND EIN VOLK« steht, in Versalien, in vier Zeilen untereinander, in der Horizontalen versetzt und eine Spalte öffnend dem Ausgabeanlass »35 JAHRE DEUTSCHE EINHEIT« gegenüber. Die Beschränkung auf die Typografie lässt die Münze auf den ersten Blick schlicht erscheinen – und den plastische Gestaltungen liebenden Numismatiker unbefriedigt. Der zweite Blick sieht das mittig platzierte, leicht vergrößerte »D«, das sich beide Aussagen teilen, als verbindendes Element der zwei Textblöcke, die durch die versetzten Horizontallinien, die sie rahmen, wohl auf die Maueröffnung verweisen.

Ist die bejubelte Maueröffnung hier zur Bruchstelle geworden, die jubelnde Menge unzeitgemäß, die zeitgenössische Vorstellung »Wir sind ein Volk« unerfüllt? Betont der Entwurf das Trennende, oder verweist er auf die notwendige Arbeit am Zusammenhalt als Daueraufgabe? Oder gibt es, eine Generation nach den historischen Ereignissen, schlicht kein allgemeinverständliches Bildzeichen zu dem historischen Ereignis mehr – abseits von »Jubelnde vor dem Brandenburger Tor«, das ja inzwischen eher für die obligatorische Fanmeile steht? Auch die Gestaltungsaufgabe im öffentlichen Raum zu Mauerfall und Wiedervereinigung zeigte sich ja als schwierig: Das Freiheits- und Einheitsdenkmal steht noch immer nicht, fiel also als Vor-Bild für die Münzgestaltung aus. Wohl auch deshalb eignete sich nun einzig die Schrift für die Lösung der Gestaltungsaufgabe und die Parole als gegenwärtige Vergangenheit einer ganzen Generation.

So schwierig die Aufgabe bleibt: Auch zu den nächsten Jubiläen von Mauerfall oder Wiedervereinigung wird es in Deutschland sicher wieder Münzen »mit Gedenkcharakter« geben. Auch das sagt einiges über den »Münzherren« aus.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 4/2025.