Seit 1953 gibt die Bundesrepublik regelmäßig Gedenkmünzen heraus. Von der Themenfindung über die Auslobung sowie Begleitung der Wettbewerbe, Prüfung und Jurierung der Entwürfe, zur Beschlussfassung im Kabinett bis hin zur Werkzeugherstellung, Prägung und Ausgabe durch die Münzstätten sind zahlreiche Menschen mit jeder einzelnen neuen Münze betraut. Doch wer gestaltet die Entwürfe der Staatszeichen? Die Münzgestalterin Anna Martha Napp und der Münzgestalter Bodo Broschat im Gespräch mit Johannes Eberhardt.
Anna Martha Napp: Das Komprimieren ist eine Herausforderung
Die Bildhauerin und Medailleurin Anna Martha Napp studierte nach einem freiwilligen Jahr in der Denkmalpflege von 2003 bis 2012 Bildhauerei an der Burg Giebichenstein in Halle an der Saale. Sie lebt und arbeitet in Maßlow bei Wismar. Ihr mehrfach preisgekröntes Werk umfasst Skulpturen, Plastiken, Medaillen und wiederholt Gedenkmünzen der Bundesrepublik.
Was hat Sie dazu gebracht, sich für die Gestaltung von Münzen zu betätigen?
Hauptsächlich ist all dies über meinen Professor für Bildhauerei, Bernd Göbl, an der Burg Giebichenstein in Halle entstanden. Er hat immer sehr für die Medaille als Kleinrelief geworben. Während des Studiums nahm ich an einem Künstler-Nachwuchswettbewerb teil. Hier konnte relativ frei eine Persönlichkeit gewählt werden, zu der man ein Porträt gestaltete. Ich habe damals Niklas Luhmann ausgewählt. So wurde ich in die Künstlerkartei aufgenommen und werde seither regelmäßig zu Wettbewerben eingeladen. Ich habe dann gelernt, wie es geht, solch eine Münze überhaupt zu machen, die zahlreichen Techniken anzuwenden.
Was bedeutet es heute für Sie, sich an den ausgeschriebenen Wettbewerben zu beteiligen?
Ich finde besonders spannend daran, dass man sich immer mit verschiedenartigen Themen auseinandersetzsetzen muss. Dieses Hineinarbeiten bereichert die eigene künstlerische Arbeit. Manche Themen sind mir dabei schon von Beginn an sehr nah. Bei anderen braucht es eine gewisse Annäherung, so zum Beispiel für eine Münze aus dem Jahr 2016 zum Thema »175 Jahre Deutschlandlied«. Nach anfänglicher Skepsis war es spannend, sich mit der Persönlichkeit August Heinrich Hoffmann von Fallersleben zu beschäftigen. Das ist das Spannende für mich als Künstlerin: für dieses kleine Rund ein möglichst aussagekräftiges Bild zu finden, das aber auch viel Inhaltliches transportiert. Dieses Komprimieren ist eine Herausforderung.
Wie gehen Sie die Gestaltung an?
Von Fallersleben hat das Lied auf Helgoland geschrieben, also habe ich ein Bild geschaffen, mit der Langen Anna, der einprägsamen Küstenlinie und dies mit dem Porträt verbunden. Den schönen Kurrentschriftschwung des Dichters habe ich als Wellen des Meeres gestaltet. Das versuche ich immer – und das kommt wahrscheinlich einmal mehr und dann wieder weniger gut an: in die Entwürfe eine persönliche Komponente einzubringen, einen persönlichen Blick. Ich wähle den persönlichen Blick, weil ich denke, dass Kunst eine Möglichkeit ist, durch die Augen eines anderen auf die Welt zu sehen.
Wie fühlt es sich an, die eigenen umgesetzten Entwürfe bei Sammlern und Münzhändlern und etwa in den sozialen Medien, zum Beispiel des Münzherren, vorzufinden?
Das ist schon cool! Ich bin schon stolz. Ich habe jetzt bereits viele Jahre mitgemacht, schon einmal den zweiten Platz gemacht und mit Marienkäfer und Hainschwebefliege auch den ersten. Es ist erstaunlich, wie viele Leute mich dann ansprechen, die meine Arbeit früher nicht wahrgenommen haben.
Vom Münznachwuchswettbewerb sind wir beim Thema Münzkunst angelangt: Sie haben bereits als Dozentin an der Hochschule – gefördert durch die Deutsche Gesellschaft für Medaillenkunst – das Medaillenmachen unterrichtet und auch im Münzkabinett im Bode-Museum einen Medaillenworkshop durchgeführt: Was wünschen Sie sich für die Zukunft des Mediums Münze?
Ich finde, dass man es sieht, wenn die Entwürfe am Computer erstellt worden sind. Ich finde, dass im Handgemachten ein anderes Leben steckt. Die Frage ist vielleicht, wie lange die Menschen noch in der Lage sind, den Unterschied wahrzunehmen. Ich denke, dass man tief im Inneren doch noch wahrnehmen wird, ob Münzen per Hand oder am Computer gemacht wurden. Auch wenn sie dann nicht perfekt sind, aber das macht ja gerade den Reiz aus.
Was würden Sie technisch und künstlerisch gerne einmal ausprobieren oder umgesetzt sehen?
Dass alles bleibt, wie es ist, und handgemachte Modelle noch akzeptiert werden und dass es hierfür weiterhin eine Wertschätzung geben wird. Inhaltlich verspricht die kommende Serie zu berühmten Frauen eine großartige Wahl zu sein. Und was nun wieder aktueller denn je ist, etwa gesellschaftliche und politische Vorbilder zu thematisieren!
Haben Sie einen eigenen Lieblings-Münzentwurf?
Was mir sehr viel Spaß gemacht hat, waren die Bremer Stadtmusikanten, die alle durch ein Fenster springen. Hier steckt so viel Bewegung in einer Münze. Fallersleben fand ich auch schön: ein kalligrafisches Spiel mit Schrift als Gestaltungselement Welle. Auch den Marienkäfer fand ich gut. Mir war wichtig, dass man das Gefühl hat, dass das Tierchen einen gleich ankrabbeln könnte. Dass es aus dem Rund rauskommt – und dass es in seinem Habitat beinahe eine Persönlichkeit bekommt.
Was bedeuten Münzen Ihnen als Künstlerin?
Ein Nischenfeld. Es ist kein lautes Medium, aber das ist es, was mich daran reizt. Ich mache ohnehin hauptsächlich Kleinplastiken. Münzen können im kleinen Format große Kraft entfalten.
Bodo Broschat: Wichtig sind mir die vielschichtigen Themen
Der Berliner Medailleur und Münzgestalter Bodo Broschat arbeitete seit 1975 in der VEB Münze der DDR, heute Staatliche Münze Berlin. Nach der Lehre als Münzgraveur wurde er Meister und bildete selbst Graveure aus. Seit 1990 ist er freischaffend für verschiedene Münzstätten und Medaillenhersteller tätig.
In einem Interview in der Zeitschrift »Prägefrisch« aus dem Jahr 2009 wurden Sie mit neun umgesetzten Münzen bereits als »einer der erfolgreichsten deutschen Münzgestalter« vorgestellt. Bis heute kamen noch 13 erfolgreiche Münzentwürfe hinzu. Warum machen Sie Münzen?
Weil ich sonst nichts kann! Mein Großvater war Kunstschlosser. So konnte ich schon einiges ausprobieren. Nach der Schule begann ich in der Berliner Münze eine Graveurausbildung. Später habe ich bei einem Lehrgang an der Kunsthochschule Weißensee viel von Heinz Hoyer lernen können. Dort ging es zum Beispiel darum, wie eine Skulptur aufgebaut wird. Wir haben Porträts modelliert, das wurde dann umgegossen. Dass ich später dabei gelandet bin, hauptsächlich Medaillen und Münzen zu machen, kam durch die Wende. Nach dem Handwerksmeister und der Begabtenförderung der Handwerkskammer Berlin wagte ich den Sprung zur Selbständigkeit mit eigener Werkstatt in Marzahn auf einem Künstlerhof. In der Wendezeit hat man sich so frei gefühlt! Man konnte alles machen. Man musste alles machen.
Damals beschäftigten die Münzstätten noch keine eigenen Graveure, sondern beauftragten Selbstständige. Daher schied ich auch aus der Berliner Münze aus. Von der Hamburgischen Münze bekam ich meine ersten Aufträge, Prägewerkzeuge herzustellen. Irgendwann kam die Frage, ob ich nicht selbst Modelle und Entwürfe machen möchte. Der Direktor der Hamburgischen Münze war es auch, der mich fragte, ob ich nicht an einem Münzwettbewerb teilnehmen möchte. Er empfahl mich und ich wurde eingeladen. Ich habe bei den Münzwettbewerben wiederholt den zweiten bis vierten Platz belegt; 2002 habe ich dann mit »100-Jahre-U-Bahn« einen Siegerentwurf eingereicht.
Was bedeutet es heute für Sie, sich an den ausgeschriebenen Wettbewerben zu beteiligen? Was hat sich bei den vielen Jahren für Sie geändert?
Eigentlich nichts. Bei manchen Entwürfen war ich mir nicht sicher, ob das funktioniert, ob es überhaupt ausgewählt wird. Es ist auch die eigene Meinung, die man mit den Entwürfen vertritt. Manchmal hatte ich das Gefühl, ich habe mich zu weit vorgewagt. Dann dachte ich: Das wählt die Jury bestimmt nicht aus, aber es musste einfach mit drauf.
Wie gehen Sie die Gestaltung an?
Bei den ersten Münzen bin ich viel in Berlin herumgefahren, habe die Bibliotheken abgeklappert, um Material zu finden. Bei der Münzgestaltung ist ja so ziemlich jedes Thema dran, und man muss sich erst einmal einlesen. Mir war es immer wichtig, dass vom Entwurf bis zu den fertigen Werkzeugen alles aus einer Hand kommt. Gerade die Themen, bei denen man zu Anfang denkt, das ist schwierig, sprudelt man plötzlich über vor Ideen. Das Einzige, was ich nicht machen möchte, sind Farbmünzen. Eine Münze ist für mich etwas, was man in die Brieftasche stecken kann, ohne dass das Bild dann verloren geht.
Wie nähern Sie sich den Münzen inhaltlich an?
Wenn ich eingeladen werde, lese ich die Ausschreibung, informiere mich weiter, dann schaue ich, was es schon alles zum Thema gibt. Manchmal kommt die Idee im Alltag. Bisweilen zeichne ich aber auch darauf los. Für das »175. Jubiläum Paulskirchenverfassung« 2024 etwa war mir ein Buch mit einer Feder oder die Kirche zu wenig. Ich dachte, man muss die Entstehung der Verfassung und deren Inhalt zeigen. Es sollte mit den Münzen Interesse geweckt werden, sich weiter zu informieren. Auch der Bund möchte Wissen vermitteln. Und die Münzen gehen in die Welt. Da musst du auch Emotionen rüberbringen.
Was würden Sie technisch gerne einmal ausprobieren oder umgesetzt sehen?
Die Technik, die es heute in den Münzstätten gibt, ist beeindruckend. Diese wird aber vor allem dazu benutzt, die Münzherstellung günstiger zu machen. Wenn man die modernen Möglichkeiten mit bewährter Handarbeit kombinieren könnte, wären wirklich tolle Sachen möglich.
Was bedeuten Münzen für Sie ganz persönlich?
Wichtig sind mir die vielschichtigen Themen, gerade diejenigen, mit denen man sich von sich aus vielleicht selten abgeben würde. Oft sind diese am Ende die interessantesten. Manchmal sind die Vorgaben für die inhaltliche Umsetzung ziemlich eng. Aber so etwas Freies, wie für die Paulskirchenverfassung oder »50 Jahre Kniefall von Warschau« 2020, das sind Themen, die mir viel bedeutet haben. Die fand ich sehr wichtig und freue mich, dass sie dem Staat auch wichtig sind. Dass ich die gestalten konnte, war toll. Da bin ich richtig stolz drauf, gerade in der heutigen Zeit. Es ist auch wichtig, dass der Staat seine Meinung vertritt und nicht hin und her eiert.