Antike Münzen sind weit mehr als bloße Zahlungsmittel – sie sind ein einzigartiges Medium der Bildkommunikation. Sie geben nicht nur Auskunft über das, was auf ihnen dargestellt ist, sondern gewähren auch Einblicke in den historischen Kontext, in dem sie geprägt und genutzt wurden. Bildanalyse und kontextuelle Informationen lassen sich bei der Untersuchung von Münzen systematisch miteinander verknüpfen. Auf solche Weise verflochten, eröffnen Münzen eine besondere Perspektive auf die Bilderwelten der Antike und erweisen sich als einzigartige Quelle für deren Verständnis.
Historische Themen unterschiedlichster Skalierung – von Ereignissen internationaler Reichweite wie der Monetarisierung des Orients oder den Aufwendungen für die mithridatischen Kriege über regionale und lokale Entwicklungen bis hin zur Mentalitätsgeschichte – können ohne die numismatische Evidenz bestenfalls lückenhaft behandelt werden. Die Publikation, Analyse und Interpretation antiker griechischer Münzen als medial komplexe Objekte und deren intelligente Auswertung im digitalen Raum stehen aber noch ganz am Anfang. Zum 1. Januar 2025 startete deshalb an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW) ein neues langfristiges Akademienvorhaben »IMAGINES NVMMORVM: Thesaurus Iconographicus Nummorum Graecorum Online« Ziel des Projekts ist es, antike griechische Münzen systematisch für bildwissenschaftliche und kulturhistorische Fragestellungen zu erschließen. Das Vorhaben ist Teil des Akademienprogramms. Dieses Forschungsprogramm der deutschen Wissenschaftsakademien, koordiniert von der Akademienunion, dient der Erschließung, Sicherung und Erforschung des kulturellen Erbes weltweit. Es ist derzeit das größte geistes- und sozialwissenschaftliche Forschungsprogramm Deutschlands und international einzigartig.
Die Grundlage des Projekts bildet das Bildrepertoire griechischer Münzen aus der Zeit vom 7. Jahrhundert v. Chr. bis zum 3. Jahrhundert n. Chr. Diese wurden in einem Gebiet von Gibraltar über ganz Europa und Nordafrika bis nach Asien geprägt. Zum ersten Mal wird die Bildtypologie dieser Münzen umfassend dokumentiert, analysiert und einer breiten Öffentlichkeit in einer Online-Datenbank zugänglich gemacht. Die dabei entstehenden Normdaten und digitalen Werkzeuge werden auch für andere Bereiche der Altertumswissenschaft und für die Rezeptionsgeschichte nutzbar sein.
Das Projekt verfolgt mehrere Zielsetzungen. Das ist erstens die Erschließung der Sammlung des Berliner Münzkabinetts: Mit über 110.000 griechischen Münzen zählt diese Sammlung nicht nur hinsichtlich ihrer Quantität, sondern vor allem auch bezüglich ihrer Qualität und ihrer typologischen Vielfalt zu den weltweit bedeutendsten ihrer Art. Die Online-Publikation mit hochauflösenden Bildern, persistenten Identifikatoren und standardisierten Austauschformaten ist Kulturgutschutz und öffnet die Sammlung für die umfassende Nutzung in der internationalen Forschung weit über die Numismatik hinaus.
Eine weitere Hauptaufgabe liegt in der Erstellung eines umfassenden Bild-Thesaurus zur griechischen Münzikonographie: Durch die systematische Erfassung von Bildmotiven mit standardisierten Begriffen und Identifikatoren entsteht für die Altertumswissenschaften ein innovatives Forschungswerkzeug, das die Daten nach den FAIR-Prinzipien (Findable, Accessible, Interoperable, Reusable) im »Semantic Web« publiziert. Der Thesaurus ermöglicht eine kontextbezogene Auswertung der Münzbilder und macht Bildtransfers in der Antike sichtbar und ordnet sie historisch ein.
Entscheidend ist die Weiterentwicklung digitaler Infrastrukturen und KI-gestützter Werkzeuge. Nur damit wird es gelingen, die verschiedenen Kommunikations- und Kontextebenen der Münzen zusammenzuführen und die Millionen überlieferten Münzen in eine einheitliche Analysestruktur einzubinden und so zur Basis neuer bildwissenschaftlicher Fragestellungen zu machen. Diese werden paradigmatisch in mehreren Modulen untersucht, darunter solche zentralen Fragen: Wie entstehen Bildbedeutungen in Abhängigkeit und in Bezug auf spezifische räumliche Kontexte? Welche Rolle spielen Münzen als Vermittler zwischen Münzherren und Rezipienten? Welche Bildschemata und interkulturellen Einflüsse lassen sich nachweisen, wenn man die Materialität, Medialität und Serialität der Münzen in den Blick nimmt? Wie interagieren Bild und Text auf Münzen? Wie verändern sich Bildbedeutungen im Laufe der Zeit oder wie fungierten Münzen als Bilderfahrzeuge zwischen Antike und Gegenwart?
Dieses ambitionierte Projekt verbindet numismatische Grundlagenforschung mit modernen digitalen Methoden. Es eröffnet neue Perspektiven auf die antike Bilderwelt und schafft nachhaltige Forschungsinstrumente für die internationale Wissenschaft, in die es eng eingebunden ist.
Das auf 25 Jahre angelegte Projekt steht unter der Leitung von Annette Haug, Lehrstuhlinhaberin der Klassischen Archäologie der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Ulrike Peter, Projekt- und Arbeitsstellenleiterin an der BBAW, und Bernhard Weisser, Direktor des Münzkabinetts der Staatlichen Museen zu Berlin. Es wird in Kooperation der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften mit dem Münzkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin, dem Deutschen Archäologischen Institut, dem Big Data Lab der Goethe-Universität Frankfurt/Main und dem Centre for the Study of Ancient Documents, University of Oxford durchgeführt.
Das Akademienvorhaben kann auf den Erfahrungen und Vorarbeiten aufbauen, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und der Berliner Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit, Pflege und Gleichstellung finanziert wurden.
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Weitere Informationen finden sich im Internet unter: imagines-nummorum.eu & corpus-nummorum.eu