Sylvia Karges leitet das Münzkabinett der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Mit Ludwig Greven spricht sie über die politische, historische und kulturelle Bedeutung von Zahlungsmitteln.
Ludwig Greven: Was können uns Münzen über Geschichte und Kultur vergangener Zeiten sagen?
Sylvia Karges: Das Ablösen des Tauschhandels war eine wichtige kulturelle Entwicklung. Münzen gibt es seit ca. 2.700 Jahren. Vorher gab es aber schon andere Zahlungsmittel. Europäer haben die Münzen mit ihrem Wirtschaftssystem durch die Kolonialisierung in verschiedene Regionen der Welt gebracht. Im 17. Jahrhundert kamen in Europa die Geldscheine dazu, in China gab es sie schon im 10. Jahrhundert. Münzen wurden und werden auch zur Propaganda genutzt. Sie zeigen, wer herrscht, welche Jubiläen von den jeweiligen Staaten gefeiert wurden usw. Insofern sagen sie viel aus über die jeweiligen politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse.
In Demokratien sind, anders als in Monarchien und Diktaturen, meist keine Regierenden abgebildet.
Der maßgebliche Unterschied ist, ob die dargestellten Personen noch leben oder nicht. Bestes Beispiel sind wohl die US-amerikanischen Geldscheine, auf denen sich mehrheitlich verstorbene Präsidenten finden. Monarchen in demokratischen Ländern haben mehr repräsentative Zwecke, werden jedoch weiterhin auf Geld abgebildet: In Großbritannien und dem Commonwealth zirkulieren im Zuge der Thronnachfolge 2022 Elisabeth II. und Charles III. gerade gleichzeitig. Bei Diktaturen ist es nicht geradlinig: Lenin kam erst nach seinem Tod auf das sowjetische Geld, Stalin hingegen verausgabte Scheine mit seinem Abbild. Auf Münzen des NS-Regimes war Hindenburg, nicht Hitler, zu finden, Letzterer aber auf Briefmarken. Auf DDR-Geld waren nicht die SED-Generalsekretäre abgebildet, sondern Marx und Engels. Saddam Hussein und zuletzt Baschar al-Assad betrachteten ihr Konterfei auf Geldscheinen.
Was ist in Ihrem Kabinett zu sehen? Vor allem Exponate aus Sachsen?
Wir haben eine Universalsammlung, also Münzen, Papiergeld, Prägestempel und Medaillen von überallher. Wie in allen Münzkabinetten ist das allerdings auch regional geprägt. So spielt Sachsen natürlich eine große Rolle. Mit 30.000 Objekten macht das zehn Prozent der Sammlung aus. Dazu gehört auch die DDR-Geschichte mit ihren Zahlungsmitteln. Der Anspruch ist jedoch, und so wurde seit fünf Jahrhunderten gesammelt, einen Blick auf die Welt zu haben. Deshalb haben wir auch chinesische und japanische Münzen, einen bunten Reigen. Das macht für mich den Reiz aus. Ich arbeite als Historikerin gerne interdisziplinär. Man findet immer Ansatzpunkte für verschiedene Forschungen. Das kann man wunderbar mit dieser Sammlung machen.
Bekommen Sie regelmäßig Angebote von Sammlern oder aus Erbschaften?
Wir erhalten viele Schenkungsangebote und schauen, was wir davon übernehmen können.
Wie prüfen Sie die Echtheit von Münzen, deren Alter und Wert?
Ich kenne natürlich nicht alle Münzen. Aber ich habe neun Jahre in den USA in einem Münzkabinett der American Numismatic Society gearbeitet. Die haben eine Riesensammlung von 900.000 Objekten. Da habe ich so ziemlich alles gesehen, was es gibt. Deshalb weiß ich auch, in welcher Literatur ich nachschlagen kann, wenn etwas angeboten wird. Und man kann natürlich gut im Internet recherchieren. Die Digitalisierung in der Numismatik ist weit vorangeschritten. Wir sind da Vorreiter. Dazu gibt es Gewichtsüberprüfungen und Stempelvergleiche. Das ist dann schon sehr numismatisch-wissenschaftlich.
Kaufen Sie auch selbst gezielt?
Wir hatten bisher einen Ankaufsetat. Der ist jetzt allerdings fraglich wegen der Kürzungen überall im Kulturbereich. Wir haben jedoch einen Freundeskreis, der uns unterstützt. Wir kaufen, wenn bei Auktionen Dinge angeboten werden, die wir noch nicht haben, aber gerne hätten.
Wer schaut sich das Münzkabinett an? Vor allem Numismatiker?
In der Dauerausstellung ist das Publikum völlig gemischt. In unseren Lesesaal und unsere Bibliothek kommen vor allem Studenten, die zum Beispiel alte Geschichte studieren. Und es kommen viele Sammler, die unsere 30.000 Bände nutzen. Die sind sehr wichtig, weil sie ebenfalls viel forschen. Dazu kommt der Münzhandel, der uns auch unterstützt.
Durch PayPal, Plastikgeld und Onlinebanking verschwindet langsam das Bargeld. Werden künftige Generationen noch wissen, welche Bedeutung physische Zahlungsmittel hatten?
Ich beschäftige mich gerade damit, wie ich Krypto-Assets kaufen kann und im nächsten Schritt, wie man sie zeigen kann. Vielleicht stehen wir ja nach dem Übergang vom Tauschhandel zum Geld vor dem nächsten revolutionären Schritt, zumindest ist der digitale Euro in Arbeit. Dass Bargeld tatsächlich komplett verschwindet, da gehört eine Menge dazu. Ich fände es schade. Münzen und Geldscheine sind schließlich auch historische Quellen, die die Historie und Kultur ihrer Herausgeber widerspiegeln.