Japan hat jetzt den Vorsitz im G7-Staatenverbund von Deutschland übernommen. Die Themen betreffen nicht nur die Weltwirtschaft, sondern auch die Sicherheit, die Bevölkerungsentwicklung, die Bildung und das Klima. Der G7-Gipfel wird im März 2023 in Hiroshima stattfinden, der Heimatstadt von Premierminister Fumio Kishida. Damit ist Japan als einziger asiatischer Staat in eine Wertegemeinschaft eingebunden, die sich zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Freiheit, Nachhaltigkeit und Menschenrechte bekennt – und die auch konkret an den Sanktionen gegenüber Russland aufgrund des Angriffskrieges gegen die Ukraine beteiligt ist. Das ist nicht selbstverständlich. Der Ukrainekonflikt erscheint zunächst als ein europäisches Problem, ausgelöst durch den aufgebauten Druck Russlands gegenüber seinen Nachbarstaaten und auch als eine Folge des Zusammenbruchs der Sowjetunion. Aber das ist nur auf den ersten Blick richtig. Die Auswirkungen sind weit darüber hinaus spürbar. Sie betreffen die immer wieder gestoppten Getreidelieferungen nach Afrika und Asien, die massiven Energieengpässe oder die politischen und militärischen Verschiebungen im globalen Gefüge. Dazu zählen besonders die betonte militärische Partnerschaft Chinas zu Russland, die Unberechenbarkeit Nordkoreas oder die Interventionen des Irans. Japan hat somit ein deutliches Sicherheitsbedürfnis. Russland und China sind unmittelbare Nachbarn, Taiwan ist ein ständiger Zankapfel, Nordkorea schickt ballistische atomwaffenfähige Raketen über Japan hinweg. Japan ist keine Rüstungsnation und mit seiner eigenen militärischen Ausstattung, die bisher ausschließlich auf Verteidigung ausgerichtet ist, auf den Schutz von Partnern angewiesen. Die Sicherheitsfrage ist aber nicht isoliert als Grundlage der Beziehung zu sehen. Sie ist erheblich breiter, historisch gewachsen und lebendig gepflegt, auf dem Gebiet der Wirtschaft, der Wissenschaft, der Kultur und der Bildung. Nur darauf kann letztlich eine Wertegemeinschaft bestehen. Derzeit ist ein reger Austausch von politischen Spitzenbegegnungen westlicher Staaten zu beobachten. Das gilt auch für Deutschland. Bundeskanzler Olaf Scholz besuchte Japan zuletzt im April 2022, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im November 2022, Minister geben sich derzeit die Türklinke in die Hand. Beide Länder eint industrielle Kompetenz. In beiden Ländern gibt es jeweils mehr als 50 deutsch-japanische Gesellschaften, 800 bilaterale Hochschulkooperationen, Goethe-Institute sind in Tokio, Kyoto und Osaka, deutsche Schulen und Studienaustausch durch den DAAD stärken die Beziehungen.
Schon einmal hatte sich Japan in der Mitte des 19. Jahrhunderts radikal geöffnet und die mittelalterliche Feudalgesellschaft in kürzester Zeit in einen modernen Staat mit westlichen Prinzipien überführt. Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte Japan ähnlich wie Deutschland ein Wirtschaftswunder. Trotzdem blieb es bei einer restriktiven Einwanderungspolitik. Die extrem niedrige Geburtenrate und die hohe Lebenserwartung führen dazu, dass Japan die älteste Bevölkerung der Welt hat. Das Land hat es aber verstanden, eigene Tradition und westliche Einflüsse erfolgreich zu kombinieren. Sushi, Manga und Anime sind international erfolgreich. Mangas boomen in Deutschland. Viele der Manga-Verlage finden sich unter den Top 100 deutscher Verlage. Deutschland ist in Europa der drittgrößte Comic-Markt und wächst ungebremst. Frankfurt hat inzwischen zum 22. Mal als feste Größe das Japan-Filmfestival »Nippon Connection« mit über 100 Filmen veranstaltet. Filme junger japanischer Regisseurinnen und Regisseure werden auf den internationalen Filmfestivals von Berlin, Cannes und Venedig präsentiert, aktuell z. B. von Chie Hayakawa, Ken Ichikawa und Koji Fukada. In deutschen Kinos ist derzeit »Das Glücksrad« von Ryūsuke Hamaguchi zu sehen. Eines der weltweit wichtigsten Festivals für zeitgenössisches Theater und Performance, das alle drei Jahre in jeweils einer anderen deutschen Stadt stattfindet, kommt 2023 nach 35 Jahren wieder für zweieinhalb Wochen in die Rhein-Main-Region, mit 43 Produktionen und mehr als 100 Aufführungen. Frankfurt-Offenbach ist eine Drehscheibe in der Mitte Westeuropas und gleichzeitig einer der größten Transiträume des Kontinents. Die Position der Programmdirektion wurde erstmals über eine offene Ausschreibung an Chiaki Soma und Kyoko Iwaki vom Produktionskollektiv »Arts Commons Tokyo« vergeben. In der Mode ist Yohji Yamamoto einer der erfolgreichsten Designer und japanische Architekten arbeiten weltweit, wie Tadao Andō, Kenzō Tange, SANAA, Kishō Kurokawa. Aber die Kulturbeziehungen sind keine Einbahnstraße.
Das moderne Theater ist in Japan weitverbreitet, neben den traditionellen Formen No und Kabuki. In Tokio finden jährlich 3.000 Theateraufführungen statt. Es ist damit weltweit das größte Zentrum für Theaterkultur. Im Herbst findet mit dem »Tokyo Festival« eines der wichtigsten internationalen Festivals für darstellende Kunst im Stadtteil Ikebukuro statt, mit starker europäischer Beteiligung. Im Ginza-Viertel ist gerade das »Tokyo International Film Festival« (TIFF) zu Ende gegangen. Tokio besticht durch eine Fülle von Galerien und Museen mit Ausstellungen auf höchstem Niveau. Aktuell erlebt Tokyo eine Blüte und Vielfalt von Kunst aus deutschen Sammlungen. Das Museum of Western Art, erbaut von Le Corbusier, konzentriert sich ausschließlich auf westliche Künstler. Derzeit ist das Museum Berggruen zu Gast mit Picasso, Matisse, Klee und Giacometti. Die täglichen Besucherzahlen liegen bei mehr als 2.500 Eintritten, davon viele junge Menschen. Die Ausstellung geht anschließend nach Kyoto. Im Frühjahr war die Sammlung des Museum Folkwang mit Renoir, Monet, Gauguin dort zu Gast. Gerhard Richter ist im National Museum of Modern Art mit einer umfassenden Werkschau anlässlich seines 90. Geburtstages zu sehen, mit einem Schwerpunkt auf dem Bilderzyklus »Birkenau«. Anschließend geht die Ausstellung nach Nagoya. Eine umfassende Schau zeigt das Museum Ludwig im National Art Center Tokyo. Besonders eindrucksvoll ist die Öffnung zur europäischen Musik. Etwa 20 Prozent des Weltmarktes für klassische Musik befinden sich in Japan. Regelmäßige Konzertreisen der europäischen Spitzenorchester bilden für das japanische Publikum einen festen Bezug. Schon in der Grundschule werden Schüler mit der europäischen Klassik vertraut gemacht. Doch zeigt sich zunehmend ein vitales Interesse beim jungen Publikum für die Indie-Musik, ob akustisch oder elektronisch. Es sind große Netzwerke entstanden mit Acidman, Andymori oder Number Girl, auch international von Musikern wie etwa Tenniscoats, die derzeit in München mit der Hochzeitskapelle und Musikern von The Notwist auftreten.
Auch wenn Japan noch immer durch exotische Fremdheit fasziniert, so ist doch die Begegnung in den verschiedenen Disziplinen von Kultur und Wissenschaft geeignet, Vertrautheit zu schaffen und Vorstellungsmöglichkeiten zu erweitern. Mit einem solchen Beziehungsgeflecht wächst die beiderseitige Kompetenz.