Graci Guarani, eine Pionierin des indigenen audiovisuellen Schaffens in Brasilien, reflektiert über die Macht der Bilder und ihren eigenen Weg der kulturellen Unsichtbarkeit. Sie wurde im brasilianischen Mato Grosso do Sul im Dorf Jaguapiru geboren und gehört der ethnischen Gruppe der Guarani Kaiowá an. Die Region, die an Paraguay und Bolivien grenzt, bildet den Hintergrund für ihre lebenslange Auseinandersetzung mit der Darstellung indigener Kulturen.

Die Wurzeln ihrer Leidenschaft für visuelle Medien reichen bis in ihre Kindheit zurück. »Ich bin in einem Eingeborenenreservat geboren und aufgewachsen, und als ich mit meiner Mutter in die Stadt ging, um die Lebensmittel zu verkaufen, die wir im Reservat anbauten, gefiel mir das sehr gut, denn die Stadt präsentierte mir ein Universum mit sehr lebendigen Bildern, mit Reklametafeln und bunten Plakaten voller Bilder von Menschengesichtern.« Doch mit der Zeit erkannte sie, dass diese Bilder nicht ihre Welt repräsentierten. Ihre Kultur und ihr Volk waren in der städtischen Umgebung unsichtbar. Dieses Bewusstsein verstärkte sich in den folgenden Jahren, und die kulturelle Auslöschung wurde für sie immer deutlicher.

Graci Guarani erzählt von ihrer Inspiration, die aus dem sozialen und kulturellen Kontext der Ausgrenzung und Auslöschung in ihrem Dorf entstanden ist. Ihre Motivation ist es, die Unsichtbarkeit ihrer Kultur zu durchbrechen. »Der Mangel an indigenen Bezügen hat mich dazu bewogen, für indigene Filmschaffende zu kämpfen«, erklärt sie entschlossen. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Jatobá-Pernambuco, einem kleinen Ort, der eine halbe Tagesreise vom nächsten Flughafen in Recife entfernt liegt. Seit unserer ersten Begegnung auf der Berlinale 2020 fällt mir auf, wie klar sie denkt. Ihre Worte spiegeln nicht nur ihre persönliche Geschichte wider, sondern auch den Druck, dem indigene Gemeinschaften in Brasilien ausgesetzt sind.

2020 berichtete Graci Guarani eindringlich über die Herausforderungen, mit denen die indigenen Gemeinschaften Brasiliens durch die Politik der Regierung Bolsonaro konfrontiert waren. Von Urwaldrodungen bis hin zu Gesetzesvorhaben, die den Schutz indigener Territorien bedrohen – eine Situation, die den Lebensraum indigener Völker immer weiter einschränkt.

Brasiliens Präsident Lula da Silva erlitt im Jahr 2023 einen Rückschlag, als das Unterhaus einen Gesetzesentwurf ablehnte, der die Kompetenzen der Ministerien für Umwelt und indigene Angelegenheiten weiter einschränkte. Der Entwurf sieht vor, dem Ministerium für indigene Angelegenheiten die Zuständigkeiten für Besitzrechte an Ländereien zu entziehen und das Register ländlicher Flächen vom Umwelt- auf das Landwirtschaftsministerium zu übertragen. Dieses Register spielt eine entscheidende Rolle bei der Verhinderung von Abholzung im Amazonasgebiet.

Aufruf für mehr Raum und Unterstützung indigener Filmschaffender

»Die Herausforderungen für uns indigene Frauen in Brasilien sind vielschichtig«, erklärt Graci Guarani. Als Filmemacherin hofft sie, dass sich in den kommenden Jahren die Türen für Autorenfilmprojekte weiter öffnen werden. Dennoch stehen indigene Filmemacherinnen in diesem Bereich weiterhin vor zahlreichen Herausforderungen, insbesondere im Hinblick auf die Gewährleistung einer öffentlichen Politik für indigene Völker innerhalb der Film- und audiovisuellen Organisationen des Landes.

»Mein Ziel ist es, sicherzustellen, dass die filmische und audiovisuelle Arbeit nicht nur aufgrund ihrer politischen und sozialen Sichtbarkeit geschätzt wird, sondern auch aufgrund ihrer kulturellen Bedeutung und kreativen Brillanz. Indigene Filmemacherinnen und Filmemacher stehen vor einzigartigen Hindernissen, darunter bürokratische Hürden und den Mangel an statistischer Erfassung, die den Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten behindern.«

Die Produktionsebene wird durch massive Bürokratie und mangelnde statistische Erfassung erschwert. Diese Unsichtbarkeit erstreckt sich auch auf den Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten, da viele indigene Filmemacher nicht einmal über Produktionsfirmen verfügen. Auch der Vertrieb indigener Produktionen bleibt ein Hindernis, und Graci Guarani betont die Notwendigkeit einer Ausbildung, die das Wissen der indigenen Völker einbezieht.

Indigene Identität als essenzielles Element im Film

Die Unterstützung von Autorenfilmprojekten indigener Filmemacher ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern auch eine Investition in die kulturelle Vielfalt und kreative Innovation des Landes. »Indem wir indigenen Filmemachern die Ressourcen und Plattformen bieten, die sie verdienen, stärken wir nicht nur ihre künstlerische Präsenz, sondern tragen auch zur Sensibilisierung und Bildung eines breiteren Publikums bei«, so die Regisseurin.

Sie setzt sich entschieden für die Sichtbarkeit indigener Stimmen ein. Für sie ist dies nicht nur eine Frage der kulturellen Repräsentation, sondern eine notwendige Dimension, um die Filmwelt menschlicher und vielfältiger zu gestalten. Als Indigene haben sie die einzigartige Fähigkeit, ihre eigenen Denkweisen und Filmproduktionen infrage zu stellen. Ihre Worte sind ein Appell für ein umfassenderes Verständnis und eine gerechtere Repräsentation indigener Kulturen in der brasilianischen Filmwelt.

In ihrem Film »XE NE’E (MEU SER)« von 2023 erforscht die Regisseurin die Entwicklung der indigenen Ästhetik und Sprache durch vielfältige multikünstlerische Stile, intellektuelle und politische Erzählungen und experimentelle Arbeiten. Der Schwerpunkt liegt auf der Weisheit des weiblichen Körpers als Instrument, indem Nacktheit auf innovative und reflektierende Weise dargestellt wird. Die Arbeiten regen zum interkulturellen Dialog an und stellen eine facettenreiche Auseinandersetzung mit dem Thema dar.

Der Kampf für indigene Filmschaffende geht über die bloße Anerkennung hinaus und zielt auf die Beseitigung struktureller Barrieren. Ziel ist es, einen Raum zu schaffen, in dem sich authentische und einzigartige indigene Stimmen voll entfalten können. Dies erfordert die Förderung des Dialogs, den Abbau von Barrieren und die Schaffung einer inklusiveren Film- und audiovisuellen Landschaft. In den kommenden Jahren sollte die Zusammenarbeit zwischen Filmschaffenden, Kulturinstitutionen und Regierungsstellen verstärkt werden, um sicherzustellen, dass die Geschichten und Perspektiven der indigenen Völker im reichen Spektrum des brasilianischen Kinos voll zum Ausdruck kommen.

Katahirine-Netzwerk: das erste Netzwerk indigener Frauen im audiovisuellen Bereich

Der April 2023 markierte einen historischen Meilenstein in der indigenen Filmproduktion Brasiliens. Der Startschuss fiel im »Indigenen April«, einem Monat, der der Förderung und Wertschätzung der Kultur und Geschichte indigener Völker gewidmet ist: die Geburtsstunde von Katahirine, dem ersten Netzwerk indigener Frauen im audiovisuellen Bereich. Der Name »Katahirine«, der aus der Sprache der Manchineri stammt und »Konstellation« bedeutet, unterstreicht symbolisch das Potenzial jeder einzelnen indigenen Filmemacherin und die Bildung einer starken Gemeinschaft.

71 Frauen aus 32 ethnischen Gruppen, darunter Regisseurinnen wie Graci Guarani, Olinda Wanderley Yawar Tupinambá und Patrícia Ferreira Pará Yxapy, haben dieses Netzwerk ins Leben gerufen. Die Gründerinnen, bekannte Regisseurinnen mit internationalem Renommee, sind maßgeblich an Projekten wie »Falas da Terra« (TV Globo) und preisgekrönten Filmen beteiligt, die auf renommierten Festivals wie der Berlinale und dem Margaret Mead Film Festival gezeigt wurden. Eine bemerkenswerte Unterstützung erfährt Katahirine durch die Teilnahme der Ministerin für indigene Völker, Sônia Guajajara.

Graci Guarani, Gründungsmitglied von Katahirine, unterstreicht die bedeutende Rolle indigener Frauen in der Filmindustrie. Sie ist überzeugt, dass diese dazu beitragen können, das Kino menschlicher, intelligenter und kraftvoller zu gestalten, und somit ein Filmumfeld für starke Frauen schaffen können. Das Netzwerk, als offenes und kollektives Bündnis konzipiert, vereint Frauen im audiovisuellen Bereich. Katahirine hat sich das Hauptziel gesetzt, den Kampf der indigenen Völker durch die transformative Kraft des Kinos zu stärken. Die Entstehung dieses Netzwerks ist das Ergebnis intensiver Arbeit des Catitu-Instituts, das erstmalig eine umfassende Erfassung indigener Filmemacherinnen in Brasilien ermöglichte.

Die Gründung von Katahirine verspricht nicht nur eine erhöhte Sichtbarkeit für indigene Frauen im Filmsektor, sondern auch einen nachhaltigen Beitrag zur kulturellen Vielfalt und zur Stärkung indigener Gemeinschaften durch die transformative Macht des audiovisuellen Mediums. Graci Guarani wird auf der diesjährigen Berlinale anwesend sein, um die Arbeit von Katahirine vorzustellen, mit dem Ziel, mehr Sichtbarkeit zu schaffen und zu versuchen, das Kino ein wenig menschlicher, intelligenter und kraftvoller zu machen.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 2/2024.