Vor zehn Jahren wurde das Goethe-Institut Myanmar in Yangon gegründet. In einer kleinen Feierstunde wurde jetzt dieser zehn Jahre gedacht. Die Gründung erfolgte damals in Anwesenheit von Bundespräsident Joachim Gauck. An der Universität hielt er eine bewegende Rede über Bürgerrechte in der völlig überfüllten Aula. Nach fünf Jahrzehnten Diktatur hatten die Militärherrscher tiefgreifende Reformen eingeleitet. Obwohl die meisten Mitglieder des neuen Kabinetts ehemalige Militärs waren, bekannten sie sich zur neuen Rolle eines mehr freiheitlichen Landes. Die oppositionelle Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi wurde nach 15 Jahren aus dem Hausarrest entlassen, Tausende politische Gefangene kamen frei und seit 2011 versuchte der frühere General Thein Sein Myanmar, vormals Burma, in die Weltgemeinschaft zurückzuführen. Was für eine hoffnungsvolle Aufbruchstimmung, was für ein breit gefächertes kulturelles Engagement, was für eine quirlige Geselligkeit!

Für das Goethe-Institut war es eine große Chance, diesen Demokratisierungsprozess mit Aktivitäten im Bereich Kultur und Bildung zu unterstützen. Die neue Regierung hatte für die Arbeit des Goethe-Instituts eine Villa aus den 1920er Jahren bereitgestellt. Von der Endphase des Zweiten Weltkrieges bis in die späten 1950er Jahre wurde das Haus von General Aung San und dessen Unabhängigkeitsbewegung genutzt. Der General war der Vater der späteren Freiheitsikone Aung San Suu Kyi. Es entstanden Kooperationen mit der Yangon Film School, der Musikschule GITAMEIT, dem TV-Projekt »Zugang zum Wissen« und einem regional koordinierten Wissenschaftsfilmfestival für Kinder und Jugendliche. Es war eine vielversprechende Aufbruchstimmung. Kultureller Austausch konnte in die Wege geleitet werden und Partnerschaften von Kulturinstitutionen waren gefragt. Nach jahrzehntelangen Sanktionen folgten Zuwendungen von internationalen Entwicklungsgeldern, der Ausbau von Infrastruktur kam in Gang. Staatlich gefördert wurde eine eher folkloristisch ausgerichtete Pflege der kulturellen Tradition, während der Anschluss an eine künstlerische Moderne meist von einzelnen Künstlern, Aktivisten, Kuratoren und Galeristen ausging.

Doch es war nur eine kurze Zeit von freiheitlicher Aufbruchsstimmung. Schon 2021 war es mit der neuen Zeit zu Ende. Das Militär putschte sich im Februar 2021 erneut an die Macht, und eine Spirale der Gewalt wurde in Gang gesetzt. Die verzweifelte Situation ist heute in allen Begegnungen zu spüren. Nur mit ungeheurer Improvisationsgabe und einer gehörigen Portion Verdrängung lässt sich überleben. Tausende Menschen wurden getötet, darunter 4.000 Zivilisten, 20.000 politische Gefangene sitzen bis heute im Gefängnis. Für die Menschen war es ein Schock, denn nach dem haushohen Sieg von Aung San Suu Kyi hatte es eine große Erwartung an eine demokratische Entwicklung gegeben.

Die Generäle hatten ihren Umsturz mit angeblichem Betrug bei der Wahl im November 2020 begründet, die Suu Kyi mit ihrer Partei Nationale Liga für Demokratie klar gewonnen hatte. Sie war die Ikone der neuen Zeit. Seitdem befindet sie sich in Einzelhaft, verurteilt zu 26 Jahren Haft. 2023 löste die Militärjunta ihre Partei NLD auf. Myanmar wurde nach dem kurzen demokratischen Experiment wieder das, was es die längste Zeit war, eine Diktatur. Gegen Oppositionelle wird mit aller Härte vorgegangen.

Schulen und Universitäten sind nur sporadisch in Betrieb. Die Kriminalität wuchert, da die Polizei nicht mehr einzugreifen scheint. Es kommt häufig zu Entführungen mit Lösegeldzahlungen, der öffentliche Verkehr stellt bei Dunkelheit weitgehend seinen Betrieb ein. Man versucht, sich in der Rechtlosigkeit einzurichten und mit der permanenten Angst zu leben.

Am Tag der kleinen Jubiläumsfeier im Goethe-Institut wird das Inkrafttreten eines Gestellungsbefehls bekannt. Aufgrund des neuen Gesetzes können ab sofort alle Männer zwischen 18 und 35 Jahren und alle Frauen zwischen 18 und 27 Jahren zum Wehrdienst an der Waffe für mindes tens zwei Jahre eingezogen werden. Mit einem Schlag ist der im ganzen Land tobende Bürgerkrieg auch in der von großen Kämpfen zuletzt verschonten Metropole im Bewusstsein der Bewohner. In den Tagen danach bilden sich lange Schlangen vor den Konsulaten Thailands und anderer Nachbarländer. Die Jugend versucht der Rekrutierung zu entkommen, entweder durch Flucht ins benachbarte Ausland oder durch Anschluss an die Widerstandsgruppen. Seit Herbst 2023 verliert das Militärregime zunehmend die Kontrolle über weite Teile des Landes. Verschiedene aufständische Milizen haben sich inzwischen bei ihrem Kampf gegen die Militärregierung zusammengeschlossen. Die Rebellengruppen kontrollieren inzwischen mehr als die Hälfte der Landesfläche. Die großen Städte stehen aber weiter unter dem Einfluss des Militärs. Der Kampfgeist der jungen Guerillagruppen ist hoch, aber die brutalen Gegenschläge der Militärs gegen Guerillas und Zivilbevölkerung, meist aus der Luft, fordern hohe Opferzahlen. Es stellt sich ein entmutigendes Gefühl der Ausweglosigkeit ein. Es fehlt die Autorität für Verhandlungen, es fehlt die Bereitschaft für Kompromisse.

Wie die Zukunft aussieht, ist ungewiss. Viele der Besten des Landes sind bereits weggegangen, eine starke Kolonie von Exilanten lebt in Chiang May im Norden Thailands; die freien Medien, die zu den inneren Entwicklungen recherchieren und berichten, sind meist hier ansässig. Auch viele Künstler und Intellektuelle sehen – in mehreren Fällen nach Verhaftung und Gefängnisstrafen unmittelbar nach dem Putsch – die einzige Chance im Ausland. Frankreich hat eine ganze Reihe von Künstlerinnen und Künstlern Asyl gewährt. In Deutschland sind es deutlich weniger.

Trotz des Erstarkens der Rebellengruppen sind Militärbeobachter skeptisch hinsichtlich eines Sieges über das Militär. Auch der Einfluss von China, der bislang eine wichtige Stütze des Militärregimes ist, kann sich bei den geänderten Machtverhältnissen im Land neu definieren. Es ist schwer vorstellbar, dass sich Myanmar erneut als ein Zentralstaat legitimieren kann. Pessimistische Annahmen gehen von einem Zerfall von Myanmar aus, in Teilstaaten, entlang der ethnischen Linien. Positive Perspektiven sehen Chancen für einen föderalen Staat mit einem demokratischen Verständnis. Das ist aber bislang sehr spekulativ.

Trotz der Ausweglosigkeit, trotz des alles vergiftenden Bürgerkrieges erweist sich in der desaströsen politischen Situation das mit erheblichem Mitteleinsatz des Auswärtigen Amtes in den Jahren 2016/2017 renovierte Kulturzentrum des Goethe-Instituts noch immer als ein genutztes Angebot für die heranwachsende Generation. Durch ein klug abwägendes, vorsichtig vertretbares Programmangebot entwickelt ein junges Team Formate mit den in Yangon verbliebenen Kreativen zur Aufarbeitung kollektiver Traumata mit künstlerischen Mitteln, vermittelt Sprachkurse, hat Digitalprojekte zur Sicherung des kulturellen Erbes aufgesetzt und schafft dadurch eine Art Gegenwelt im parkartigen Institutsgelände. Die Nachfrage gibt eine kleine Hoffnung

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 4/2024.