Zorig Enkhbat ist Verleger und Buchhandelsmanager in der Mongolei. Nach seinem Studium an der International University in Genf hatte er verschiedene Positionen inne, vom Rights Manager bis zum Geschäftsführer seines familieneigenen Verlags Monsudar. Seit 2020 arbeitet er an einem weiteren Start-up namens Amar Content Service, das mongolischen Autoren und Verlegern Dienstleistungen im Bereich Verlagswesen und Vertrieb schriftlicher Inhalte anbieten will. Im Rahmen dieses Vorhabens hat sein Team 2022 in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut Mongolei eine digitale Buchleseplattform namens Amarnom ins Leben gerufen.
Patrick Wildermann: Herr Enkhbat, wie ist Ihr Interesse an Literatur ursprünglich erwacht?
Zorig Enkhbat: Das liegt in meiner Familiengeschichte begründet. Ich selbst habe als Kind sehr gern gelesen, allerdings gab es nicht viel Auswahl, die meisten verfügbaren Bücher waren Übersetzungen sowjetischer Werke oder Klassiker wie »Der Graf von Monte Christo«, »Die drei Musketiere«, die Abenteuergeschichten von Jules Vernes, die damals sehr populär waren. Es gab auch ein paar mongolische Bücher, aber die mussten durch die staatliche Zensur. Das Angebot war sehr limitiert. Mein Vater Enkhbat Roozon hat dann vor fast 30 Jahren in der Mongolei eine Druckerei ins Leben gerufen und auch Bücher zu drucken begonnen.
Welche literarische Tradition hat die Mongolei?
Die Mongolei besitzt, wie Sie wahrscheinlich wissen, eine nomadische Tradition ohne ausgeprägte Schriftkultur, Bücher begannen erst vor ungefähr hundert Jahren eine Rolle zu spielen – und wirklich mit Literatur bekannt gemacht wurden die Menschen erst durch die Sowjets. In den 1990er Jahren, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, lag das Verlagswesen in der Mongolei vollkommen brach. Mein Vater hat diese Lücke erkannt, und um das Jahr 2000 haben wir uns als Familie dem Verlegen zu widmen begonnen, als privates Unternehmen Monsudar – was Pionierarbeit bedeutete.
Wie ist der mongolische Buchmarkt aufgestellt?
Wir sind flächenmäßig ein sehr großes Land, haben allerdings nur eine Bevölkerung von rund drei Millionen Menschen, von denen wiederum die Hälfte in der Hauptstadt Ulaanbaatar lebt, der Rest ist übers Land verstreut. Zwischen 20 und 30 Prozent der Menschen sind noch heute Nomaden. Wir haben es also mit einem sehr kleinen, konzentrierten Markt zu tun, weswegen viele mongolische Autoren ihre Bücher bis heute im Selbstverlag herausbringen und vertreiben. Die wenigen Verlage, die es gibt, übersetzen größtenteils ausländische Werke oder legen Kinderbücher auf. Auch Monsudar hat mit Sprachlernbüchern und Kinderliteratur begonnen. Als wir anfingen, Bücher zu verlegen, mussten wir bei null anfangen, es gab kaum Erfahrungswerte, auf die wir uns stützen konnten. Wir haben uns mit ausländischen Verlegern ausgetauscht, wie Lizenzverträge abgeschlossen werden und was es beim Thema Copyrights bzw. Urheberrecht zu beachten gibt, und von da an langsam gelernt, wie diese Branche funktioniert.
Vor welchen Herausforderungen standen Sie?
Eine große Herausforderung bestand und besteht noch immer darin, die Menschen in ländlichen Gebieten effektiv zu erreichen. Wir nutzen dafür vor allem soziale Medien und verbreiten über unsere Kanäle z. B. Artikel, in denen die positiven Effekte des Vorlesens für die Entwicklung von Kindern beschrieben werden, und versuchen auf diese Weise, Eltern zu Vorlesenden zu erziehen. Und natürlich wollen wir die Erwachsenen auch selbst zum Lesen animieren. Die Frage ist nur: Welche Bücher kann man den Menschen überhaupt zugänglich machen?
Weil der mongolische Markt so klein ist, wird das Gros der Titel nur einmal in geringer Stückzahl gedruckt – in der Regel zwischen 300 und 500 Exemplare. Kleinverlage oder Autoren, die ihre Werke selbst herausbringen, sind nicht in der Lage, sie nachzudrucken, es rechnet sich wirtschaftlich einfach nicht für sie. Die meisten der mongolischen Titel, die in den vergangenen 20 Jahren erschienen sind, sind heute vergriffen. Der einfachste Weg, sie wieder verfügbar zu machen, ist der digitale Vertrieb.
Sie haben mit Unterstützung des Goethe-Instituts die Plattform Amarnom ins Leben gerufen, die E-Books und Audiobooks in mongolischer Sprache verfügbar macht, die App wurde 2022 gelauncht. Welche Ziele verfolgen Sie mit dem Projekt?
Wir folgen damit nicht zuletzt einem globalen Trend. Auf einigen westlichen Buchmärkten werden mittlerweile rund 15 Prozent der Verkäufe über E-Books erzielt, bei Hörbüchern liegt die Zahl sogar noch höher. Wir wollen mit dieser Entwicklung Schritt halten, auch wenn es gegenwärtig noch keinen großen Markt gibt. Dazu kommt, dass eine große Zahl von Mongolen ihre Heimat verlässt, um im Ausland zu arbeiten – in anderen Teilen Asiens, in Europa oder den USA. Viele aus dieser Diaspora wollen ihre Sprache nicht verlieren, sie wünschen sich, dass ihre Kinder Mongolisch lernen und in der Lage sind, Mongolisch zu lesen. Es gibt also auch eine Nachfrage im Ausland, die wir bedienen wollen – denn für diese Menschen ist es sehr schwer bis unmöglich, in den jeweiligen Ländern an ein Taschenbuch in mongolischer Sprache zu gelangen.
Ein weiteres Argument für digitale Vertriebswege ist der Verkehr in Ulaanbaatar. Die Stadt ist zu Sowjetzeiten für 400.000 bis 600.000 Menschen ausgelegt worden, heute hat sie 1,5 Millionen Einwohner, entsprechend gibt es Staus ohne Ende – und die Leute wollen etwas zu tun haben, während sie im Auto sitzen und warten. Radiohören ist natürlich eine Option, aber auch, auf dem Handy zu lesen.
Wie viele Titel, E-Books und Hörbücher zusammengenommen, bietet Amarnom gegenwärtig an?
Aktuell rund 400 Titel, ein Drittel davon im Hörbuchformat. Wir verlegen unseren Fokus zunehmend auf Audiobooks, weil hier die Nachfrage deutlich größer ist als bei E-Books – viele ziehen ein Taschenbuch noch immer dem Lesen auf dem Display vor. Es ist allerdings ziemlich kostspielig, ein qualitätvolles Hörbuch zu produzieren, zudem ist das Genre in der Mongolei noch sehr jung, es gibt wenig Expertise. Wir arbeiten mit einigen Studios auf Vertragsbasis zusammen, von denen die meisten hauptsächlich mit der Synchronisation von Filmen und Fernsehserien befasst sind. Es ist ein Lernprozess für alle Seiten.
Eine Herausforderung, vor der wir bei E-Books und Audiobooks generell stehen, ist die Frage nach Vertrauen. Digitaler Vertrieb ist schwer zu kontrollieren. Viele Autorinnen und Autoren möchten allerdings nachvollziehen können, wie oft ihr Buch heruntergeladen wurde und sind vielfach nicht bereit, ihre Werke digital zur Verfügung zu stellen. Das erfordert viel Überzeugungsarbeit.
Welche Themen, Genres werden in der Mongolei besonders nachgefragt?
Im Allgemeinen eher Sachbücher. Vor allem Ratgeber und Selbsthilfebücher aller Art erfreuen sich einer wachsenden Beliebtheit. Finanzratgeber, Business-Tipps, Bücher über gutes Leadership. Seit ungefähr zwei Jahren erleben wir auch eine verstärkte Nachfrage nach Gesundheitsratgebern: gesundes Leben, gesundes Kochen. Viele solcher Bücher stehen als Bestseller in den Läden, ich schätze, ungefähr die Hälfte der Sachbuchtitel stammt mittlerweile aus dem Gesundheitssegment.
Worauf konzentriert sich Ihr eigener Verlag Monsudar?
Wir sind heute vor allem im Bereich Belletristik tätig, Fiktion war immer ein großer Teil unseres Geschäfts – sowohl mongolische Romane als auch ausländische Klassiker in mongolischer Übersetzung. Für mongolische Autorinnen und Autoren ist es allerdings sehr schwer, ihren Lebensunterhalt mit Büchern zu bestreiten. Sie brauchen einen Beruf neben dem Schreiben, deswegen nimmt die Zahl derjenigen, die an Romanen arbeiten, beständig ab. Die literarische Qualität ist ebenfalls gesunken. Wer heute in der Mongolei Bücher schreibt, konzentriert sich aus den beschriebenen Gründen oft auf Ratgeber. Wir als Verlag fokussieren uns auf Romane, weil wir davon überzeugt sind, dass sie einen größeren Einfluss auf die Gesellschaft haben als Sachbücher. Gute Literatur hatte immer das Vermögen, das Denken der Menschen zu ändern, deswegen messen wir diesen Titeln mehr Bedeutung bei. Wir haben Autoren wie den japanischen Autor Haruki Murakami im Programm, dessen Bücher in der Mongolei sehr populär sind. Dostojewskis »Aufzeichnungen aus einem Kellerloch« war eines der am meisten heruntergeladenen Hörbücher bei uns im Bereich Belletristik.
Kann Amarnom profitabel arbeiten?
Momentan machen wir noch keinen Gewinn, aber die Potenziale dafür sind vorhanden, davon bin ich fest überzeugt. Natürlich ist vieles neu für uns, wie eben die Produktion von Hörbüchern, das ist kostspielig, es fehlt an Erfahrung, viele Autorinnen und Autoren, aber auch Kleinverlage haben die Chancen noch nicht erkannt, die im digitalen Vertrieb von Büchern liegen. Aber unsere Plattform ist mittlerweile in der Lage, sich selbst zu tragen. Es ist ein Nummernspiel: Je mehr Titel wir anbieten können, desto nachhaltiger kann Amarnon arbeiten. Unsere App ist inzwischen 25.000-mal in den Google- und iOS-Stores heruntergeladen worden, wir haben 2.000 aktive Nutzerinnen und Nutzer.
Was glauben Sie, wie sich der Buchmarkt in der Mongolei entwickeln wird?
Wir versuchen momentan, ein zentrales Problem zu lösen, das mit der verbreiteten Praxis des Selbstverlags zusammenhängt: Wer in der Mongolei heute einen Buchladen eröffnen möchte, wird es enorm schwer haben. Denn wer ein Sortiment aufzubauen versucht, muss mit sehr vielen Leuten Kontakt aufnehmen, muss etliche Autorinnen und Autoren individuell ansprechen, um ihre Bücher zu bekommen. Das ist in Ulaanbaatar schon eine Herausforderung, aber erst recht in ländlichen Gegenden, wo noch das Problem der Transportwege hinzukommt. Wir versuchen deshalb, einen zentralen Großhandel zu organisieren, bei dem all die Bücher zu beziehen sind, die es auf dem Markt als Printausgabe oder digital gibt – sodass auch kleinere Buchläden sie dort ordern könnten. Eine solche Struktur existiert gegenwärtig in der Mongolei noch nicht. Aber auch hier sehe ich viel Potenzial.
Vielen Dank.