Barbara Haack spricht mit Roman Luckscheiter über die UNESCO-Weltkonferenz zur kulturellen und künstlerischen Bildung im Februar in Abu Dhabi.
Barbara Haack: Vom 13. bis 15. Februar fand in Abu Dhabi die UNESCO-Weltkonferenz kulturelle und künstlerische Bildung statt. Wie kam es zu dieser Konferenz?
Roman Luckscheiter: Nach den vielbeachteten Konferenzen 2006 in Lissabon und 2010 in Seoul haben die UNESCO-Mitgliedstaaten 2019 beschlossen, dass das Thema in der UNESCO im Bereich Kultur und Bildung wieder höhere Priorität erhalten solle. 2021 wurde dann entschieden, dass eine neue Konferenz zu kultureller Bildung fällig sei vor dem Hintergrund, dass die Rahmenbedingungen sich doch sehr stark verändert haben: die globalen Herausforderungen vom Klimawandel über Kriege und Konflikte, Digitalisierung, bis zu KI.
Welche Ziele gab es für die Konferenz und wie waren Ihre Erwartungen?
Ziel war es, einen gemeinsamen Rahmen zu definieren, sich über die nationale und internationale Relevanz kultureller Bildung zu verständigen und deren Rolle zu stärken. Das ist auch das Ergebnis der Konferenz: ein Framework, das die kulturelle Bildung als ein Thema platziert, das mit den globalen Herausforderungen umgeht und angesichts dieser Herausforderungen umso wichtiger, sogar unverzichtbar ist. Die Erwartung war auch zu erfahren, welchen Stellenwert kulturelle Bildung weltweit hat. Es ist immer wichtig zu schauen, wo wir neue Impulse, neue Themen aufgreifen können, wie wir voneinander lernen können. Die Vereinigten Arabischen Emirate haben sich selbst als ein Gastgeber gezeigt, der kulturelle Bildung stärker als bisher einsetzen möchte und die Bedeutung der kulturellen Bildung auch im Kontext einer Identitätsbildung betont.
Wie ist der Stellenwert von kultureller Bildung in außereuropäischen Ländern?
Das war die größte Überraschung und auch der größte Effekt dieser Weltkonferenz: Quasi alle Beiträge haben signalisiert, dass kulturelle Bildung im Zentrum dessen stehen sollte, was wir für eine zukunftsfähige Gesellschaft brauchen – sowohl im formalen als auch im nonformalen Kontext und über alle Altersgruppen hinweg –, dass kulturelle Bildung also nicht nur eine Art Luxus oder Beiprodukt von Bildung ist. Gerade von Ländern des sogenannten Globalen Südens wurde angesprochen, welche Rolle kulturelle Bildung im Umgang mit Diversität und kultureller Vielfalt spielt, z. B. dass über kulturelle Bildung auch gerade indigenes lokales Wissen zum Ausdruck gelangen und bewahrt werden kann, dass gleichzeitig kulturelle Bildung auch dazu führen kann, dass Kohäsion entsteht in Gesellschaften, die, wie in vielen afrikanischen Staaten, eine sehr hohe Diversität an Sprachen, an Ethnien, an Religionen aufweisen.
Sie haben von den großen globalen Herausforderungen gesprochen. Wurde diskutiert, wie man diesen Herausforderungen mithilfe von kultureller Bildung ganz konkret begegnet?
In einem Beitrag aus Mexiko wurde mit puren Zahlen gezeigt, dass Investitionen in kulturelle Bildung zu einem friedlicheren Miteinander beitragen kann. In Regionen, in denen Kinder in Schulkontexten viel mit Gewalt konfrontiert waren, konnte diese durch Kulturangebote reduziert werden. Ein anderes Thema war, dass man Kultur auch im wirtschaftlichen Sinne neu bewertet hat, dass beispielsweise Projekte vorgestellt wurden, bei denen kulturelle Bildung als Schlüssel für Innovation und damit für Entrepreneurship in der Kreativindustrie definiert wurde. Kulturelle Bildung kann also junge Menschen ermächtigen, etwas zu verändern, auch und insbesondere unter Achtung nachhaltiger, ethischer und lokaler Aspekte.
»Kulturelle Bildung« verbindet zwei Begriffe miteinander, die nicht automatisch zusammengehen, Kultur und Bildung. Inwieweit war das ein Thema?
Da sind wir bei dem zweiten positiven Effekt dieser Weltkonferenz: Vorher lief kulturelle Bildung durch diese Bipolarität leicht Gefahr, nirgendwo verortet zu sein. Mit dem Framework hat man es als riesige Chance erkannt, dass im Konzept »kulturelle Bildung« beide Sektoren, Bildung und Kultur, zusammenarbeiten und ineinandergreifen. Auch die Abschlusserklärung der UNESCO-Weltkulturkonferenz Mondiacult 2022 hatte das klar gefordert. Das hatte den konkreten Effekt in der UNESCO, dass diese beiden Abteilungen in der Vorbereitung der Weltkonferenz sehr eng zusammengearbeitet haben. Es war in den Beiträgen und auch im Framework zu erkennen, dass man einen Kulturbegriff nicht mehr pflegen kann, der die Bildung außer Acht lässt und umgekehrt. Zugleich wird die wichtige Rolle des lebenslangen Lernens, der nonformalen Bildung und von Kulturorten für kulturelle Bildung anerkannt.
Das hört sich nach großer Einigkeit an. Es waren aber ganz unterschiedliche Länder auf der Konferenz vertreten, Russland, die Ukraine, Israel und Palästina. Wie gehen diese Länder auf einer solchen Konferenz miteinander um?
Es war sicher eine große Leistung der Konferenz, Konflikte weitestgehend aus den Debatten herauszuhalten. Die Vertreterin aus Palästina hat sehr wohl auf die Situation gerade auch von Jugendlichen im Gazastreifen hingewiesen, ähnlich wie die Vertreterin Jordaniens. Einzig Iran hat seinen Auftritt missbraucht, um eine Tirade gegen Israel zu formulieren, die aber zum Glück keine weitere Resonanz fand. Iran war auch das Land, das nach Annahme des Frameworks am letzten Tag der Weltkonferenz zu Protokoll gab, dass dieses Framework zur kulturellen Bildung nicht den Gesetzen der Scharia entspreche und deswegen Iran nicht damit einverstanden sei. Die Ukraine war digital zugeschaltet. Der Kulturminister der Ukraine hat dargestellt, was für eine starke Infrastruktur die kulturelle Bildung in der Ukraine hat, aber gleichzeitig auch, wie viele Schäden, Zerstörung sie jetzt schon erleiden musste und wie viele Kinder und Jugendliche durch den Angriffskrieg Russlands von Zugängen zu kultureller Bildung völlig abgeschnitten sind. Da wirkte es geradezu zynisch, dass Russland auf einem parallel stattfindenden Panel seine Kulturpolitik rühmte und sich dabei Begriffen aus dem Framework bediente. Das Dokument selbst spricht explizit von der Gefahr der Instrumentalisierung von Kultur, aber das lässt sich nicht verhindern. Wer das Framework ernst nimmt, erkennt, dass es kulturelle Bildung mit den Werten Demokratie, Menschenrechte und Freiheit verbindet. Der Gewinn, dass die Weltgemeinschaft zu einem solchen Thema zusammenkommt und sich auf ein Framework einigt, überwiegt deutlich gegenüber diesen vereinzelten Irritationen.
Im Framework wird die Akzeptanz von Diversität benannt, auch bezogen auf das Geschlecht, auf sexuelle Orientierung. Dazu haben sich alle Länder bekannt. Wie steht es mit der Umsetzung oder einer Art von Kontrolle?
Das Framework ist das Ergebnis eines umfassenden Konsultations- und Abstimmungsprozesses mit allen UNESCO-Mitgliedstaaten. Es ist somit beachtlich, dass diese Themen darin so explizit genannt werden. Das Framework schafft zudem die Grundlage dafür, das Thema kulturelle Bildung stärker zu monitoren. Es empfiehlt, dass alle Mitgliedstaaten regelmäßig berichten, inwiefern sie die Empfehlungen des Frameworks in ihre Kultur- und Bildungspolitik einfließen lassen. So werden sich auch Themen wie Diversität und Geschlechtergerechtigkeit nachverfolgen lassen. Ein gutes Beispiel sind dafür die nationalen Berichte zur Konvention zum Schutz der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen und der Empfehlung zum Status von Künstlerinnen und Künstlern. Die Weltgemeinschaft ist so regelmäßig aufgefordert, das eigene Handeln zu reflektieren und kritisch zu beobachten – das erzeugt auch die nötige Aufmerksamkeit für diejenigen, die solche Konzepte missbrauchen oder ignorieren. Mitgliedstaaten, die es ernst meinen – und das ist die überwältigende Mehrheit –, können sich so auch zu Allianzen verbinden. Wichtige Arbeit leisten hier zivilgesellschaftliche Initiativen, wie das europäische Observatory on Arts and Education, die immer wieder prüfen, wie die Situation in den Ländern tatsächlich aussieht.
Wie hat sich Deutschland auf der Konferenz präsentiert?
Deutschland war mit einer fünfköpfigen Delegation in Abu Dhabi vertreten und hat sich aktiv in die Debatten eingebracht. Ein interessanter Trend war die Frage, wie wir junge Menschen für kulturelle Bildung gewinnen – insbesondere nach der Covid-19-Pandemie – und uns dabei stärker an ihren Bedürfnissen orientieren können. Deutschland hat gemeinsam mit den französischen Kolleginnen und Kollegen den Kulturpass vorgestellt. Der bietet ganz konkrete Unterstützung bei der Suche nach Zugängen zu kultureller Bildung, ohne die Inhalte vorzugeben. Das haben manche Länder als einen Paradigmenwechsel in der Politik kultureller Bildung erkannt.
Wie ist die Rolle der UNESCO in dem Themengebiet kulturelle Bildung?
Die Weltkonferenz hat für mich noch einmal sehr deutlich gemacht, dass die Programme, die wir mit der UNESCO verbinden, ganz zentrale Elemente kultureller Bildung sind, nämlich Welterbe, immaterielles Kulturerbe, Creative Cities als Städtenetzwerke oder Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE). Die UNESCO ist also nicht nur in der Policy-Arbeit zu Kultur und Bildung und auf der Ebene des Völkerrechts sehr gut aufgestellt, sondern hat in den letzten Jahren und Jahrzehnten auch die richtigen Instrumente geschaffen und Impulse gesetzt. Welterbevermittlung umfasst genau dieses sinnliche, emotionale Erfahren von dem, was Weltgemeinschaft ist, was eine Kultur ist, die über das jeweils Nationale hinausgeht. Die besondere Rolle der UNESCO dabei ist stets, dass sie kulturelle Bildung aus einer globalen, multilateralen Perspektive betrachtet. Dementsprechend ist sie für die internationale Verständigung über den Wert und die Rolle kultureller Bildung zentral und unerlässlich. Das Framework kann gerade hier auch für Deutschland neue Impulse bringen.