Dass Gesundheit unser höchstes Gut ist, ist vielen Menschen spätestens während der Coronapandemie schmerzlich bewusst geworden. Jedoch wird Gesundheit oftmals nur mit dem körperlichen Wohlbefinden assoziiert – dabei spielt Gesundheit in nahezu jedem Lebensbereich eine übergeordnete Rolle. Besonders hervorzuheben ist die Verbindung von mentaler und physischer Gesundheit und einem ausgewogenen sozialen Umfeld. So betonen moderne Gesundheitskonzepte immer häufiger die sozialen Aspekte statt der physischen. Gesundheit wird als ein Prozess verstanden, der in der Interaktion zwischen dem Individuum und seiner sozialen, kulturellen und materiellen Umwelt entsteht. Die jeweiligen Lebensbedingungen und Gegebenheiten in den unterschiedlichen soziokulturellen Lebenswelten haben eine starke Auswirkung auf unsere Gesundheit.

Dass Veränderungen unserer Umwelt, im Besonderen in unserem sozialen Umfeld, unsere Gesundheit auf den Kopf stellen kann, hat die Coronapandemie gezeigt. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) stieg weltweit die Zahl von Angststörungen und Depressionen bereits im ersten Jahr der Pandemie um mehr als 25 Prozent. Frauen, Kinder und vulnerable Gruppen waren überproportional stark gefährdet, psychische Erkrankungen zu entwickeln. Diese Gesellschaftsgruppen gilt es besonders zu schützen. Glücklicherweise hat sich während der Pandemie das gesellschaftliche Bewusstsein über mentale Gesundheit gestärkt, und das Thema ist mehr in den Mittelpunkt der gesellschaftlichen Diskussion gerückt.

Besonders junge Menschen haben während der Coronapandemie unter den Schutzmaßnahmen gelitten. Deshalb war die mentale Gesundheit auch ein zentrales Thema im Europäischen Jahr der Jugend 2022. Dass dies wichtig ist, hat sich auch in den zahlreichen Veranstaltungen und Diskussionsrunden während des Jahres gezeigt – eine der Top fünf Prioritäten, die junge Menschen immer wieder genannt haben, war die mentale Gesundheit. Ihr mentales Wohlbefinden verdient eine besondere Priorität, und ihre aktive und optimistische Beteiligung an demokratischen Prozessen ist für die Zukunft Europas von entscheidender Bedeutung.

Russlands Invasion in die Ukraine im Februar 2022 hat der Thematik zusätzliche Dringlichkeit verliehen. Die Aggressionen und Drohungen seitens Russlands sorgen bei Menschen in der Ukraine und europaweit für Zukunftsängste – wieder sind junge Menschen besonders stark betroffen. Durchschnittlich wird einer von fünf Menschen, die in den letzten zehn Jahren Krieg oder andere Konflikte erlebt haben, an Depressionen, Angstzuständen oder posttraumatischen Belastungsstörungen erkranken. Viele Ukrainerinnen und Ukrainer sahen sich gezwungen, ihr geliebtes Heimatland zu verlassen. Das UN-Flüchtlingskommissariat vermutet, dass bis Februar 2023 circa 19 Millionen Menschen die Grenze aus der Ukraine überschritten. Dabei werden die Flüchtenden mit großen Herausforderungen und mentalen Strapazen konfrontiert. Bisherige Studien verweisen auf einen hohen Bedarf an Sicherheit, sozialer Unterstützung und Wissen, beispielsweise über die gesundheitliche Versorgung im Aufnahmeland, mit dem bei Flüchtlingen zu rechnen ist. Die erste Erfahrung, die Flüchtlinge während ihrer Ankunft machen, ist von entscheidender Bedeutung. Mögliche Barrieren aufgrund der Sprache und Kultur sowie das Aufkommen von Stigmatisierungs- und Diskriminierungsängsten sind von hoher Relevanz für die psychische Gesundheit. Flüchtlingen und Einheimischen muss ein sicherer, freier Raum gegeben werden, um sich offen und divers auszudrücken. Vereint müssen Erfahrungen und Vergangenheit verarbeitet sowie Normen und Werte ausgelebt werden. Dies unterstützen zahlreiche EU-Förderprogramme.

Das Programm »Kreatives Europa«, welches die wichtigste EU-Finanzierungsquelle im Kultur- und Kreativsektor ist, stellt bis 2027 über zwei Milliarden Euro für deren Wiederaufbau, Resilienz und Vielfalt zur Verfügung. Fachkräfte sowie Künstlerinnen und Künstler aus allen Bereichen des Kultursektors werden gefördert, um über Genres und Grenzen hinweg zusammenzuarbeiten und um gemeinsam Chancen zu ergreifen und neue Publikumsschichten zu erreichen. 2023 hat »Kreatives Europa« eine Sonderaktion für ukrainische Künstlerinnen und Künstler sowie ukrainische Kulturorganisationen gestartet. Schaffung und Präsentation ukrainischer Kunst sollen stärker gefördert werden, um so bei der Aufnahme der ukrainischen Flüchtlinge, insbesondere der Kinder, zu helfen und um mittelfristig die Erholung des Kultur- und Kreativsektors nach dem Krieg vorzubereiten.

In der Kultur lernen die Menschen die Welt in einer besonderen Art zu sehen und zu erklären. Sie erlernen aber auch Strategien für die Bewältigung ihres Alltags. Mit ihren jeweils zur Verfügung stehenden sozialen und materiellen Ressourcen prägen sie selbst wiederum Lebensweisen und -welten, welche die Gesundheit beeinflussen. Auch wenn Gesundheit stets individuell und persönlich ist, sind psychische Erkrankungen ein gesellschaftliches Problem. Und um diesem Problem entgegenzuwirken, muss man gesellschaftliche Ansätze und Lösungen finden. In diesem Sinne zielt das von der EU mitfinanzierte Projekt »CultureForHealth« darauf ab, die Gesundheits-, Kultur- und Sozialpolitik der Europäischen Union näher zusammenzubringen. Der Bericht von »CultureforHealth« zeigt auf, dass das Schaffen von Kunst und die Teilnahme an kulturellen Aktivitäten viele Vorteile für Gesundheit und Produktivität bieten. Dazu gehört die Verbesserung der Lebensqualität, des allgemeinen und psychischen Wohlbefindens, aber auch der kognitiven, emotionalen und sozialen Fähigkeiten. Auf diesem Wege können Kunst und Kultur die gesellschaftliche Zufriedenheit und Resilienz erhöhen. Der Bericht unterstreicht jedoch auch, dass in Zukunft mehr Forschung und Investitionen in diesem Bereich benötigt werden.

Viele Menschen würden ohne die Kultur ihre sicheren Räume verlieren, in denen sie sich offen ausdrücken können. Die Kultur beeinflusst unsere Sichtweise auf bestimmte Ideen oder Verhaltensweisen, und sie prägt die Überzeugungen, Normen und Werte eines Menschen. Die Kultur kann auch eine doppelte Rolle spielen, wenn es um die psychische Gesundheit geht. Sie kann von Problemen und der Realität ablenken, indem sie die Möglichkeit bietet, die Gedanken schweifen zu lassen. Gleichzeitig kann Kultur ein kreativer Weg sein, um öffentliche Aufmerksamkeit in der Gesellschaft für das Thema psychische Gesundheit zu erzeugen. Oft reagieren wir besser auf eine Botschaft, wenn sie auf eine einzigartige und ungewöhnliche Weise vermittelt wird. Auf diese Weise wird das Thema in der öffentlichen Diskussion im Vordergrund bleiben.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 04/2023.