Ende Februar eröffnet die Schirn Kunsthalle Frankfurt die Ausstellung »THE CULTURE – Hip-Hop und die zeitgenössische Kunst im 21. Jahrhundert«, in enger Zusammenarbeit mit dem Baltimore Museum of Art und dem Saint Louis Art Museum. Als eine der vitalsten Bewegungen des 20. Jahrhunderts ursprünglich in den Straßen der Bronx in den 1970er Jahren entstanden, als Ausdruck der Vielfalt in den Kulturen der Schwarzen, Lateinamerikaner und Afroamerikaner, hat sich diese kulturelle Entwicklung über alle Kontinente hinweg ausgebreitet. Die Kraft dieser Kunstform entstand aus Reaktionen der Ausgrenzung, der Arbeitslosigkeit, der diversen kulturellen Herkunft, der spätmodernen Kapitalismusfolgen, der technologischen Fortschritte und weiteren Themen. So wurden die Missstände der Klassengesellschaft durch die Poesie der Musik und durch Tanz, durch Graffiti, durch Kleidung und Schmuck, durch Auflösen des weiß dominierten Kunstkanons aufgezeigt und ausgedrückt. Es war eine Art der Selbstermächtigung, die durch ihre unmittelbare Dynamik schnell Einfluss gewann. Die Selbstdarstellung war ein Mittel zu überleben oder sich in einer feindlichen Welt zu behaupten. Die Pose war Teil der Beziehung zwischen Darsteller und Publikum. Ein weiteres Phänomen des Hip-Hop liegt darin, dass er Ausgangspunkt für verschiedene Kunstformen und stilistische Ausprägungen wurde und von einer ursprünglichen Subkultur zu einem omnipräsenten Lifestyle wurde.

Erstaunlicherweise ist die Kultur französischer Vorstädte stark von den kulturellen Ausdrucksweisen beeinflusst, die in den schwarzen Gettos der USA entstanden sind. Das gilt nicht nur für die künstlerischen Formen, sondern auch für die Werte. Mit diesen Anleihen entsteht durchaus etwas Eigenes, das die jeweiligen vielfältigen Herkünfte berücksichtigt.

Die französischen Vorstädte, bekannt als »Banlieues«, entstanden als Hochhaussiedlungen in den größeren Städten. Diese Vorstädte entwickelten sich im Verlauf der Deindustrialisierung von »Orten der Moderne« zu »Orten des sozialen Abstiegs« mit einem hohen Anteil von Arbeitslosen und überproportional vielen arabischen und afrikanischen Einwandern. Es kam zu einer Stigmatisierung der Wohngebiete, Arbeitslosigkeit, städtische Verwahrlosung, religiöse Radikalisierung und Gewalt prägten den Alltag. Die Auffassung, dass die Einwanderer sich zu Franzosen assimilieren würden, hat sich nicht erfüllt. Es kam zu Parallelgesellschaften. Auch Initiativen, Kultur- und Bildungsinfrastruktur in die Viertel zu bringen änderte nichts an der Situation.

Es gab 2005 ein großes Entsetzen, als in den Vorstädten mehr als 30 Bibliotheken niedergebrannt wurden. Es war wohl Trotz und Ablehnung für Einrichtungen, die als Symbole der Gesellschaft galten, zu der sie keinen Zugang hatten. Als bei einer Verkehrskontrolle ein 17-Jähriger im Pariser Vorort Nanterre von der Polizei erschossen wurde, kam es nächtelang in Vorstädten im ganzen Land zu gewalttätigen Ausschreitungen. Jugendbanden terrorisierten die Wohnviertel. Die Wunden sitzen tief. Die französische Regierung hat seit den 1980er Jahren immer wieder Rettungspläne aufgelegt, Milliardenbeträge flossen in die Bausanierung. Es hat wenig bewirkt. Die Maßnahmen wurden eher als eine neue Art von Kolonialisierung empfunden, die kulturelle Infrastruktur als Fremdkörper. Es bildete sich eine Gegenkultur aus, bei der in Rap und Videos der Widerstand gegen die Polizei und den Staat gefeiert wurde. Die Vorstadtkultur versuchte, den institutionellen Codes der Kultur zu entkommen. Es war also durchaus ein kreatives Potenzial vorhanden, aber wegen des unaufgearbeiteten Kolonialismus und der mangelnden Chancengleichheit im Bildungswesen wurde er zur Stilisierung des Feindbildes genutzt.

Es galt, die aktuellen Probleme der Vorstädte ins Zentrum der kulturellen Aufmerksamkeit zu rücken, die Musik als wichtiges Ausdrucksmittel gegen Rassismus zu stärken, die französische Kolonialgeschichte in Theaterworkshops aufzuarbeiten. Mit den Aktivitäten kam es zur Um- und Neunutzung von Industriebrachen durch die Kreativindustrie. Man will den neuen Elan in den sozialen Brennpunktvierteln nutzen, selbst etwas ändern zu wollen. Einige Beispiele seien genannt: Le 6b in Néaucité ist ein Ort der Kreativität in einem Viertel mit der höchsten Armuts- und Einwanderungsquote. Akteure aus Kunst, Architektur, Musik, Film, Grafikdesign und mehr, organisiert von einem kollektiven Leitungsgremium, schaffen ein Forum, in dem die Einwohner ihre künstlerischen Erfahrungen austauschen können. Man ist überzeugt, dass der Einfluss von Kunst und Kultur für die Menschen, die hier leben, etwas bewirken kann. Der Regisseur Abdelwaheb Sefsaf betreibt ein Theater, das sich mit der französischen Kolonialgeschichte befasst. Benjamin Villemagne setzt mit seinem Theater ebenfalls diese Themen um. Eine eigenwillige Methode nutzt der Verein NQT (Nos quartiers on du talent). Auf ganztägigen Talentbörsen werden junge Leute gezielt vermittelt. Bei »Micro-Folie« handelt es sich um eine Kultureinrichtung in einem Zirkuszelt mit Profibühne, Schultheatergruppen, Rap-Gruppen. Es gibt inzwischen mehrere Orte, an denen Rap trainiert wird und Slamübungen stattfinden. Das MAC/VAL im »roten Gürtel« von Paris zeigt Gemälde und Installationen von jungen Künstlern, die aus der Subkultur nach und nach in Moden und Praktiken eindringt, die ausdrucksstark und zeitgenössisch die institutionellen Codes beeinflussen.

Diesen Aktivitäten an der Basis steht inzwischen ein verschärftes Immigrationsgesetz entgegen, das heftige Spannungen auslöst und zum Rücktritt der französischen Regierung unter Élisabeth Borne geführt hat. Es bleibt abzuwarten, wie weit dieser politische Streit die positiven Ansätze für die Kultur in den Vorstädten beeinträchtigt.

Mit einem Law-and-Order-Kurs und Kritik an der Migration kann man nicht gewinnen, eher mit einem niedrigschwelligen Zugang zur Kultur. Die kulturellen Aktivitäten können die Konflikte lindern, aber nicht lösen. Weiterhin wird es erforderlich sein, eine ausreichende und gut ausgebildete Polizeipräsenz und ein breit gefächertes Bildungsangebot zu haben. Diese Anforderungen müssen beachtet werden, wenn man der kulturellen Auffassung in den Vorstädten eine Chance geben will.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 2/2024.