Zu Beginn gleich eine steile These: »Der Laizismus entwickelt sich zu einem rassistischen Prinzip.« Damit hoffe ich nicht nur, schon zum Einstieg für die gebotene Aufmerksamkeit gesorgt zu haben. Es steckt etwas zum Nachdenken in dieser zugespitzten Aussage. Ich habe sie mir nicht selbst ausgedacht. Gehört habe ich sie auf einer Tagung von einer in Frankreich arbeitenden deutschen Politikwissenschaftlerin. Wie sie mir im Gespräch erklärte, ist sie nicht kirchlich gebunden oder geprägt. Ihre These ist also klerikaler Apologie unverdächtig. Doch was meint die junge Wissenschaftlerin?
Der Laizismus ist das eine große religionspolitische Prinzip Frankreichs. Das andere ist der politische Konservatismus, mit dem er sich seit der großen Revolution einen zähen Kampf liefert. Mal obsiegt die revolutionäre Sache und drängt die Macht der katholischen Kirche zurück. Mal schlägt die Reaktion zurück und erobert für die ehemalige Staatsreligion Terrain zurück. Der Kampf war stets erbittert, Kompromisse waren unmöglich, die Rollen klar verteilt. Hier die Partei des Fortschritts und der Religionsfeindlichkeit, dort die Gegenpartei des Konservatismus und des Klerikalismus.
Doch diese zugegeben klischeehafte Zuordnung stimme nicht mehr, so die deutsch-französische Politikwissenschaftlerin. Denn der Streit gehe nicht mehr um den Katholizismus – der Protestantismus spielt keine Rolle, er wurde seit der Bartholomäusnacht brutal-erfolgreich unterdrückt –, sondern jetzt gehe es um den Islam. Es gehe nicht mehr darum, eine einst übermächtige religiöse Institution zurückzudrängen, sondern darum, eine neue Bevölkerungsgruppe abzudrängen. Dies sei nicht neu, aber in den letzten Wahlkämpfen krass hervorgetreten. Jetzt seien es rechtspopulistische Stimmen – und konservativ-bürgerliche, die sie nachahmten –, die den Laizismus als das heilige Prinzip der großen Nation beschwören, um migrantische Bevölkerungsgruppen zu marginalisieren. Der Laizismus verwandele sich so von einem emanzipatorischen zu einem repressiven Instrument. Man könne auch sagen: zu einem rassistischen Propaganda-Tool.
Damit soll nicht bestritten werden, dass es problematische islamistische Tendenzen und terroristische Gefahren gibt. Aber ob der Neo-Laizismus von rechts dagegen hilft? Ich erkenne hier nicht nur eine fatale Tendenz, sondern auch eine konzeptionelle Hilflosigkeit. Denn die Antwort, die der Laizismus auf religiöse Fragen kennt, besteht schlicht darin, sie ins Private zu verbannen. Diese Verdrängung basiert auf dem Irrglauben, dass Religion rein privat sein könne. Schon ein flüchtiger Blick in die Religionsgeschichte lehrt das Gegenteil: Jede Religion ist immer auch ein soziales Phänomen. Selbst die heutige Yoga-Spiritualität ist eine soziale Macht, sonst würde sie nicht so gut in die konsumkapitalistische Gesellschaft passen. Es ist deshalb sinnvoller, den Religionen einen Ort in der Gesellschaft zu geben, um auch öffentlich über sie zu sprechen. Dazu gehört nicht zuletzt der Schulunterricht. Religion muss ein Bildungsgegenstand sein. Sonst kann man sich kein Urteil über sie bilden, also problematische Tendenzen – wie den Islamismus – präzise kritisieren, aber auch der Kultur marginalisierten Bevölkerungsgruppen – ihrer muslimischen Volksfrömmigkeit – Respekt entgegenbringen. Denn was sollen muslimische (oder christliche oder jüdische) Jugendliche denken, wenn schon in der Schule peinlichst darauf geachtet wird, dass ihre Religion niemals vorkommen darf? Richtig: Dass sie nicht dazugehören sollen! Darüber sollten diejenigen nachdenken, die heute in Deutschland das hergebrachte liberale Modell zugunsten eines doktrinären Laizismus ersetzen wollen. Sie werden damit nur ein französisches Problem importieren – und ein giftiges Erbe der DDR wiederbeleben.
Ein »Fun Fact« zum Schluss für alle, die meinen, in Frankreich wäre die Trennung von Staat und Kirche klarer durchgeführt: Wem gehören dort die unzähligen (katholischen) Kirchengebäude? A: der Kirche oder B: dem Staat? Verblüffend, aber wahr: Die Antwort lautet B.