Als Ende Februar mit dem »Windsor Agreement« eine Lösung der mit dem Brexit entstandenen Fragen um Nordirland gefunden wurde, keimte wohl auch in der britischen Kulturszene wieder ein Fünkchen Hoffnung auf bessere Zeiten für die kulturellen Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien auf. Während die im Vereinigten Königreich ansässigen Kulturschaffenden vor der Abstimmung 2016 vielleicht aufgrund der Hoffnung, es werde schon gut gehen, mit einigen Ausnahmen nur wenig zugunsten eines Verbleibs in der EU mobil machten, ist die Katerstimmung in den folgenden Jahren spürbar größer geworden. Zu den konkreten Folgen des Austritts gehörte z. B. auch, dass das Land nicht mehr bei den europäischen Förderprogrammen wie dem Studierendenprogramm Erasmus oder dem Forschungsprogramm Horizon mitmachen konnte. Auch aus dem Kulturförderprogramm »Creative Europe« wurden Kreative aus UK ausgeschlossen, mit bedeutenden Folgen auch für die Filmbranche. Für einige europaweit aktive Organisationen oder Projekte wie z. B. das Europäische Jugendorchester war der Umzug in ein EU-Land die beste oder gar einzige Möglichkeit, weiterhin problemlos europäischen Projekten nachzugehen und dafür auch Fördermittel zu beantragen. Auch in einigen europaweit tätigen Netzwerken wurden zwar Mitgliedsorganisationen auf der Insel nicht die Mitgliedschaft gekündigt, aber die Kräfteverhältnisse haben sich bisweilen geändert. So hatte etwa lange der British Council im Netzwerk der nationalen Kulturinstitute EUNIC, zu dem etwa das Goethe-Institut, das Instituto Cervantes oder das Institut français gehören, eine wichtige Position inne, die nun eher andere Mitglieder füllen. Während die laufenden Projekte unter der ersten Generation »Creative Europe 2014-2020« noch zu Ende geführt werden konnten, wurde im Programm ab 2021 Großbritannien als ein Drittland eingestuft, das, im Gegensatz zu anderen Nachbarländern, nicht einfach durch Zahlung eines Eintrittsbetrags wieder in das Programm und somit als Partner oder Koordinator etwa in einem Kooperationsprojekt aufgenommen werden konnte. Dabei hatte gerade die Kulturszene von der Insel »Creative Europe«-Projekte oft besonders bereichert und demenentsprechend auch regelmäßig zu den größten Empfängern der Förderung gehört. Bestimmte kulturpolitisch innovative Ansätze waren besonders dazu angetan, europäische Partner zu inspirieren. Ein Beispiel dafür ist etwa die fortschrittliche Herangehensweise bezüglich der Integration von Künstlerinnen und Künstlern mit Behinderungen, deren kreatives Potenzial z. B. auf der Bühne in wegweisenden Projekten demonstriert wurde. Zu der Erkenntnis, dass dieses Thema nicht nur mit Blick auf die Zuschauerinnen und Zuschauer und auch nicht lediglich als Herausforderung, sondern vielmehr als eine echte Chance begriffen werden muss, haben Projekte wie »Europe Beyond Access« oder »Un-Label« wesentlich beigetragen, in denen britische Organisationen sehr aktiv waren. Das dahinter liegende Konzept hat sich dann auch bei der Formulierung des Programms 2021-2027 niedergeschlagen. Organisationen wie »Julie’s Bicycle« wiederum, eine mit wachsender Mitgliedschaft zunächst aus der Musikszene geborene Initiative zur Beratung von Kulturinstitutionen mit Blick auf nachhaltiges Handeln in der Branche, haben konkrete Hilfestellung schon lange vor dem allgemeinen Bewusstsein über die Verantwortung im Kampf gegen den Klimawandel auch in der Kultur geleistet. Natürlich hatten sich in der Vergangenheit durchaus solide Strukturen gebildet, in denen man grenzüberschreitend heute noch voneinander lernt, nur ist für den allgemeinen Kulturaustausch nicht nur der administrative, sondern häufig auch der finanzielle Aufwand größer geworden. So bedauern nicht nur britische Musikerinnen und Musiker, dass sich das Touren, häufig stabilste Einnahmequelle für die Branche, auf dem Kontinent durch Bürokratie und gestiegene Kosten oft einfach nicht mehr lohnt und so auch die dortige Fanbase nicht mehr so leicht in den Genuss ihrer Lieblingsmusik kommt. War lange England der Startpunkt für Touren auch aus den Vereinigten Staaten, hatte man zeitweise mit einer Verlagerung von Standorten etwa nach Frankreich gerechnet, was sich jedoch offenbar nicht bewahrheitet hat. Umgekehrt wird auch die europäische Kulturszene vor neue Herausforderungen gestellt, wenn sie ihre Werke in Großbritannien ausstellen oder aufführen will. Beiderseits leiden natürlich nicht die großen Akteure so sehr unter diesen negativen Folgen, sondern vielmehr aufstrebende und junge Kulturschaffende, für die Aufwand und Ertrag sorgsam abgewogen werden müssen. Da sich aber gerade hier auch der spezielle Reiz der europäischen kulturellen Vielfalt ausdrückt, sind die längerfristigen Auswirkungen besonders fatal. Anfang April ist der britische Forschungsminister nach Brüssel gereist, um über die Wiederaufnahme des Landes in Horizon zu diskutieren. Laute und prominente Rufe aus der Wissenschaft haben auf die milliardenschweren Folgen des Brexits hingewiesen, und es könnte Bewegung in die Sache kommen. Es bleibt abzuwarten, ob auch die Kulturszene beidseits des Kanals sich ebenso eindeutig zu dem Wunsch nach einem Überdenken der offiziellen (Förder-)Beziehungen im kulturellen Bereich äußern wird.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 05/2023.