In zahlreichen Ländern Europas erleben wir derzeit, wie populistische Regierungen ihre Vorstellung von Kulturpolitik realisieren. Und überall gleichen sich die Vorgehensweisen, als gäbe es eine »To Do Liste«, die abgearbeitet und dann weitergereicht würde: Einflussnahme auf die unabhängige Medienlandschaft durch den Umbau von Steuerungsgremien, die Besetzung wichtiger Kulturinstitutionen mit fachfremden, aber loyalen Platzhaltern, die Einschüchterung des zivilgesellschaftlichen Protests durch Strafanzeigen gegen einzelne Kulturschaffende, usw. Der Bauplan für eine populistische Kulturpolitik scheint so simpel wie folgenreich für das Kulturleben eines ganzen Landes. Museen, Bibliotheken, Theater, Literaturhäuser und Festivals sind zentrale Orte, an denen wir unser gesellschaftliches Selbstverständnis verhandeln und unser Geschichtsbewusstsein lebendig halten. Es sind Orte, an denen wir uns darüber verständigen können, welche Art von Gesellschaft wir sein wollen – offen, inklusiv, vielstimmig und solidarisch oder nationalistisch, identitär und völkisch. Wir täten deshalb gut daran, diese Entwicklungen nicht nur genau im Blick zu behalten, sondern mehr noch von den Formen des Widerstands und des zivilen Ungehorsams zu lernen, mit denen die Kulturschaffenden dieser Länder sich gegen die politischen Übergriffe zur Wehr setzen und ihre Kulturlandschaft zu schützen suchen.

Das jüngste Beispiel für eine kulturpolitische Neuaufstellung vollzieht sich derzeit in der Slowakei. Dort wurde im Oktober 2023 die ultrarechte Nationalpartei SNS Teil der Regierungskoalition und verantwortet seitdem das Umwelt- und das Kulturministerium. Von Anfang an gibt es Widerstand aus der Kulturszene gegen die neue Kulturministerin und ehemalige Fernsehmoderatorin Martina Šimkovičová, die bereits in der Vergangenheit durch rassistische und homophobe Äußerungen auffiel. Schauen wir auf die Eingriffe in die Kultur, dann ist schwer einzuschätzen, welche Strategie das Kulturministerium bzw. Šimkovičová verfolgen. Die vorläufige Bilanz nach einem Jahr im Amt macht aber deutlich, was sie nicht möchte.

Im Januar wird die Kunsthalle Bratislava, ein bis dahin wichtiger Ort der zeitgenössischen Kunstszene, aufgelöst. Im Juli wird per Gesetzesänderung das öffentlich-rechtliche Radio & Fernsehen Slowakei (RTVS) aufgelöst. Das entspräche bei uns der Auflösung von ARD und ZDF. Deren Berichterstattung sei zu einseitig, zu regierungskritisch. Man wolle die Meinungsperspektiven erweitern und so dem öffentlich-rechtlichen Sendeauftrag nachkommen. Aus RTVS wird STVR – Slowakisches Fernsehen &Rundfunk. Die Neuausrichtung geht mit einer größeren politischen Einflussnahme auf die Fachgremien einher. Eine der ersten Neuerungen: Alle Sendungen, die zwischen 23.30 Uhr und 0.30 Uhr laufen, müssen künftig die slowakische Nationalhymne einbinden. Anfang August tritt dann eine weitere vom Kulturministerium initiierte Gesetzesänderung in Kraft, die den Fonds zur Förderung der Kunst (FPU) reformieren soll. Der Fonds fördert landesweit Projekte in allen Kunstsparten sowie Bildungs- und pädagogische Projekte. Die grundlegende Veränderung, die mit dem neuen Gesetz einhergeht: Die Expertengremien, die bisher über die Anträge entschieden, haben nur noch einen empfehlenden Charakter und der FPU-Rat wird nun mehrheitlich durch das Kulturministerium berufen, das acht der insgesamt 13 Mitglieder benennt. Damit ist künftig einer direkten politischen Einflussnahme in die Förderung von Kulturprojekten der Weg geebnet. Schon jetzt äußern sich Festivalmacherinnen und Künstler, dass sie keine Fördermittel beantragen, weil sie ohnehin damit rechnen, nicht mehr gefördert zu werden – zu progressiv, zu queer, zu kritisch seien ihre Projekte.

Nach der Sommerpause werden dann in kurzer Folge der Generaldirektor des slowakischen Nationaltheaters, Matej Drlička, die Direktorin der Nationalgalerie, Alexandra Kusá. und der Direktor des Nationalmuseums, Branislav Panis, entlassen. Ersetzt werden sie durch Platzhalter ohne einschlägige Erfahrungen in der Leitung dieser wichtigen Kulturinstitutionen.

Die brachiale Kulturpolitik bleibt dabei nicht unbeantwortet und treibt Tausende Bürgerinnen und Bürger der Slowakei auf die Straßen. In dem kleinen Land mit knapp fünf Millionen Einwohnern finden seit mehreren Monaten landesweite Proteste statt. Eine Petition, die den Rücktritt der Ministerin fordert, wird binnen einer Woche von mehr als 180.000 Menschen unterschrieben. Das ist schon jetzt der größte Beteiligungsprozess, den das Land bisher gesehen hat. Inzwischen haben sich mehr als 260 Kulturorte in der ganzen Slowakei zur Plattform Otvorená kultúra (Offene Kultur) zusammengeschlossen. Die Plattform organisiert die Proteste und dokumentiert die politische Einflussnahme in die Kultur und ruft nun zum »Kulturstreik« auf: »In den letzten zehn Monaten haben sich die Arbeitsbedingungen der Arbeiter im Kulturbereich radikal verschlechtert. Wir sind mit Entlassungen, Einschüchterungen, Drohungen und Mobbing am Arbeitsplatz konfrontiert.«

Hinter der ideologischen Dimension einer populistischen Kulturpolitik stehen am Ende immer die Menschen, die in den Kulturinstitutionen arbeiten – in den Gewerken, Garderoben, Verwaltungen, in den Kassenhäuschen usw. Für sie sind die Eingriffe eine existentielle Bedrohung.

Ein Ende der Proteste ist ebenso wenig abzusehen wie ein Einlenken des Kulturministeriums. Es bleibt zu hoffen, dass der zivilgesellschaftliche Widerstand gegen die Eingriffe in die Kunst- und Meinungsfreiheit mehr Ausdauer hat.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 12/2024-1/2025