Fragen an Gitte Zschoch, Generalsekretärin des Instituts für Auslandsbeziehungen
Das Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) und die Hertie School analysieren in dem gemeinsamen Projekt »External Cultural Policy Monitor« (ECP) regelmäßig Maßnahmen auswärtiger Kulturpolitik in ausgewählten Ländern. In der aktuellen Studie zu neuen Nationalismen wurde der Einfluss des wachsenden Neo-Nationalismus auf die auswärtige Kulturpolitik in neun Ländern, darunter die USA, Deutschland, China und Russland untersucht. Was sind die wichtigsten Erkenntnisse?
Gitte Zschoch: Die Studie des ifa und der Hertie School zeigt, dass nationalistische Tendenzen in bestimmten Ländern zunehmen und wie sich dies auf deren auswärtige Kulturpolitik auswirkt. Die Autorin und die Autoren, Helmut Anheier, Edward Knudsen und Sofia Todd-Tombini, sagen, dass nationalistisch ausgerichtete Systeme die Instrumente auswärtiger Kulturpolitik zunehmend für die eigenen wirtschaftlichen, politischen oder militärischen Interessen nutzen. Politische Gegner werden dafür zudem gezielt diskreditiert. Die Beeinflussung der europäischen Öffentlichkeit durch Desinformation in den sozialen Medien ist hierfür ein Beispiel.
In der EU gibt es einerseits klassische Ansätze von auswärtiger Kulturpolitik, die die Vielfalt und oft auch Bedeutung der eigenen nationalen Kultur aufzeigen. Andere Ansätze sind dem Prinzip des gegenseitigen Austauschs verpflichtet. Die EU gibt sich in ihrem strategischen Ansatz zu den externen Kulturbeziehungen von 2016 u. a. die Werte globale Solidarität, Dialog, gegenseitiges Zuhören und Lernen, gemeinsame Kreation von Projekten und nutzt dafür ganz gezielt den Begriff der »cultural relations«. Der 27. Bericht der Bundesregierung über die Auswärtige Kultur- und Gesellschaftspolitik 2023 beschreibt den deutschen Ansatz als »Austausch und Kommunikation über und mit Deutschland, seinen Perspektiven und Werten«. Das heißt, auswärtige Kulturpolitik wird hier verstärkt partnerschaftlich umgesetzt. Es geht eher darum, zivilgesellschaftliche Akteure anzusprechen, langfristige Beziehungen aufzubauen und Vertrauen und Verständnis füreinander zu schaffen.
Die Studie spricht sich für diesen partnerschaftlichen Ansatz aus, den es, auch innerhalb Europas, vor neo-nationalistischen Einflüssen zu schützen gelte. Gleichzeitig warnt sie davor, dass Deutschland und Europa noch nicht ausreichend vorbereitet sind auf das verstärkt interessengeleitete, aggressive Auftreten von Regierungen, die nationalistischer geprägt sind und autoritärer auftreten. Das habe Konsequenzen für unsere Sicherheit.
Was empfehlen die Autorin und die Autoren?
- Die Stärkung der Eigenständigkeit auswärtiger Kulturinstitutionen, um deren Dynamik und Glaubwürdigkeit zu fördern. 2. Bessere Koordination europäischer Institutionen, um Desinformationen oder staatliche Propaganda gezielt zu bekämpfen. 3. Die Stärkung des europäischen Narrativs, das Freiheit, Gerechtigkeit und Wohlstand betont und das gemeinsame europäische Erbe gezielt als Erfolg vermittelt. 4. Die Unterstützung solcher zivilgesellschaftlichen Akteure, die Prinzipien wie Demokratie, Menschenrechte und kulturelle Vielfalt im In- und Ausland stärken.
Und ich würde anschließen: Wir brauchen noch mehr Wissen zu diesen Themen, Analysen und Handlungsempfehlungen. Das ifa leistet mit dem Forschungsprogramm seit 15 Jahren einen Beitrag, solches Wissen auszubauen.
Welche Funktion hat die Auswärtige Kulturpolitik in Ländern, die erkennbar nationalistische Tendenzen zeigen bzw. autokratische Führungen haben – im Vergleich mit demokratischen Systemen? Wie wird Auswärtige Kulturpolitik (AKBP) für nationalistische Zwecke genutzt?
Es gibt einen Grund, warum Diktaturen und Autokratien mit als Erstes den Kultursektor angreifen und Zensur betreiben: Kultur wirkt. Sie ermöglicht u. a. kritisches Denken, stärkt zivilgesellschaftliches Engagement und schafft Zusammenhalt. Ein nationalistisch geprägter Ansatz kann hierzu deutlich unterscheidbar ausfallen. Ein Beispiel: China hat sich unter der Führung von Xi Jinping einem selbstbewussteren Soft-Power-Ansatz verschrieben und will bis 2035 international führend in Kultur und Sport werden. Das soll dazu beitragen, sich als neue Weltmacht zu etablieren. Im Zuge dessen hat es seine Strukturen und Instrumente, u. a. der auswärtigen Kulturpolitik, stärker zentralisiert. Dies ermöglicht wiederum mehr Kontrolle, was Chinas auswärtige Kulturpolitik zwar vereinheitlichen, aber auch die Wahrnehmung eines propagandistischen Ansatzes verstärken und letztlich dadurch die internationale Attraktivität Chinas schwächen könnte. Chinas Dilemma verdeutliche, so die Autorin und die Autoren der Studie, eine grundlegende Spannung in der auswärtigen Kulturpolitik, wenn sie für nationalistische politische Zwecke instrumentalisiert wird, nämlich, ob die enger kontrollierten Botschaften Zielgruppen erreichen und entsprechend aufgenommen werden – oder abgelehnt werden.
Welchen Stellenwert haben die Institutionen der Außenkulturpolitik verschiedener Länder? Inwieweit manifestiert sich das auch in der Finanzierung? Konkret: Wie bewerten Sie die Einsparungen in diesem Bereich in Deutschland?
In Europa sehen wir unterschiedliche Strukturen. Während einige Länder wie Italien Kulturinstitute direkt in ihre Ministerien integrieren oder die Ministerien selbst die auswärtige Kulturpolitik verantworten, sind diese in Deutschland oder Großbritannien bewusst unabhängiger aufgesetzt. Die Studie zu neuen Nationalismen kommt zum Schluss, dass sie dadurch besser vor politischer Einflussnahme geschützt sind. In Deutschland z. B. sind die Organisationen der auswärtigen Kulturpolitik, die staatlich geförderten Mittlerorganisationen wie DAAD, Goethe-Institut und ifa, als Vereine oder Stiftungen aufgesetzt. Das wurde nach dem Zweiten Weltkrieg bewusst so gestaltet, um einen gewissen Abstand zum Staat zu markieren. Aus dem Englischen kommt hierfür die Bezeichnung »Arm’s-Length-Prinzip«. Dieses ist für die Mittlerorganisationen ein wichtiges Element ihrer internationalen Glaubwürdigkeit. An den Schutzprogrammen, die das ifa aufgebaut hat, wie die Elisabeth-Selbert-Initiative oder die Martin Roth-Initiative, nehmen einige Geförderte nur teil, weil eine eigenständige Organisation das Programm betreut. Manche Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten, die in ihren Heimatländern bedroht wurden, sind skeptisch gegenüber staatlichen Institutionen – auch denen einer Demokratie.
Die Autorin und die Autoren der Studie zu neuen Nationalismen sehen die Einsparungen in der Kultur und der auswärtigen Kulturpolitik in Deutschland sehr kritisch. Sie sagen, dass mit den derzeitigen herausragenden geopolitischen Verschiebungen, die sich seit Veröffentlichung der Studie im Dezember mit Beginn der Trump-Administration in den USA noch einmal verschärft haben, große Herausforderungen auf die auswärtige Kulturpolitik in Deutschland und Europa zukommen. Strategien und Konzepte müssten entwickelt werden, wie mit der neuen Weltlage und den Bedrohungen umzugehen sei, und dort müsse alle Energie und Kraft hineinfließen. Wenn gleichzeitig strukturelle Verschiebungen bewältigt werden müssten, blieben zu wenig Ressourcen für diese strategische Aufstellung.
Ich selbst finde, dass die Zeitenwende so gravierende Auswirkungen auf unsere Gesellschaft hat, dass wir alle an deren Bewältigung mitarbeiten müssen. Unsere Institutionen haben lange sehr gute Rahmenbedingungen gehabt, auch finanziell. Dass wir verantwortungsvoll mit den uns nun zur Verfügung stehenden Ressourcen umgehen, uns modernisieren und immer wieder überprüfen, um zukunftsfähig zu bleiben, ist wichtig. Das ifa und viele andere Organisationen, mit denen ich mich austausche, arbeiten derzeit mit großem Einsatz daran. Gleichzeitig braucht es diese neuen Strategien, die mit einer angemessenen finanziellen Ausstattung mehr Wirkung entfalten können – was angesichts der zunehmenden Investitionen autokratischer Staaten z. B. im Digitalsektor eine Dringlichkeit entwickelt hat, die wir zur Kenntnis nehmen müssen. Noch mehr gegenseitiges Verständnis für die finanziellen und institutionellen Rahmenbedingungen könnte ein Schlüssel sein. Ein zusätzlicher Hebel für mehr Wirkung wäre übrigens das Poolen von Ressourcen. Gerade bei geringer werdenden Mitteln sind strategische Kooperationen noch wichtiger als sie es jetzt schon sind.
Das europäische Narrativ von Freiheit und Demokratie gerät in einer Reihe von Ländern stark ins Wanken. Wie ist unter dieser Voraussetzung eine bessere Koordination europäischer Institute, die Sie fordern, überhaupt noch möglich?
Während meiner Brüsseler Zeit als Geschäftsführerin von EUNIC, der Vereinigung der nationalen Kulturinstitute der EU-Mitgliedsstaaten, habe ich eine Kollegin aus dem polnischen Außenministerium kennengelernt. Sie war über einen großen Teil der Amtszeit der PiS-Regierung dort tätig und ein Vorbild dafür, dass die Ideen von Freiheit und Demokratie, die Sie ansprechen, auch in autoritären Zeiten in Institutionen Fürsprecherinnen und Fürsprecher haben. Gerade von unseren Partnern in Polen können wir von deren Erfahrungen mit einer nationalistischen Politik lernen und uns mit diesen vernetzen.
Sie fordern außerdem die Unterstützung zivilgesellschaftlicher Akteure. Wie sind die Erkenntnisse über den Einfluss dieser Akteure – insbesondere in den Ländern mit starken nationalistischen Tendenzen? Werden sie ihrer Rolle als von der Politik unabhängige Institutionen noch gerecht und in dieser Rolle wahr- und ernstgenommen?
Weltweit stehen 63 Demokratien 74 Autokratien gegenüber, sagt eine kürzliche Erhebung der Bertelsmann Stiftung. Die Freiräume werden enger. Es schrumpft damit auch der Handlungsspielraum zivilgesellschaftlicher Akteure. Wenn in Ländern autoritäre oder nationalistische Tendenzen stärker werden, ist die Zivilgesellschaft zuerst betroffen. Das hält die Studie zu neuen Nationalismen kondensiert fest. In Russland wurden Aktivistinnen und Aktivisten der Zivilgesellschaft verhaftet und zivilgesellschaftliche Organisationen als »foreign agents« gebrandmarkt und geschlossen. Das erstreckt sich auch auf zivilgesellschaftliche Organisationen, die außerhalb Russlands arbeiten. So wird in Deutschland Unsicherheit verbreitet und versucht, Organisationen in ihrem Handeln einzuschränken. Um demokratische Prinzipien zu stärken, sind Menschen und Organisationen, die sich für Werte wie Menschenrechte, darunter der Schutz von Minderheiten und kulturelle Vielfalt einsetzen, unersetzlich. Mit Programmen wie dem CrossCulture Programm unterstützen wir genau diese. Davon profitieren nicht nur die einzelnen Personen. Es schafft Vertrauen in Deutschland und stärkt seine Netzwerke.
External Cultural Policy-Monitor & ifa-Studien
Der External Cultural Policy-Monitor des ifa – Institut für Auslandsbeziehungen stellt relevante Informationen über die Maßnahmen der auswärtigen Kulturpolitik ausgewählter Länder bereit.
Das ifa bietet im Forum Kultur und Außenpolitik forschungsbasiertes Wissen an der Schnittstelle von Wissenschaft und Praxis aus dem Feld der Auswärtigen Kulturpolitik und internationalen Kulturbeziehungen. Dort finden Sie die erwähnten Studien »Die Neuen Nationalismen und die Zukunft der internationalen Kulturbeziehungen«, »Chinas Kulturdiplomatie in einer neuen Ära des Multilateralismus« und »Die institutionalisierte kulturelle Präsenz Chinas in Afrika«: culturalrelations.ifa.de.