Der Kultur- und Kreativsektor erzeugt in Italien insgesamt 104 Milliarden Euro Wertschöpfung; zählt man die indirekten Effekte dazu, steigt die Summe laut dem Bericht von »Io sono cultura« von 2024 sogar auf insgesamt 296 Milliarden. Damit trägt der Sektor fünf bis sechs Prozent zum Bruttoinlandsprodukt des Landes bei. Zum Vergleich: In Deutschland sind es 103,7 Milliarden Euro und ein Anteil am BIP von drei Prozent. Der Sektor befindet sich zudem im Aufschwung: Im Vergleich zu 2019, dem letzten Jahr vor der Pandemie, ist ein Wachstum von über 12 Prozent zu verzeichnen. Diese wirtschaftliche Bedeutung von Kultur hatte Giorgia Meloni schon in ihrer Antrittsrede am 25. Oktober 2022 klar erkannt und mit einem anderen der italienischen Rechten besonders am Herz liegenden Topos verknüpft: die italienische Kultur als Innbegriff des Schönen und Hort nationalen Stolzes.

»Italien ist die Nation, die mehr als jede andere in der Welt die Idee von landschaftlicher, künstlerischer, erzählerischer und expressiver Schönheit verkörpert. Die ganze Welt weiß das, liebt uns dafür, deshalb will man italienische Produkte kaufen, unsere Geschichte kennenlernen, bei uns Urlaub machen: Das füllt uns mit Stolz, aber vor allem liegt darin eine wirtschaftliche Ressource von unschätzbarem Wert, die unsere Tourismus- und Kulturindustrie speist.«

Selten ist italienischer Kulturpolitik so viel Interesse wie in den vergangenen zwei Jahren entgegengebracht worden. Die Aufmerksamkeit auch ausländischer Medien entzündete sich etwa daran, dass der regierungskritische Schriftsteller Roberto Saviano letzten Herbst nicht zum offiziellen Gastlandprogramm auf der Frankfurter Buchmesse eingeladen wurde. Oder an der Ausladung des Schriftstellers Antonio Scurati von einer Ansprache im öffentlich-rechtlichen Sender RAI, die die faschistische Vergangenheit Italiens zum Thema haben sollte. Signale einer Einschränkung der Meinungsfreiheit? Verschiedene internationale Abhandlungen wie etwa der Bericht der Europäischen Union über die Rechtsstaatlichkeit 2024 weisen in der Tat auf zunehmende Einschüchterungsversuche gegen Journalistinnen und Journalisten durch rechtliche Maßnahmen seitens Regierungsmitgliedern und Staatsbediensteten hin. Auch eine fragile politische Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Informationswesens wird moniert. Für intensive Debatten selbst in konservativen Medien wie »Il Foglio« sorgte auch die Aneignung von Antonio Gramscis Konzept der kulturellen Hegemonie durch rechte Intellektuelle wie etwa dem aktuellen Kulturminister Alessandro Giuli. Und die Regierung macht keinen Hehl daraus, dass sie eine vermeintlich Jahrzehnte andauernde Dominanz der Linken im Kulturleben des Landes endlich durchbrechen wolle. Anders als frühere Mitte-Rechts-Regierungen unter Silvio Berlusconi hat diese Regierung nicht nur die Leitungspositionen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens strategisch besetzt – eine Praxis, die allerdings im Governance-System der RAI angelegt ist –, sondern eben auch Schlüsselpositionen des institutionellen Kulturbetriebs für die Rechte reklamiert. Eklatantes Beispiel: Der jetzige Präsident der Stiftung der Biennale von Venedig Pierangelo Buttafuoco gilt als Vertrauter Melonis. Beide waren in der Jugendorganisation des neofaschistischen Movimento Sociale Italiano aktiv. Doch wer durch diese Personalie eine ideologiepolitische Verengung des künstlerischen Programms der Biennale erwartete, kann sich zumindest bislang nicht bestätigt fühlen. Als Leiter der Filmfestspiele wurde Alberto Barbera weiter bestätigt, Willem Dafoe leitet die Theatersektion und für die kommende Kunstbiennale wurde Koyo Kouoh als Kuratorin ernannt. Alle drei sind international anerkannte Kulturschaffende und stehen nicht im Verdacht der politischen Nähe zu rechten Positionen. Der Wille, durch aktive Personalpolitik neue Loyalitäten zu schaffen, ist allerdings offensichtlich: Im vergangenen Jahr wurden vier Leiterinnen und Leiter von acht Museen nationalen Ranges, die 2020 von der letzten Regierung berufen worden waren, am Ende des ersten Mandats nicht bestätigt. Dies, obwohl das Gesetz eine Verlängerung um eine zweite Amtszeit ermöglicht und die Bilanz der betroffenen Leiterinnen und Leiter laut Fachleuten durchaus positiv ist, wie im Fall von Stéphan Verger vom Museo Nazionale Romano. Kommissarische Leitungen mussten eingesetzt werden, und mehrere Monate lang war unklar, wie die neuen Museumsleiterinnen und -leiter rekrutiert werden sollten. Nun laufen internationale Ausschreibungen, deren Ergebnis für Juli erwartet wird.

Ein genauerer Blick auf die Entwicklung des Kulturhaushalts und der Förderrichtlinien des Kulturministeriums fördert ebenfalls eher Widersprüche als eine klare politische Agenda zu Tage. Ganz im Gegensatz zur wachsenden wirtschaftlichen Bedeutung von Kultur- und Kreativwirtschaft und dem von der Regierung deklarierten Interesse an Kultur als wichtiger Ressource des »Made in Italy« und als Schmiedeort nationaler Identität geht ihre öffentliche Förderung unter der aktuellen Regierung drastisch zurück. Das Haushaltsgesetz 2025, das den finanziellen Rahmen für drei Jahre gibt, sieht eine Absenkung des Budgets des Kulturministeriums um insgesamt rund 529 Millionen Euro bis 2027 vor. Im Vergleich zum Haushaltsgesetz 2024 sind das über 12 Prozent Reduktion. Die Kürzungen treffen die Pflege des kulturellen Erbes, die Förderung der Bildenden Künste, des Buch- und Verlagswesens und der Archive. Nicht betroffen ist hingegen der Fonds für die darstellenden Künste, über den ab diesem Jahr besonders auch Künstlerinnen und Künstler unter 35 Jahren gefördert werden sollen. Neu eingeführt wird ein Fonds zur Förderung historischer Karnevalsveranstaltungen, aber auch ein Fonds zur Förderung von Theater im Gefängnis. Außerdem sollen insbesondere Bibliotheken, die Gründung von Buchhandlungen und Kulturorte in den Peripherien gestärkt werden – dies beschließt der »Piano Olivetti«, mit dem Minister Giuli versucht, die Figur des visionären, sozial engagierten Unternehmers Adriano Olivetti für sich politisch anzueignen. Die Förderung des Museums zu Ehren des Sozialisten Giacomo Matteotti, der 1924 auf Geheiß von Mussolini ermordet wurde, scheint hingegen nicht zur sonstigen eher revisionistischen Geschichtspolitik zu passen. Gleichzeitig erfreut sich die vom Kulturministerium gewollte, stark umstrittene Futurismus-Ausstellung in der Galleria Nazionale d’Arte Moderna e Contemporanea in Rom, die anhand der modernen Avantgardebewegung die »Genialität des italienischen Schöpfertums« feiert, großer Publikumszahlen.

Eine Bilanz dieser ersten zweieinhalb Jahre Kulturpolitik der Regierung Meloni muss also durchaus differenziert ausfallen. Es bleibt vor allem aufmerksam zu beobachten, wie die personellen Wechsel in den Schlüsselpositionen der kulturellen Institutionen mittelfristig ausfallen und was sie langfristig bewirken werden.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 5/2025.