Hanna Kamila Wróblewska ist seit Mai 2024 Ministerin für Kultur und Nationales Erbe in Polen. Im Interview spricht sie über den politischen Wandel in ihrem Land seit den Parlamentswahlen im Jahr 2023.

 

Sandra Winzer: Frau Wróblewska, mit den Parlamentswahlen 2023, bei welchen die Opposition die Mehrheit in beiden Kammern erzielte, kam es zu einem Machtwechsel in Polen hin zu einer pro-europäischen Regierung unter Ministerpräsident Donald Tusk. Er will den Abbau der demokratischen Institutionen rückgängig machen hin zu Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Haben sich das Kulturleben und die Medienlandschaft seitdem bereits verändert?

Hanna Kamila Wróblewska: Ja. In der Kultur finden wir bereits wieder mehr Raum, Freiheit und Frieden als unter der vorherigen Regierung. Nicht nur für die Wählerinnen und Wähler unserer aktuellen Regierung, sondern für alle, die in unterschiedlichen Stimmen denken, sprechen, schreiben und Kultur gestalten. Bei dieser Frage ist jedoch nicht nur meine Perspektive wichtig, sondern vor allem die der Menschen, die nicht nur in der Regierung, sondern direkt in allen kulturellen Institutionen sitzen. Es haben sich bereits viele Dinge verändert, aber natürlich noch nicht genügend, wir stecken noch mitten im Prozess des kulturellen Wandels. So arbeiten wir etwa an einer neuen Gesetzgebung und haben die Beratungen zum Mediengesetz abgeschlossen, welches wir noch in diesem Jahr öffentlich machen wollen. Systemweit führen wir Mechanismen ein, die die Prozesse transparenter machen sollen.

 

Was passiert im Bereich der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten?

Gerade hier befinden wir uns mitten im Veränderungsprozess. Die Medien haben wir entpolitisiert. Die offiziellen öffentlich-rechtlichen TV- und Radiosender dürfen kein Werkzeug der Regierung sein, um Menschen zur Wahl zu bewegen oder ihre Meinung zu beeinflussen. Sie sind jene Informationsquellen, welche uns wirklich zeigen, was gerade passiert. Dabei decken sie eine Vielzahl an Perspektiven ab, nicht nur den einer einzelnen politischen Partei wohlgesonnenen Teil. Diese Stärke sollen sie wieder leben können. Die Bedeutung der öffentlich-rechtlichen Medien ist nicht zu unterschätzen. Wir wollen, dass sie von politischem Einfluss frei sind und unabhängig berichten können.

 

Die Opposition hatte einen historischen Wahlsieg bei den 10. polnischen Parlamentswahlen. Der Sieg läutete den Anfang vom Ende der achtjährigen Amtszeit der rechtspopulistischen Regierungspartei PiS ein. Trotzdem erwies sich der eigentliche Prozess der Machtübergabe bislang als Herausforderung. Inwiefern?

Es ist wahrlich eine Herausforderung und eine Prüfung für die politische Kultur. Seit den Wahlergebnissen am 15. Oktober 2023 existierte eine Übergangsphase zwischen der alten und neuen Regierung. Es gab eine Zeit, in der die alten Parteien noch an der Macht waren und die neue Regierung noch nicht vereidigt war. Innerhalb dieser zwei Wochen sind viele Vereinbarungen von der alten Regierung unterzeichnet worden: zum Beispiel Vereinbarungen mit finanziellen Auswirkungen auf den Haushalt und Vereinbarungen zur gemeinsamen Verwaltung von Institutionen. Der Ausstieg aus Projekten und der Abbau bereits etablierter Strukturen ist in vollem Gange, und zwar auf die demokratischste Art und Weise. Es ist nach wie vor ein langer Weg, den wir jedoch nach wie vor gehen möchten.

 

Wie lässt sich der Umbau von Polens Kulturinstitutionen durch die rechten PiS-Regierungen rückabwickeln?

Möglichst transparent. Alles, was wir tun, hängt unmittelbar mit dem Gesetz zusammen, an das wir uns halten. Viele Menschen in Führungspositionen verschiedener Kulturinstitutionen wurden ausgetauscht. Das aber nicht, weil sie sich loyal gegenüber der PiS-Partei zeigten, sondern weil sie nicht das taten, was sie als Direktorinnen oder Direktoren ihrer Einrichtung hätten tun sollen. Das Programm, das sie jeweils versprochen hatten umzusetzen, haben sie nicht realisiert. Die inhaltlichen und personellen Wechsel, die sich auch außerhalb des kulturellen Feldes vollziehen, sind dabei sehr transparent gestaltet, der Wettbewerb ist offen. Unser Ziel ist es, die neuen Direktorinnen und Direktoren wegen ihrer Inhalte zu nominieren. Wenn wir eine neue Direktorin oder einen neuen Direktor nominieren, kann jeder am Wettbewerb teilnehmen. Wir sprechen über die inhaltlichen Programme, nicht über die jeweilige Parteizugehörigkeit.

 

Zunächst wurden die offensichtlichsten Elemente der PiS-Propaganda in den landesweiten Medien abgeschaltet. Als erste Amtshandlung enthob Ihr Amtsvorgänger Kulturminister Sienkiewicz quasi über Nacht die Leitungsebene der öffentlich-rechtlichen TV- und Radiosender ihrer Ämter …

Das stimmt. Die Situation im Bereich der Medien ist jedoch die schwierigste, da hier die offiziell zur Verfügung stehenden Gelder fehlen. Die vorherige Regierung hatte die öffentlichen Gelder blockiert; Staatspräsident Duda sprach sich gegen die staatliche Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Medien aus. Bei der Liquidation sind wir dabei, ein neues, transparent gestaltetes Gesetz für diese Sender zu verabschieden. Nachdem ein Gesetz verfasst wurde, werden wir es öffentlich diskutieren, um es im Anschluss ins Parlament zu geben. Öffentlich-rechtliche Medien gehören in die Hände der Öffentlichkeit, nicht ausschließlich in die Hände einer Partei. Das künftige Gesetz soll auch über die aktuelle Regierung hinaus Bestand haben können.

 

Der Austausch der Menschen in Führungspositionen führte zu Protesten. Staatspräsident Duda legte sein Veto ein, weil die Entlassungen angeblich einen Bruch geltender Gesetze darstellten. Könnte der Schritt der Entlassungen zu einem Niedergang der öffentlich-rechtlichen Medienlandschaft führen?

Ich denke, die Debatte um die öffentlich-rechtlichen Sender ist seit jeher Teil der Diskussion. Auch vor 10 und 20 Jahren gab es gesellschaftliche Debatten darüber, ob öffentlich-rechtliche Sender im Vergleich zu privaten Sendern wirklich so bedeutend sind. Gerade heutzutage sehen wir allerdings, wie wichtig die öffentlich-rechtliche Medien-Landschaft für die Sicherheit unseres Landes ist. Transparenz und transparente Berichterstattung sollten nicht von einer Partei, sondern von der Öffentlichkeit gesteuert und unterstützt werden.

 

Auch PiS-treues Personal in den Kulturinstitutionen wurde »ausgetauscht«. So erging es etwa Janusz Janowski, dem Direktor des Nationalmuseums Zacheta Galerie. Er war als Gestalter von nationalistischen Setzungen beim polnischen Pavillon für die Kunstbiennale Venedig berufen worden, wurde aber ebenfalls entlassen. Wie bewerten Sie das?

Das Problem auch bei Entlassungen wie der von Janowski war nicht die Loyalität diversen Parteien gegenüber. Sondern, dass jene Menschen nicht das einhielten, was sie in ihren Programmen zu tun versprachen.

 

Auch Janowskis Entlassung hatte nichts mit seiner Nähe zur PiS-Partei zu tun?

Nein. Er wurde entlassen, weil er seiner Aufgabe nicht nachgekommen war. Er hatte sich für einen Wettbewerb entschieden, der klaren Regeln unterliegt. Janowski sprach sich jedoch dafür aus, den Namen der Künstlerinnen und Künstler im Wettbewerb zu unterschlagen, Kunst und Kultur also anonym zu halten. Das ist absurd. Die Ausstellung, die in Venedig gezeigt wurde, war sogar mit öffentlichen Geldern finanziert. Mir ist wichtig zu unterstreichen, dass es bei unseren Aktivitäten keine Zensur gibt. Wir beziehen unterschiedliche Stimmen in unsere Politik ein – auch jene, die »gegen« uns sind.

 

Folgt aus dieser Politik, dass Kultur nur noch nach marktwirtschaftlichen Gegebenheiten funktioniert, nämlich dann, wenn sie sich finanziell selbst trägt?

Nein, natürlich nicht. Natürlich ist der Kunstmarkt wichtig und finanziell zu fördern. Ich glaube fest daran, dass die Kultur für die Gesellschaft und unsere Zukunft wichtig ist. Sie muss ihren Platz nun jedoch wieder neu finden.

 

Wie sehr wirken Angriffe der letzten Regierung auf Kultur und Medien noch nach?

Sie haben durchaus einen Einfluss, indem sie die Gesellschaft nach wie vor bewusst polarisieren. Lange Zeit wurde kaum Kritik an der PiS-Partei ausgestrahlt. Nun soll wieder ausgewogener berichtet werden: ein wesentliches Merkmal öffentlich-rechtlicher Berichterstattung. Mir geht es vor allem um diese Diversität. Wir möchten, dass alle Stimmen in unserer Kultur und ihrem Umfeld auftauchen. Wie zu Beginn erwähnt: Wenn ich darüber nachdenke, was seit der Neuwahl passiert ist, nehme ich vor allem die größere Freiheit und den Frieden in der Medien- und Kulturlandschaft wahr.

 

Welche Schwerpunkte haben Sie für die künftige Kulturpolitik festgelegt?

Ich möchte vor allem, dass Kultur für alle Menschen zugänglich wird. Dieser Punkt zählt zu den wichtigsten Elementen meiner Arbeit. Kultur sollte staatlich gefördert und vom Staat geregelt werden. Wir brauchen aber auch Expertinnen und Experten und müssen mehr kulturelle Macht auch an jene Menschen weitergeben, die diese Kultur gestalten und konsumieren. Der offene Wettbewerb ist wichtig. Menschen, die Kultur beeinflussen und gestalten, sollten auch die Kunstschaffenden und Konsumenten selbst sein, nicht die Politikerinnen und Politiker allein. Die Menschen in meinem Team kommen aus den unterschiedlichsten Regionen Polens, sodass wir auch hier eine Vielzahl an Stimmen vertreten. Als Kulturministerin habe ich eine gewisse Macht. Mein Wunsch ist es jedoch, diese Macht mit den Menschen in unserer Gesellschaft zu teilen.

 

Wie kann der Einbezug dieser Menschen konkret aussehen?

Zum Beispiel laden wir Menschen aus dem Feld der Museen und Galerien ein, mit mir und den Mitarbeitenden des Ministeriums für Kultur und nationales Erbe gemeinsam über Änderungen von Vorschriften und Gesetzen zu diskutieren und somit aktiv Einfluss darauf zu nehmen. Ich reise viel und komme mit unterschiedlichsten Menschen in Kontakt, mit Vertretern von großen bis hin zu kleinen Institutionen. Kultur liegt in den Regionen. Wir werden vom 7. bis 9. November einen Kulturkongress abhalten. Meine Mitarbeitenden und ich gestalten auch diesen Kongress gemeinsam mit unterschiedlichen Stimmen aus der Gesellschaft. Nach einem öffentlichen Aufruf konnten angemeldete Teilnehmende des Kongresses über die fünf für sie wichtigsten Themen abstimmen. Die 20 Themen mit der höchsten Punktzahl werden das Programm des Kongresses ausmachen. Mir sind all die Dinge wichtig, die den Menschen in der Kulturgesellschaft wichtig sind.

 

Wenn wir in ein bis zwei Jahren noch einmal miteinander sprechen und zurückblicken: Was wäre das aus Ihrer Sicht bestmögliche Ergebnis?

Künstlerinnen und Künstler sollen idealerweise sozial abgesichert sein, noch sind sie hier nicht ausreichend in das System einbezogen. Zweitens sollen die Medien wirklich frei und unabhängig sein und entsprechend berichten. Und zuletzt wünsche ich mir noch mehr diverse Kultur in den Regionen selbst.

 

Vielen Dank.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2024.