Seit der Europa-Wahl 2024 sitzt Nela Riehl als eine von fünf Abgeordneten der Volt-Partei – drei davon kommen aus Deutschland – im Europäischen Parlament und hat hier den Vorsitz des Kulturausschusses übernommen. Im Gespräch berichtet sie über ihre Arbeit.

 

Barbara Haack: Sie sind fast ein Jahr im Amt als Vorsitzende des Ausschusses für Kultur und Bildung im Europäischen Parlament. Wie waren Ihre Erfahrungen in diesem knappen ersten Jahr?

Nela Riehl: Tatsächlich möchte ich gerade nirgendwo anders sein als genau an dieser Stelle. Bei allem, was politisch gerade passiert, fällt die Bedeutung dieses Sektors manchmal unter den Tisch. Diejenige sein zu dürfen, die mit an vorderster Front für Kultur und Bildung kämpft, ist sehr erfüllend. Für mich sind es ganz neue Aufgaben, ich war bis zum letzten Jahr Lehrerin und kannte die Parlamentsarbeit nicht, schon gar nicht die Arbeit als Ausschussvorsitzende. Es macht mir großen Spaß, die Stimme der Künstlerinnen und Künstler zu sein. Denn so verstehe ich unsere Rolle als Parlamentarier und Parlamentarierinnen.

 

Der Ausschuss umfasst Kultur und Bildung. Wie weit hängen diese beiden Bereiche in Ihrer Arbeit zusammen?

Das eine lässt sich gar nicht ohne das andere denken. Kultur ist so empowernd gerade für Schülerinnen und Schüler. Das ist der Bereich, in dem sie merken, dass sie selbst tätig werden können. Sie haben da einen Raum. Sie können, indem sie sich kulturell betätigen, ihre Selbstwirksamkeit entfalten, vielleicht auch zu einer politischen Meinungsbildung kommen, und sei es in diesem kleinen Raum Schule. Das kann auch später in anderen öffentlichen Zusammenhängen, die wir schaffen, stattfinden, gilt also nicht nur für Schülerinnen und Schüler. Da wird gelernt, wie Demokratie funktioniert. Da werden Positionen herausgebildet, da steht man vielleicht manchmal auch gegeneinander. Deswegen sind Kultur und Bildung so wichtig.

 

Vor Kurzem haben Sie ein Schreiben an die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen gerichtet, in dem es um den Stellenwert von Bildung und Kultur in der EU-Kommission geht. Gibt es da unterschiedliche Vorstellungen von Kultur und Bildung – in Bezug auf Inhalte, aber auch auf die Bedeutung dieser Ressorts?

Inhaltlich sehe ich keine großen Unterschiede. Wir machen keine inhaltlichen Vorgaben. Da decken sich Kommission und Parlament absolut, das Thema Kunstfreiheit ist gesetzt, darüber müssen wir mit der Kommission nicht diskutieren. In Bezug auf die Werte sind wir da zum Glück alle unter einem Dach.

Was den Stellenwert angeht: Wir haben den Kommissar Glenn Micallef. Er ist für Kultur zuständig. Da habe ich einen starken Verbündeten an meiner Seite. Aber natürlich wird es immer spannend, wenn es um die Finanzierung geht. Dann stellt sich tatsächlich die Frage, welchen Stellenwert die Kultur im nächsten mehrjährigen Finanzrahmen haben wird. Da gehen die Vorstellung des Parlaments und der Kommission durchaus auseinander. Ich mache in jedem Gespräch deutlich, dass wir bei mindestens zwei Prozent für die Kultur landen wollen. Wenn wir derzeit so viel über Verteidigung und Sicherheit sprechen, ist das sicher absolut richtig. Aber man muss auch wissen, wofür wir kämpfen, und das ist unsere Freiheit. Das bedeutet kulturelle Freiheit, das bedeutet Bildung für alle, das ist es, was unsere Gesellschaft ausmacht.

 

Beim Thema Finanzierung geht es auch um das Erasmus+-Programm. Wie ist der Stand der Dinge? Sind hier Kürzungen geplant?

Es steht zwar dasselbe Geld zur Verfügung, aber mit dem Geld sollen auch Programme finanziert werden, die vorher noch nicht unter Erasmus+ fielen, so dass dann für einzelne Programme weniger Geld übrigbleibt. Es klingt erst einmal toll, wenn man sagt, Erasmus+ macht mehr als vorher. Aber das muss damit einhergehen, dass das Budget erhöht wird.

 

Ein weiteres Projekt ist das Creative Europe Programm. Gibt es da besondere Schwerpunkte, und wie sieht es mit der Finanzierung aus?

Schwerpunkte sind die drei Stränge Kultur, Medien und intersektionale Projekte. Darunter fällt zum Beispiel auch der Journalismus. Der Bereich Medienkompetenz muss aus unserer Sicht noch ausgeweitet werden.

Das Programm funktioniert so, dass einzelne Projekte sich dafür bewerben. Das heißt, wir setzen keine eigenen Schwerpunkte. Auch diese Finanzierung fällt unter den mehrjährigen Finanzrahmen. Dort befürchten wir Kürzungen von Seiten der Kommission – obwohl die Ausgaben für Creative Europe im Vergleich zum Gesamtbudget nicht sehr hoch sind. Das finde ich immer ein bisschen frustrierend.

Wofür kämpfen wir denn überhaupt, wenn wir die tollen Projekte nicht mehr fördern? Den Lux Audience Award, diese Filmförderung greife ich als ein Beispiel heraus. Da sitzt ein litauischer Filmemacher, der vielleicht mit nicht einmal dem besten Computerprogramm einen weltweit erfolgreichen Film produziert. So etwas müssen wir unbedingt weiter fördern, solche Schätze können wir nicht leichtfertig aus der Hand geben. Das dürfen wir nicht zulassen.

 

Noch einmal zum Thema Medienkompetenz. Geht es dabei auch um den Umgang mit sozialen Medien?

Ja, es geht um die Frage, wie wir mit sozialen Medien umgehen, umgekehrt auch um die Frage: Was ist Journalismus wert? Wir stärken den Journalismus, wenn den Menschen klar wird, dass man vielleicht die beste Information nicht gratis auf TikTok findet, sondern dass Journalismus auch etwas kosten muss. Das betrifft nicht nur Jugendliche, das muss als lebenslanges Lernen gedacht werden.

Natürlich müssen wir regulieren. Das ist klar, da ist Europa auch ganz gut dabei. Da müssen wir das Digitale Dienste Gesetz auch noch einmal überprüfen. Aber egal, wie wir regulieren, Desinformation wird nicht verschwinden. Und wir wollen niemals dahin kommen, irgendetwas zu zensieren oder zu verbieten. Regulieren ja, aber nicht zensieren. Und das geht nur, wenn wir mündige, auch medienkompetente Bürgerinnen und Bürger haben.

 

Welche kulturpolitischen Schwerpunkte, welche Vorhaben hat der Kulturausschuss insgesamt für die nächsten Jahre definiert?

Wir sind als Ausschuss sehr stark eingebunden in den Kulturkompass, an dem Glenn Micallef arbeitet, und haben viele Schwerpunkte hineingegeben. Der Kulturkompass soll richtungweisend für die nächsten Jahre sein: Wohin wollen wir mit der Kulturpolitik in den nächsten Jahren? Dafür fanden viele Stakeholder-Gespräche statt. Daran waren wir intensiv beteiligt. Wir als Kulturausschuss setzen uns dafür ein, dass Kultur frei bleibt, dass sie ausreichend finanziert wird. Der Kompass ist eine Art Rahmen oder Überbau, um Programme wie Creative Europe und andere zu festigen.

 

In Deutschland wird derzeit viel über die soziale Lage von Künstlerinnen und Künstlern gesprochen. Sehen Sie allgemein einen Verbesserungsbedarf in den Mitgliedsstaaten? Und haben Sie als Parlamentsmitglieder Möglichkeiten, etwas zu verbessern?

Die prekäre Lage von Künstlern ist ein Thema, Corona war da noch mal eine Art Lupe, die uns dazu gezwungen hat, genau hinzusehen. Bei diesem Thema sind wir uns parteiübergreifend sehr einig, dass die prekäre Lage von Künstlerinnen und Künstlern verbessert werden muss. Wir hatten dazu schon in der letzten Legislatur eine Studie in Auftrag gegeben. 2023, also ein Jahr vor der Wahl, hat die EU ein Rahmenwerk zur Situation von professionellen Künstlerinnen und Künstlern festgelegt. Das soll jetzt die Grundlage dafür sein, dass wir als Kulturausschuss die nächsten Schritte tun können.

 

Gibt es bei der Situation von Künstlerinnen und Künstlern große Unterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedsländern?

Natürlich sind die Unterschiede relativ groß. Auch in Deutschland ist die Situation nicht die einfachste. Belgien hat da eine Vorreiterrolle, denn hier haben Kulturschaffende eine sehr gute Absicherung. Es darf nicht darum gehen – das sehe ich als Gefahr – dass, wenn wir einen Mindeststandard festlegen, Länder mit einem hohen Standard diesen wieder absenken. Aber wichtig ist, dass Künstlerinnen und Künstler in der Europäischen Union, egal in welchem Land, gut und ausreichend abgesichert sind. Dafür setzen wir uns ein.

 

Wie groß ist dabei das Durchgriffsrecht des Europäischen Parlaments auf die Mitgliedsländer?

Die Kompetenzfrage bringt uns an unsere Grenzen. Kulturpolitik ist an sich eben nicht EU-Sache. Das gleiche gilt für die Bildungspolitik. Wir können eher mit Studien arbeiten und Impulse oder Anreize geben, so etwas wie den Kulturkompass. Gesetze vorschlagen können wir in den seltensten Fällen. Das macht es für uns tatsächlich schwierig, hält uns aber nicht davon ab, immer laut zu sein.

 

Ist die Einigkeit im Kulturausschuss größer als in anderen Ausschüssen? Wie erleben Sie die Zusammenarbeit, gerade im Hinblick auf die sehr rechten oder auch rechtsextremen Parteien?

Ich würde sagen, dass es hier mehr Einigkeit gibt als in anderen Ausschüssen. Denn das grundsätzliche Ziel ist, dass wir die prekäre Lage von Künstlerinnen und Künstlern verbessern wollen. Wenn es dann konkreter wird, dividiert sich das auseinander. Und natürlich geraten wir auch aneinander. In der grünen Gruppe halten wir z. B. die Kunstfreiheit für absolut unantastbar, wir würden niemals von staatlicher Seite vorgeben, was Kunst soll. Darüber gibt es dann durchaus Streitpunkte mit Parteien aus anderen Spektren, die diesen Sinn von Kultur anders definieren. Ich finde es sehr erschreckend, dass wir wieder dort sind. Das gleiche gilt, ebenso erschreckend, auch für die Bildung: Für wen wir Bildung finanzieren, wird dann in Frage gestellt. Wenn man ins Eingemachte geht, dann kommen große Unterschiede zutage. Nichtsdestotrotz nehme ich wahr, dass das in unserem Ausschuss nur ganz rechts außen liegt. Von »Die Linke« bis auch zur EVP (Europäische Volkspartei), mitunter sogar zur EKR (Europäische Konservative und Reformer) herrscht Einigkeit darüber, dass wir ein gemeinsames Ziel vor Augen haben.

 

Als Ausschussvorsitzende kommt Ihnen da keine leichte Aufgabe zu.

Als Ausschussvorsitzende habe ich eine zentrale Rolle. Ich muss immer ein bisschen mit den Hüten jonglieren: Bin ich jetzt die Abgeordnete Nela Riehl von Volt, oder spreche ich als Ausschussvorsitzende? Man muss sich immer klarmachen, dass die Menschen so gewählt haben. Genau deswegen muss man in die Auseinandersetzung gehen. Das ist nicht immer einfach und nicht immer schön, Aber das ist gerade die Realität.

 

Vielen Dank.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 6/2025.