Wie ist es aktuell um die weltweit am meisten verbreitete Plansprache Esperanto bestellt? Welche Sprachkultur hat sich mit ihr entwickelt? Politik & Kultur hat bei Martin Haase, dem Vorsitzenden des Deutschen Esperanto-Bunds, nachgefragt. 

 

Was ist Esperanto? Wie ist die Sprache entstanden, wo liegen die Wurzeln? 

Die Grundlagen der internationalen Sprache Esperanto wurden von Ludwik Zamenhof (1859-1917) entwickelt und 1887 in Warschau veröffentlicht. Aus dem ersten Sprachentwurf hat sich eine lebendige Sprache mit einer internationalen Sprachgemeinschaft und damit auch eine ganz besondere internationale Kultur entwickelt – mit Literatur, Musik, Theater und auch einer Alltagskultur bei den Veranstaltungen und in den Esperanto-Familien. Der Esperanto-Wortschatz stammt überwiegend aus romanischen, germanischen und slawischen Sprachen. Meist wurden Wörter ausgewählt, die in mehreren Sprachen genutzt werden. Beispielsweise »la muro« für die Mauer; im Französischen »le mur«, im Italienischen »il muro«, im Lateinischen »murus« oder im Englischen »mural«. Die Sprache hat eine einfache regelmäßige Grammatik. Neue Wörter können mit Vor- und Nachsilben gebildet werden: kafo – Kaffee; kafejo – Café; lerni – lernen; lernejo – Schule. So ist -o die Endung für Substantive, -i die Endung für den Infinitiv der Verben. Daher ist Esperanto in ungefähr einem Viertel der Zeit erlernbar, die für Sprachen wie Englisch oder Spanisch aufzuwenden ist. Das gilt auch für Personen, die als Muttersprache etwa eine asiatische Sprache sprechen – eben wegen der einfach aufgebauten Struktur, die es zudem ermöglicht, sich sehr nuanciert auszudrücken. Sehr viele erreichen in Esperanto ein Niveau, das über dem in ihren anderen Fremdsprachen liegt – oft schon nach wenigen Jahren. 

 

Wer spricht heute Esperanto? Wo und wie wird es genutzt? 

Weltweit sprechen Menschen in etwa 130 Ländern Esperanto; darunter finden sich fast alle Flächenstaaten, mit ein paar Ausnahmen in Afrika und Asien. Man schätzt, dass einige Millionen Menschen Esperanto gelernt haben und es einige Hunderttausend sprechen – gelegentlich oder auch täglich. Es gibt ein paar Tausend Esperanto-Muttersprachler, davon einige in zweiter, dritter oder sogar vierter Generation. Esperanto wird bei örtlichen, regionalen oder internationalen Veranstaltungen gesprochen, mittlerweile auch viel bei Videokonferenzen im Internet (siehe eventaservo.org). Es gibt einige Tausend Bücher in Esperanto, Lieder, die man im Internet leicht findet, auch Vorträge auf Esperanto bei YouTube. In den sozialen Netzwerken und per Mail wird Esperanto verwendet. Die Esperanto-Wikipedia umfasst zur Zeit etwa 350.000 Artikel; das ist mehr als etwa auf Griechisch oder Hebräisch. Viele Menschen nutzen Esperanto auf Reisen, sei es bei Veranstaltungen oder bei privaten Besuchen. 

Auch ChatGPT beherrscht Esperanto – ebenso wie der Google-Übersetzer. Das zeigt, dass schon so viel Sprachmaterial vorhanden ist, dass automatische Übersetzung mit Esperanto möglich ist. 

 

Was macht der Deutsche Esperanto-Bund genau? Welche Ziele verfolgen Sie?  

Der Deutsche Esperanto-Bund organisiert mehrere jährliche Veranstaltungen wie den Deutschen Esperanto-Kongress, ein Silvestertreffen und ein Ostertreffen. Unsere Orts- und Regionalgruppen sowie Landesverbände treffen sich regelmäßig. Wir geben eine Zeitschrift heraus und machen Presse- und Öffentlichkeitsarbeit unter esperanto.de. Außerdem bieten wir eine Reihe von kleinen örtlichen Bibliotheken an sowie in Zusammenarbeit mit der Stadt Aalen die Deutsche Esperanto-Bibliothek, die auch an die Fernleihe angeschlossen ist. 

Eine wichtige Aufgabe ist für uns, unseren Mitgliedern die Möglichkeit zu geben, mit Esperanto internationale Kontakte zu knüpfen. Wir sehen Esperanto als eine sehr gute Möglichkeit, Kontakt mit Menschen aus dem Ausland zu haben: Es ist schnell erlernbar, und in Esperanto kommen Menschen aus vielen Kulturen gleichberechtigt miteinander in Kontakt. Das möchten wir gerne noch stärker in die Öffentlichkeit tragen, um Vorurteile und unzutreffende Ansichten auszuräumen. Wir möchten auch gerne die Idee einer Schulstunde über Esperanto verbreiten. Jedes Schulkind sollte zumindest ein wenig wissen, was Esperanto ist. 

 

Wie schätzen Sie die Zukunft von Esperanto ein? 

In den letzten Jahrzehnten hat sich Esperanto deutlich ausgebreitet und sich viele neue Anwendungsbereiche erschlossen: Es gibt heute mehr Veranstaltungen, viel mehr Musik, internationale Paare und Esperanto-Muttersprachler. Esperanto hat sich ebenso an vielen Stellen im Internet etabliert. Auch die Anerkennung nimmt zu: Polen hat Esperanto als Träger der Esperanto-Kultur in die Liste des Kulturerbes aufgenommen, Kroatien hat die Esperanto-Tradition als Kulturgut anerkannt. Es gibt ein Esperanto-PEN-Zentrum der internationalen Schriftstellervereinigung. China verbreitet täglich Nachrichten in Esperanto. 

Ich gehe davon aus, dass sich Esperanto weiter ausbreiten wird. Es macht einfach viel Freude, in einer rasch erlernbaren Sprache mit Menschen aus sehr vielen Ländern zusammenzukommen, und zwar direkt von Mensch zu Mensch. Außerdem zeigt sich, dass das Englische bei seiner Ausbreitung an Grenzen stößt. Im jüngsten Bericht des British Council zur Zukunft des Englischen heißt es, dass in China nur etwa ein Prozent der Bevölkerung in der Lage ist, sich auf Englisch zu unterhalten. Etwa 30 Prozent lernen dort Englisch, aber das ist für Chinesen sehr aufwendig. Die Begrenztheit des Englischen wird deutlich. 

Esperanto ist eine Chance für diejenigen, denen beschränkte Englischkenntnisse nicht ausreichen. In Europa ist der Anteil der Bevölkerung, die Englisch spricht, besonders in Süd- und Osteuropa oft bei nur 20 bis 35 Prozent. Zumindest zwei Drittel sind somit von internationaler Kommunikation ausgeschlossen; selbst Menschen mit guten Englischkenntnissen können mit Esperanto weitaus leichter Freude an internationalen Kontakten haben. Schön ist dabei auch, dass man mit Esperanto die Kulturen sehr vieler verschiedener Länder kennenlernen kann. Die Esperanto-Originalliteratur ist von Menschen aus Dutzenden von Ländern geschrieben. Ein interessanter Aspekt ist auch das Lernen von Esperanto als erster Fremdsprache, also noch vor Englisch. Das kostet keine Unterrichtszeit: Mit 50 Stunden Esperanto und 200 Stunden Englisch kommen die Lernenden etwa auf das Niveau, das sie sonst nach 250 Stunden ausschließlichem Englischunterricht haben. Das erklärt sich aus der Tatsache, dass Esperanto die Grundstruktur von Sprache vermittelt und sehr schnell an das Sprechen heranführt. So hat man – mit demselben zeitlichen Aufwand und einem schnellen Erfolgserlebnis – außer Englisch noch eine weitere Sprache gelernt, die man in praktisch allen Ländern und heute sehr leicht im Internet anwenden kann. Esperanto ist dort auch zunehmend sichtbar, etwa auf vielen Sprachlernseiten wie z. B. Duolingo. 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 2/2024.