Massentourismus bezeichnet laut Duden einen »in großem Umfang betriebenen Tourismus für breite Schichten der Bevölkerung«. Darunter wird eine quasi industrialisierte Form des Tourismus verstanden, die mit Pauschalreisen und großen Reiseveranstaltern verbunden ist. Wer an Massentourismus denkt, hat Bilder von überfüllten Stränden an der Costa Brava oder einen menschenübersäten Markusplatz in Venedig im Kopf. Massentourismus wird in diesem Sinne vielfach als »Kampfbegriff« benutzt, um Ausprägungen des Tourismus negativ zu brandmarken. In der tourismuswissenschaftlichen Literatur lassen sich folgende Merkmale finden, die mit dem Begriff des Massentourismus verbunden sind: eine hohe Anzahl von (Pauschal-)Touristen, eine hohe räumliche Konzentration von Touristen, eine geringe vor Ort verbleibende Wertschöpfung, eine hohe touristische Belastung der physischen und soziokulturellen Umwelt sowie ein niedriges Level an Authentizität in der Destination. Gerade der letzte Punkt macht deutlich, dass das Label des Massentourismus von der Tourismuskritik eher abwertend eingesetzt wird. Gleichzeitig sollte darauf hingewiesen werden, dass Massentourismus nicht mit bestimmten touristischen Formen gleichgesetzt werden kann, wie das Bild überfüllter Strände suggerieren könnte. Alle Arten von Tourismus können zum Massenphänomen werden. Das Bild der langen Warteschlange von Bergsteigertouristen kurz vor dem Gipfel des Mount Everest, das im Mai 2019 um die Welt ging, mag dafür als Beleg gelten.

Menschen reisten schon immer, und vereinzelt gab es auch Vergnügungsreisen, wovon die Aufzeichnungen antiker Philosophen oder »Graffitis« aus der Zeit der Pax Romana Zeugnis geben. Die touristische Reise als Massenphänomen ist jedoch ein Kind der Moderne, wie der Historiker und Soziologe Hasso Spode aufgezeigt hat. Die romantische Sicht auf die Welt und insbesondere auf die Natur legte im Europa des 18. Jahrhunderts die Grundlage für das Reisen als Selbstzweck. Berge und Meer wandelten sich unter dem touristischen Blick von lebensfeindlichen Räumen zu Sehnsuchtsorten. Doch erst die Industrialisierung und die Entwicklung der Eisenbahn als erstes Massentransportmittel ermöglichte Ferienreisen für größere Bevölkerungsteile. Die Einführung des bezahlten Jahresurlaubs war ein weiterer Baustein zur sogenannten »Demokratisierung des Reisens«. Dennoch blieb der Tourismus ein bürgerliches Phänomen, das für die Arbeiterschaft und die ländliche Bevölkerung unerreichbar blieb. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg kam es zu einer tatsächlichen touristischen Demokratisierung. In Deutschland war es die Zeit des sogenannten »Wirtschaftswunders« der 1950er und 1960erJahre, in der mit einer zunehmenden Motorisierung der Haushalte und steigendem verfügbaren Einkommen für breite Bevölkerungsschichten eine jährliche Urlaubsreise möglich wurde.

Wenn Massentourismus die negative Zuschreibung des Billigen erfährt, dann wird dabei vergessen, dass er einen schichtübergreifenden Zugang zu touristischen Angeboten beinhaltet. Reisen ist auch eine Kostenfrage, und die touristische Nachfrage bei breiteren Bevölkerungsschichten ist eng mit der Entwicklung der Pauschalreise verbunden. Die Bündelung von Angebotsbestandteilen bei gleichzeitiger Produktstandardisierung und der Ausnutzung von Skaleneffekten ermöglichten großen Reiseveranstaltern im Vergleich zu individuell geplanten Reisen deutlich günstigere Angebote. Der Wirtschaftshistoriker Christoph Kopper sieht darin einen wesentlichen Grund für den Erfolg der Pauschalreise und die Beförderung des Massentourismus.

Dazu bedurfte es jedoch nicht nur einer Masse an Nachfragern, sondern auch einer massentouristischen Infrastruktur: Waren es im 19. Jahrhundert das Massentransportmittel Eisenbahn und in den Wirtschaftswunderjahren der eigene Pkw, so machte die Verbilligung von Flugreisen und die Entstehung von Charterfluggesellschaften Ende der 1960erJahre fernere Reiseziele für viele Urlauber erschwinglich. Mit der Zunahme von Flugpauschalreisen stieg Spanien in den 1970erJahren zum beliebtesten ausländischen Reiseland der Deutschen auf. Gleichzeitig kam es zu massiven Investitionen in die spanische Hotelinfrastruktur und zur Entstehung der erforderlichen Massenunterbringungsmöglichkeiten. Beispielhaft steht dafür die Entwicklung Benidorms vom Fischerdorf im Jahre 1950 zur heutigen 70.000-Einwohner-Stadt mit über zehn Millionen Übernachtungen pro Jahr und der größten Hochhausdichte pro Einwohnerzahl weltweit.

Die Auswirkungen des Massentourismus können ökologischer, ökonomischer oder soziokultureller Natur sein. So führt der Ausbau touristischer Infrastruktur zur Belastung oder gar Zerstörung von Naturräumen. Zugleich befördert ein hohes touristisches Aufkommen den wirtschaftlichen Strukturwandel in vielen Destinationen. Agrarisch geprägte Gesellschaften haben sich im Zuge einer Touristifizierung zu Dienstleistungsgesellschaften gewandelt. Tourismus wird als Wirtschaftstreiber betrachtet, der Beschäftigung und Steuereinnahmen generiert. So lassen sich z.B. für die massentouristische Destination Mallorca ein höheres Pro-Kopf-Einkommen und eine geringere Arbeitslosenquote als für das spanische Festland feststellen.

In vielen Städten führt ein massenhafter Tourismus, der durch das Internet befeuert wird, zur Beeinträchtigung der lokalen Lebensqualität: Wohnraumverdrängung durch Airbnb und die Verdrängung von Geschäften für den alltäglichen Bedarf durch Gastronomiebetriebe werden unter dem Stichwort der »touristischen Gentrifizierung« von Berlin bis New Orleans beklagt.

Der Begriff des Massentourismus scheint in der aktuellen Diskussion immer mehr vom neuen Terminus des »Overtourism« verdrängt zu werden. Es geht nicht mehr nur um viele Touristen, sondern um zu viele Touristen. Die Wahrnehmung einer lokalen Tourismusintensität ist jedoch immer subjektiv geprägt. So haben die Geografen Andreas Kagermeier und Eva Erdmenger in ihrer Münchner Untersuchung feststellen können, dass die wahrgenommene touristische Tragfähigkeit sich nicht nur an objektiv messbaren Touristenzahlen festmachen lässt. Auch die Art des Tourismus und die Geschwindigkeit der Touristifizierung spielen eine wesentliche Rolle.

Die Ansätze zur Einhegung des touristischen Zuviels reichen von der Besucherlenkung über die Beschränkung der Kreuzfahrtankünfte in Venedig oder der Unterkunftskapazitäten in Barcelona. Kagermeier plädiert für die Einführung kooperativer Governance-Ansätze, die das Tourismusmarketing nicht länger nur auf potenzielle Touristen ausrichten, sondern gleichzeitig die Belange der lokalen Bevölkerung berücksichtigen. In Barcelona wurden solche Ansätze im Rahmen einer munizipalistischen Tourismusstrategie bereits erprobt, wenn auch mit begrenztem Erfolg. Letztlich bleibt jeder Tourismus eine Herausforderung für die aufnehmende Gesellschaft, und ein Ende des touristischen Erfolgsmodells ist noch lange nicht in Sicht.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 10/2023.