Unterwegs war die Menschheit immer. Zu Fuß auf der Suche nach Schutz vor Regen und Schnee, Kälte und Hitze, nach Nahrung, nach Weideplätzen für die Tiere. Auf dem Wasser in Einbäumen, in Booten aus Rinde, aus Schilfbündeln, aus Tierfellen über einem Gerüst von Ästen, auf Baumstämmen, die man zu Flößen zusammenband. All dies wurde gerudert – die Kraft des Windes entdeckte man erst vor rund 7.000 Jahren, vermutlich in Ägypten. Dort wurden wohl auch die ersten seetüchtigen Schiffe gebaut – um 3.000 v. Chr. Als Anwohner eines großen und sehr gut schiffbaren Flusses hatten die Ägypter die besten Voraussetzungen dazu.

Dass es ein Wander- oder Reisetrieb war, der die Menschen in Bewegung setzte, lässt sich nicht belegen. Sicher ist, dass das Reisen von Anfang an ein universales, globales Phänomen war. Sicher ist auch, dass es jahrhundertelang gefährlich war, außerordentlich mühsam und sehr teuer. So brauchte es wahrlich gute Gründe dafür, den Schutz seiner Wohnung, seines Dorfes, seiner Stadt aufzugeben und sich auf den Weg zu machen.

Zwischen Tigris und Euphrat entstanden ab 4.000 v. Chr. die ersten Städte, verbunden durch reitende Boten. Wer das Rad erfunden hat, lässt sich nicht sagen: Die ersten Fahrzeuge aber stammen aus dieser Zeit – die frühesten Beispiele sind bei den Sumerern bezeugt: von Ochsen gezogene schwere Kästen auf vier massiven Rädern. Gefundene Tonmodelle lassen darauf schließen, dass es seit etwa 2.500 v. Chr. gedeckte Wagen gab: So konnten Regierungsbeamte schon bequem reisen; Kaufleute zogen von Markt zu Markt, zu den heiligen Stätten pilgerte das ganze Volk – es waren politische, geschäftliche und religiöse Gründe zunächst, die die Menschen in Bewegung setzten.

Auch die frühesten Formen einer Art von Tourismus finden sich im alten Ägypten – ab etwa 1.500 v. Chr. Zu dieser Zeit waren die Monumente der Pharaonen, ihre Grabmäler, Pyramiden und Tempel, schon über tausend Jahre alt: Zeugen einer großen Vergangenheit, verehrungswürdige, heilige Orte. Und mancher machte sich auf den Weg, um dort zu beten – oder aus purer Neugier.

Die Schiffe der Griechen waren schon bis zu 30 Meter lang. Abgesehen von der verbreiteten Piraterie waren Reisen übers Meer komfortabler als über Land: Die Straßen waren schlecht und durch Wegelagerer unsicher, die Herbergen eng und schmutzig. Phönizische Händler waren die Ersten, die das Mittelmeer verließen und die afrikanische Küste entlang bis zum Senegal segelten, nordwärts bis nach England. Die römischen Galeeren waren schon über 50 Meter lang, mit ihnen unternahm, wer es sich leisten konnte, Bildungsreisen ins alte Griechenland. Badereisen kamen in Mode: Thermal- und Schwefelbäder boten nicht nur Heilung, sondern auch Erholung und Vergnügen. Am Golf von Neapel war Baiae bekannt für seine Quellen und wurde eine Art »römisches St. Tropez«. Caesar und Cicero ließen sich dort prächtige Villen bauen und eben nicht nur sie. Wer etwas auf sich hielt in Rom, verbrachte den Sommer in Baiae. Das römische Straßennetz wurde schnell berühmt: Sagenhafte 300.000 Kilometer umfasste es, davon waren rund 80.000 Kilometer steingepflasterte Fernstraßen. Sie machten weite Reisen zu Land möglich. Paulus von Tarsus etwa legte als »Apostel Paulus« zwischen 47 und 56 n. Chr. rund 16.000 Kilometer zurück.

Als im Jahr 313 der römische Kaiser Konstantin durch ein Toleranzedikt den christlichen Glauben anerkannte, begannen Christen, ins Heilige Land zu pilgern – Kaiserinmutter Helena war die Erste, die sich 326 auf den Weg machte, Jerusalem war das Ziel und die reisende Dame 76 Jahre alt. Pilgerreisen konnten Jahre dauern, waren sehr teuer und blieben also lange dem Adel vorbehalten. Später kamen wohlhabende Kaufleute hinzu, die von Venedig mit dem Schiff ins Heilige Land fuhren. Oder man pilgerte zu Fuß: etwa zum Grab des Apostels Jakobus d. Ä. in Santiago de Compostela – ein Pilgerziel noch heute.

Die Kreuzzüge zwischen dem 11. und dem 13. Jahrhundert brachten für viele in der Bevölkerung erste »Reiseerfahrungen« mit sich, den bewaffneten Kreuzrittern schlossen sich auch Nichtkämpfer an: Frauen und Männer, die auf das Ende der Leibeigenschaft hofften, das der Papst den Kreuzzugsteilnehmern versprochen hatte, Geistliche, Alte und Arme, auch Kriminelle, die durch ihr Kreuzzugsgelübde straffrei wurden und auf der Suche nach einem neuen Leben waren – oder auch nur nach neuer Beute.

Das Mittelalter kennt spektakuläre Reisen – etwa die von Marco Polo, dessen Vater ihn 1271 mit nach China nahm. Erst nach 24 Jahren und einem Reiseweg von rund 40.000 Kilometern kehrte Marco Polo 1295 nach Venedig zurück – wo man ihn längst für tot erklärt hatte.

China war zu jener Zeit ein hoch entwickeltes Land, chinesische Schiffe hatten bis zu neun Masten, waren bis zu 140Meter lang und in der gesamten damals bekannten Welt unterwegs. Nichts blieb von ihnen übrig – spätere Kaiser schotteten das Land radikal ab. Schiffe, Logbücher, Karten, Reiseaufzeichnungen wurden verbrannt. Gegen die nautischen Künste der Chinesen muten die Entdeckungsfahrten des Kolumbus von 1492 bescheiden an. Seine Flotte bestand aus drei Karavellen, Dreimastern von geringem Tiefgang und nicht einmal 30 Meter Länge.

Die europäischen Entdeckungsreisenden in der Nachfolge des Kolumbus wurden schnell zu Eroberern, die vor allem eines im Sinn hatten: Gold zu finden, Reichtümer jedweder Art. Erst im 18. Jahrhundert änderte sich das langsam, doch selbst wo eine Reise ausdrücklich Forschungszwecken diente, spielten politische und wirtschaftliche Fragen immer auch eine Rolle. James Cook etwa nahm auf seinen drei Südseereisen für die britische Krone wie nebenbei neue Gebiete in Besitz, obwohl er vor allem aus wissenschaftlichen Gründen unterwegs war. Den Pazifischen Ozean kartografierte er genauer als jeder andere vor ihm; 1771 stieß Cook immer weiter nach Süden vor und konnte den seit Jahrhunderten legendenumrankten »Südkontinent« nachweisen: als unbewohnbare Eiswüste.

Im 18. Jahrhundert war die Reiselust besonders groß. Schon während der Renaissance war die »Grand Tour«, die »Große Reise«, für junge Herren des europäischen Adels obligatorisch geworden; nun kamen die Vertreter des gehobenen Bürgertums hinzu. Bei diesen Bildungsreisen per Kutsche nach Italien, Frankreich oder Spanien ging es um Charakter- und Herzensbildung, dazu erschien eine Reise ideal: in ungewohnter Umgebung bei fremden Menschen auf sich allein gestellt zu sein. Auch Goethe reiste nach Italien, empfand den Aufenthalt in Rom als eine »Wiedergeburt«.

Die Erfindung der Eisenbahn sollte das Reisen und damit die Wahrnehmung der Welt völlig verändern. 1830 wurde die erste Strecke eröffnet: zwischen Manchester und Liverpool. In Deutschland war man 1835 so weit. Der erste Zug verband Nürnberg mit dem sechs Kilometer entfernten Fürth. Das revolutionär Neue der Eisenbahn waren die niedrigen Fahrpreise. Zum ersten Mal war das Reisen kein Privileg der Oberschicht mehr, konnte ein großer Teil der Bevölkerung regelmäßig unterwegs sein; vor allem Freizeitreisen, da für alle erschwinglich, kamen schnell in Mode. Mit den offenen Waggons für die 3. und 4.Klasse war es bald vorbei, die Außentüren der Abteile, die nur vom Bahnsteig aus zu öffnen waren, wurden ersetzt durch den D-Zug, den »Durchgangszug«. Fortan konnte man sich im Zug frei bewegen. Die internationalen Salonzüge etwa der »Compagnie Internationale des Wagon-Lits« wurden zum Inbegriff des Luxus, der legendäre »Orient-Express« bestand zunächst nur aus Schlaf- und Speisewagen; ab 1883 verband er Paris mit Konstantinopel, dem heutigen Istanbul. Hotels lockten mit heute kaum noch vorstellbarem Komfort: ein »Goldenes Zeitalter« des Reisens, noch heute immer wieder neu dokumentiert (und verklärt) in prächtigen Bildbänden.

Auch per Schiff ließ es sich sehr luxuriös reisen. Seit 1840 gab es regelmäßige Verbindungen von Europa nach Nordamerika, insbesondere für Auswanderer – die allerdings tief im Inneren des Schiffes in der 5. Klasse reisten: Frauen und Männer in getrennten Kabinen für jeweils bis zu 15 Personen.

Im 20. Jahrhundert kamen das Auto, der Zeppelin und das Flugzeug hinzu – allesamt teure Reisevergnügen. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Auto zunehmend zum Massenverkehrsmittel – und zum Statussymbol. In Scharen fuhren die Bundesdeutschen zum Italienurlaub über die Alpen, während die zunehmende Unmöglichkeit des Reisens bei den DDR-Bürgern die Liste der Sehnsuchtsorte immer länger werden ließ.

Heute ist das Reisen zur Selbstverständlichkeit geworden – so sehr, dass manche Urlauber in manchen Gegenden schon nicht mehr erwünscht sind. Barcelona, Venedig, Dubrovnik, Amsterdam leiden unter »Overtourism«, denken über Eintrittsgebühren für Tagestouristen nach. Abhilfe schaffen dürfte das nicht wirklich – die Reiselust hat etwas Hartnäckiges.

Unterwegs war die Menschheit immer. 17 Menschen reisten schon einzig zu ihrem Vergnügen in den Weltraum. Und die Warteliste für die Reise ins All ist lang.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 10/2023.