»Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte.« Das Sprichwort beschreibt sehr passend das Verhältnis zwischen Medien und Praktiken des Streitens: Anderen beim Streiten zuzuschauen, darüber zu lachen, es zu kommentieren und zu teilen – das ist es, was audiovisuelle und digitale Medien ermöglichen. Wahrnehmbar wird dies über Screens – auf Deutsch verstanden als Bildschirme, wobei der englische Begriff auch die Kinoleinwand und das Handydisplay umfasst. Die unterschiedlichen Screens besitzen Wiedererkennungswert: ob das breite Widescreenformat, das seine Faszination im Kino entfaltet, oder das frühere 4:3-Bildschirmformat des Fernsehens (später mit den Maßen 16:9) oder das Hochkantformat des Smartphones.

Technisch-apparative (Massen-)Medien lassen uns an Streitsituationen teilnehmen, die nicht direkt vor uns stattfinden. Von jeher weisen audiovisuelle und damit auch digitale Medien eine große Affinität zum Voyeurismus auf. Dieser ist strukturiert durch die spezielle Rezeptionssituation des jeweiligen Screens: Als Zuschauerin und Zuschauer wird man nicht nur moralisch angesichts einer medialen Streitinszenierung positioniert, vielmehr wird man auch buchstäblich räumlich situiert: Im Kino erlebt man die Bilder auf einer übergroßen Leinwand in einem dunklen Raum, man ist fokussiert und taucht in die Bilderwelten ein. Der Fernseher hingegen steht meistens in nicht verdunkelten Alltagsräumen – wie etwa dem Wohnzimmer. Soziale Medien sind ähnliche Alltagsmedien, nur kann man die Screens von Smartphones überall nutzen, wobei man häufig selbst in Bewegung ist. Dadurch ergeben sich kürzere Aufmerksamkeitsspannen. Smartphones ermöglichen zudem, mit anderen direkt über das Gesehene zu kommunizieren.

In einer solchen Medienkultur wird Herabsetzung als ein Spektakel so ins Bild gesetzt, dass Aufmerksamkeit – als zentrale »Währung« – in dem überbordenden Medienangebot garantiert ist. Inszenierungsweisen der sozialen Medien stehen hierbei in engem geschichtlichem Verhältnis zu den anderen audiovisuellen Medien wie Film, Fernsehen oder Fotografie. Dies gilt insbesondere mit Blick auf Fragen der (Selbst-)Dokumentation und Vermittlung von vermeintlich authentischen Gefühlen. Hier lohnt sich ein pointierter Parcours durch die Mediengeschichte.

»Asoziales Verhalten! Hier sind gerade derartig Grenzen überschritten worden!« So kommentierte einst Moderatorin Britt in ihrer gleichnamigen Talkshow den handgreiflichen Ausraster einer Teilnehmerin. Auch wenn die Grenzüberschreitung vordergründig moralisch geächtet wird, so ist es doch genau diese, warum wir überhaupt das Format einschalten: Es ist ein hämischer, lustvoller Voyeurismus, der Streitsituationen auf dem Fernsehbildschirm von der sicheren Wohnzimmercouch aus so unterhaltsam macht. Dies kennzeichnet die Faszination der in den 1990er Jahren boomenden TV-Talkshows. Bei solchen Shows handelt es sich um eine ausgeklügelte »Industrialisierung der Kommunikation« (Plake 1999), bei der eine vermeintlich sozialmoralische Botschaft in eine Sensations- und Provokationsdramaturgie eingepasst wird. Hierbei findet eine komplexe räumlich-kommunikative Schichtung statt. Zum einen wird die Dialogsituation der Gäste in der Talkshow selbst in Szene gesetzt, zum anderen wird das Saalpublikum als emotionalisierendes Vehikel funktionalisiert: Das Saalpublikum reagiert auf die Gesprächssituation und ist gleichzeitig emotionaler Stellvertreter für die distanzierten Zuschauenden zu Hause. Strategisch werden die Bilder des lebhaften Saalpublikums immer wieder gezeigt. Die Moderation leitet dabei die moralische und affektive Bewertung. Zudem wird subtil visuelle Schaulust geschürt: Trotz offensichtlicher Bühnensituation der Auseinandersetzungen, stellt die Studiodekoration einen scheinbar intimen Innenraum als Gesprächsrahmen her. So entsteht der Eindruck, dass trotz der hochgradigen Inszenierung durch Dramaturgie, Schnitt und voyeuristische Kameraeinstellungen man »echten« konfliktbeladenen Gesprächen beiwohne.

Wie stereotypisiert tatsächlich die gestalterischen Muster sind, führt Komiker Hape Kerkeling als Kunstfigur Horst Brehm anschaulich vor Augen. Mit Trash-Sonnenbrille und Vokuhila-Frisur trat er in der realen Talkshow von Peter Imhof auf – zu dem erfundenen Thema »Ich bin der größte Kotzbrocken«. Kunstfigur Horst Brehm prahlte mit genau dieser Einschätzung seines Charakters direkt in die Kamera, noch bevor er das Studio betrat. Das Fernsehpublikum zu Hause adressierend, ergänzte er mit einem Augenzwinkern: »Das Publikum weiß natürlich Bescheid.« Damit benennt Kerkeling offen die voyeuristische Faszination des Publikums und entlarvt die Formel der generellen Gesprächssituation von Talkshows: Es geht darum, der Entfaltung des Kotzbrockens zuzuschauen.

Die große Leinwand im Kino bedient einen modifizierten Voyeurismus, trägt aber aufgrund ihrer Wirkmächtigkeit zur buchstäblich überlebensgroßen Ikonisierung von Gesten und Posen nachdrücklich bei. Das Genre des Slapsticks hat das körperlich-aggressive Unterhaltungsprinzip bereits im Namen: Slap-Stick – man erzeugt für ein Publikum komische Szenen, indem man sich mit Schlaghölzern traktiert. Ein ebenso beliebtes spielerisches Hilfsmittel der Erniedrigung ist die Torte, die dem Gegenüber ins Gesicht geschleudert wird. So haben die berühmten Stummfilmkomiker Stan Laurel und Oliver Hardy dies bereits 1927 in einer epischen Streitszenerie in allen Variationen durchgespielt. In »The Battle of the Century« entwickelt sich in einer unaufhaltsamen Eskalationslogik tatsächlich eine »Schlacht des Jahrhunderts«, wenn die Bewohner einer Stadt einen ganzen Straßenzug unter cremigen Torten begraben. In der ausgeklügelten Choreografie lässt sich ein ganzes Repertoire an Gesten der Wut, Empörung und Drohung beobachten, ohne dass es viele Worte braucht. Auch hier ist sich das Kino der voyeuristischen Häme der Zuschauenden bewusst: Stan und Oli sind bekannt für das Prinzip des Slow-Burn-Gags, bei dem die gestisch-mimische Reaktion auf eine Situation extrem verzögert erfolgt. Dies wird häufig kombiniert mit einem direkten Blick der Figuren in die Kamera, was eine affektive Verbindung mit den Filmzuschauenden herstellt.

Das Spiel mit den Emotionen des Publikums kann aber gerade auf der großen Leinwand auch in ernsten Registern wirkmächtig genutzt werden. Bei Sergio Leone eskaliert ein Konflikt zu einem tödlichen Duell aus Blicken und männlichen Dominanzposen. Durch das Zusammenspiel von Kamerabewegung, Einstellungsgrößen, Musik sowie zeitlich dehnender Montage entsteht in »Once Upon a Time in the West« eine ausgeklügelte filmische Komposition. Die Inszenierung der Gesichter und drohenden Körper(posen) steht in direkter Beziehung zu der überwältigenden Weite des amerikanischen Westens – besonders erlebbar im übergroßen Widescreenformat im Kino. Diese Ästhetisierung hat die Sequenz zu der ikonischen Darstellung eines Duells in der jüngeren Kulturgeschichte werden lassen.

Die digitale Bildkultur und deren Kommunikationsformen nehmen viele der angesprochenen emotionalisierenden Inszenierungsweisen und Posen auf. »Authentizität« und »Schaulust« haben im Zeichen der Aufmerksamkeitsökonomie von sozialen Netzwerken einen ganz zentralen (Waren-)Wert. So ist »Authentizität« das zentrale Versprechen von Influencern. Streitsituationen bergen hier ein großes Potenzial – besonders, wenn die eigene Position in einer Auseinandersetzung »in Szene« gesetzt werden kann. Beispielhaft ausgedrückt in einem Clip auf TikTok zu toxischen Freundschaften: »She’s been getting toxic lately and I finally got something on camera.« In dem konkreten Fall wird die Aufzeichnung als dokumentarischer Beweis für die Ausfälle einer eifersüchtigen Freundin mit der Netzwerköffentlichkeit geteilt. Dabei wird das Streitgespräch mitgeschnitten, die Aufnehmende ist während des Gesprächs im Selfie-Modus selbst die ganze Zeit frontal im Bild zu sehen. Immer wieder schaut die Filmende zur Kamera, kommuniziert mimisch übertrieben ihre Entrüstung. Die Internetöffentlichkeit wird so zur Instanz, die die Schuldfrage affirmativ im Sinne der Postenden klären soll. Das inszenierte Selbstbild im Streit wird zum Spektakel, bei dem klassische Streitgesten und -mimiken zu dem Mittel werden, um die Währung »Aufmerksamkeit« zu generieren und moralische Bewertung als Anschlusskommunikation anzustacheln, womit letztendlich ganz im Sinne der Plattformökonomie gehandelt wird.

Ob Fernsehbildschirm, Kinoleinwand oder Handydisplay: Alle Screens eröffnen uns einen Blick in einen anderen Kommunikationsraum. Jeder Bildschirm gehorcht innerhalb seiner Mediensysteme eigenen Regeln der Aufmerksamkeitsökonomie und des Voyeurismus. Wenn man aber genau hinschaut, dokumentieren all die Streitszenen vor allem eines: den hohen Grad an Inszenierung und Stereotypisierung unserer heutigen Streitpraktiken durch die Medienkultur. Deshalb gilt es in besonderer Weise, genau und kritisch hinzuschauen, wie die Bilder auf Screens unsere tatsächlichen Formen des Streitens prägen.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2023.