Das Militärhistorische Museum der Bundeswehr (MHM) bietet ein Forum für alle, die mehr erfahren wollen über Krieg und Gewalt, über deren Ursachen und Folgen in Geschichte und Gegenwart. Es lädt ein, über die Möglichkeiten und die Bedingungen von Frieden und Freiheit zu diskutieren. Ausstellungen, Veranstaltungen und museumspädagogische Angebote bieten Schulen, Bundeswehrgruppen und Einzelbesuchenden die Chance, sich fundiert und aus unterschiedlichen Perspektiven mit Militär und Krieg im gesellschaftlichen und im internationalen Kontext zu beschäftigen. Das MHM umfasst nicht nur das Museum in Dresden, sondern auch den Flugplatz Berlin-Gatow, das ehemalige Luftwaffenmuseum, und die Ausstellung »Faszination Festung« auf der Festung Königstein.

Von Weitem sichtbar ist in Dresden der spektakuläre Erweiterungsbau des Architekten Daniel Libeskind. Seit 2011 schiebt sich ein Keil mitten durch das in den 1870er Jahren als Zeughaus errichtete Hauptausstellungsgebäude. Das neu konzipierte MHM ist weder glorifizierende Ruhmeshalle noch militärische Leistungsschau. Es versucht nicht, deutsche Militärgeschichte in ungebrochenen Traditionslinien darzustellen, sondern nutzt Brüche und Perspektivenwechsel, um Denkräume zu schaffen und vermeintliche Gewissheiten zu hinterfragen. Die Dauerausstellung des MHM vereint zwei unterschiedliche Formen des musealen Erzählens: eine Chronologie vom Mittelalter bis heute in den Flügeln des Altbaus und einen Themenparcours im »Libeskind-Keil«, in dem zeitlich übergreifende Bereiche wie »Militär und Technologie«, »Leiden am Krieg« oder »Krieg und Gedächtnis« zu finden sind. Beide Ausstellungsteile eint der Blick auf den einzelnen Menschen, der Gewalt ausübt und/oder erfährt. Dieser Ansatz verdankt sich nicht zuletzt dem Leitbild der Staatsbürgerin bzw. des Staatsbürgers in Uniform – dem Ideal von der Bundeswehr als integralem Teil einer offenen, pluralistischen Gesellschaft. Bei der Neukonzeption ermöglichte es dieses Leitbild dem Museum, in der Darstellung von Gewaltfolgen und in der kritischen Auseinandersetzung mit Krieg und Militär wesentlich weiter zu gehen als die Armeemuseen vieler anderer Länder.

Das MHM nimmt auch die jüngste Geschichte in den Blick. Der chronologische Rundgang mündet in die Ausstellung »Krieg und Frieden 2005-2021«. Ein zentrales Thema ist hier der 20 Jahre dauernde Afghanistaneinsatz der Bundeswehr. Eine Serie großformatiger Porträtfotografien von Jens Umbach gibt deutschen Soldatinnen und Soldaten ein Gesicht, zeigt aber auch Afghaninnen und Afghanen. Die abgesprengte Tür eines Allschutz-Transportfahrzeugs Dingo erinnert an das Karfreitagsgefecht bei Isa Khel am 2. April 2010, das über acht Stunden dauerte und mit drei Toten und mehreren Schwerverwundeten das bislang verlustreichste Gefecht in der Geschichte der Bundeswehr ist. Soldaten gestalteten im Gedenken an die Toten ein Transparent mit der Aufschrift »Treue um Treue«. Es zeigt, wie schwierig Erinnerungskultur im Einsatz sein kann. Denn die Losung geht zurück auf die Fallschirmjäger der Wehrmacht und kann für die Bundeswehr keine Tradition begründen. Persönliche Gegenstände stellte dem Museum Generalmajor Georg Klein zur Verfügung, der 2009 als Oberst die Bombardierung von zwei Tanklastzügen angefordert hatte, bei der auch Zivilisten starben. Hier wird deutlich, wie hoch die Verantwortung ist, die Soldatinnen und Soldaten tragen, und wie wichtig Regeln für die Anwendung militärischer Gewalt sind. Auf die veränderte Sicherheitslage in Europa verweist das Rad eines ukrainischen Jeeps, das 2016 im Donbas von einer russischen Granate durchbohrt wurde. Als am 24. Februar 2022 der russische Angriff auf die gesamte Ukraine begann, rückten diese Ereignisse und Deutschlands Reaktionen darauf in den Fokus. Zeitgenössische Kunst ist ein wesentlicher Teil des multiperspektivischen Ansatzes. So wird mit »Hostomel« auch eine aktuelle Arbeit des ukrainischen Künstlers Nikita Kadan präsentiert: Das Fragment eines in den ersten Kriegswochen zerstörten Hausdaches windet sich wie eine Fahne, entwickelt ein Eigenleben.

Das MHM dient der historischen Bildung und schafft Grundlagen für den kompetenten, sorgfältig abwägenden Umgang mit der Vergangenheit. Ein eigener Bereich erklärt den enger gefassten Traditionsbegriff der Bundeswehr, nämlich die bewusste Auswahl von Personen, Ereignissen, Institutionen und Prinzipien, die vorbildlich und richtungsweisend in die Gegenwart wirken. Traditionsbildung und -pflege wird als schwieriger und anspruchsvoller, aber auch als lebendiger und partizipativer Prozess erfahrbar. Erinnern ist zutiefst persönlich. Die Begegnung mit authentischen Objekten, mit offiziellen Dokumenten, Ausrüstungs- und Alltagsgegenständen, Erinnerungsstücken und Zeitzeugenberichten, mit Fotografien und Kunstwerken ist individuell. Sie kann immer nur eine Annäherung an unterschiedliche Erfahrungswelten zwischen Krieg und Frieden sein. Besuchende bringen ihre eigene Welt mit ins Museum. Der eine hat sich bisher kaum mit Militär und Krieg beschäftigt, die andere ist traumatisiert aus einem Einsatz zurückgekommen. Im besten Falle treffen sich im Museum Menschen, die sich anderswo kaum begegnen würden.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2023.