Die Liste der Katastrophen, die das Bundesarchiv und seine Vorgängerarchive seit 1919 zu bewältigen hatten, ist erfreulicherweise recht kurz. An der Spitze steht natürlich der Brand des Potsdamer Reichsarchivs, das am 14. April 1945 von einer Brandbombe getroffen und erheblich beschädigt wurde. Große Teile des Heeresarchivs und damit – heute besonders schmerzlich – auch die Akten der kolonialen Schutztruppen fielen den Flammen zum Opfer und gingen unwiederbringlich verloren. Der Brand eines Filmmagazins am 26. Januar 1988 auf der Koblenzer Festung Ehrenbreitstein – vermutlich verursacht durch eine defekte Elektroleitung – nimmt sich dagegen vergleichsweise bescheiden aus. Und das gilt erst recht für kleinere Wasserschäden als Folge undichter Dächer oder Leitungen. Hochwasser, Erdbeben und andere Naturkatastrophen haben das Bundesarchiv bislang verschont.

Mit dem Eindringen großer Mengen Grundwasser in die Filmbunker in Berlin-Wilhelmshagen oder einem unzureichenden Brandschutz in der gerade übernommenen Liegenschaft Berlin-Reinickendorf gab es allerdings sehr wohl ernsthafte Gefährdungslagen. Diese konnten mit gezielten Gegenmaßnahmen so lange unter Kontrolle gehalten werden, bis die gefährdeten Archivgutbestände ebenso wie die in diesen Dienststellen beschäftigten Menschen in sichere Ausweichliegenschaften umziehen konnten.

Vor großen Naturkatastrophen kann das Bundesarchiv sich nur bedingt aktiv schützen; Erdbeben und Meteoriteneinschläge passieren eben, aber gottlob nur extrem selten. Dagegen lassen sich die Auswirkungen viel wahrscheinlicherer Bedrohungen wie Hochwasser, Stürme und Brände durch präventive Maßnahmen entweder von vorneherein vermeiden oder zumindest auf ein Minimum begrenzen. Es klingt banal, aber Archive sollten einfach nicht in hochwassergefährdeten Gebieten liegen. Magazine, die den fachlichen Standards entsprechen, sind kaum anfällig für Sturm und Hagelschlag. Und selbst Brände oder Wasserschäden können gar nicht erst entstehen, wenn bei der Planung darauf geachtet wird, dass weder Strom- noch Wasserleitungen durch Archivmagazine führen.

Mithin ist es die größte Sorge des Bundesarchivs, das gesamte ihm anvertraute Archivgut in fachgerechten Magazinen unterzubringen. Daran arbeiten wir beharrlich seit vielen Jahren und sind guter Hoffnung, dass – in Realisierung eines vom Bundesarchiv und der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien entwickelten Masterplans – bis zum Jahre 2035 mehr oder weniger alle Bestände des Bundesarchivs bestmöglich untergebracht sein werden.

Davon abgesehen existiert schon heute für jeden Standort des Bundesarchivs ein Notfallplan, der die sofort einzuleitenden Maßnahmen für alle denkbaren Schädigungsfälle definiert. An den meisten Standorten ist das Bundesarchiv in Notfallverbünden organisiert. In Koblenz, Berlin und künftig auch in Chemnitz unterhält es Gefriertrocknungsanlagen, um nässegeschädigtes Archivgut rasch behandeln zu können. Um für derartige Notfälle gerüstet zu sein, hat der Deutsche Bundestag dem Bundesarchiv für die Jahre 2023 bis 2025 Sondermittel in Höhe von 3,23 Millionen Euro für Zwecke des Katastrophenschutzes zur Verfügung gestellt.

Die größte Bedrohung des Archivguts im Bundesarchiv wie in anderen Archiven liegt aber im endogenen Materialzerfall, dem nun einmal alle von Menschen geschaffenen Artefakte unterliegen. Er kann mit bestands erhalterischen Mitteln – auch hier spielen fachgerechte Magazine eine zentrale Rolle – nur verlangsamt und nicht gänzlich gestoppt werden. Die hier drohende schleichende Katastrophe betrifft nicht nur das Archivgut als materielles Kulturgut, sie betrifft das in den Archiven bewahrte Wissen der Menschheit ganz grundsätzlich. Um diesem am Ende viel größeren Verlust frühzeitig entgegenzuwirken, erstellen die Archive seit Langem Sicherungsformen. Das Bundesarchiv hat schon vor mehreren Jahren die bis dahin alternativlose Mikroverfilmung aufgegeben und digitalisiert nun seine Bestände systematisch. Auf diese Weise ergeben sich Synergieeffekte, da die systematische Digitalisierung der modernen Bereitstellung von Archivgut ebenso dient wie der Sicherung unseres historischen Wissens. Sie ist auch ein Schutz vor (bewusster) Zerstörung in kriegerischen Konflikten, wie das Beispiel der Ukraine eindrücklich belegt.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 7-8/2023.