Düster-grau. In Sekundenschnelle blitzen sie auf, schwarz-weiße Bilder von Explosionen, Ampelmännchen, Raketen. »Diese Welt ist gefickt, ja vielleicht hör ich auf, nur noch ein-zwei Hits (…) diese Welt ist im Krieg.« Im Musikvideo von MiZebs »Disstrack an die Welt« kritisiert er die Blindheit der Gesellschaft. Setzt sich für »Menschen zweiter Klasse« ein – »denn am Ende interessier’n euch nur die Tankstellenpreise. Gibt kein Geld für die Pflege, doch Patronen und Gewehre (…) Bruder ich hab’ keine Liebe mehr – ich fick’ diese Welt«. Ein Weckruf in klarer Sprache: Was rough daherkommt, ist ein Plädoyer für mehr Menschlichkeit.

Kein Blatt vor den Mund zu nehmen – das ist Alltag im Hip-Hop-Geschäft. Es ist aber noch mehr. Musikalisch zu streiten, oder zumindest in den Wettkampf zu gehen, ist eine Kunst. Der Beef im Rap-Geschäft ist gewollt, denn: Er lockt aus der Reserve.

In »Samy De Bitch!!« missfiel dem Rapper Azad die Präsenz von Samy Deluxe in den kommerziellen Medien Anfang der 2000er Jahre: »In Lektion Nummer Vier demonstrier ich dir Realness. Ich fick Promo, während du bei Interaktiv sitzt.« Ob vulgär oder smart, es zieht. Samy Deluxe antwortet in »Rache ist süß«: »Ich weiß, du beneidest mich, weil ich so ein tighter Rapper bin. Doch du rappst länger als ich und hättest dich auch mal bessern können.«

Sportlich-derb mit Wortwitz die Gesellschaft oder andere Musikerinnen und Misker anzugreifen – dieser Stil hat eine eigene Liga: die Battlerap Bundesliga (BRB). Neben vorgeschriebenen Texten gibt es Freestyle und zwischen Hip-Hop-Künstlerinnen und -Künstlern den echten Austausch. Punchlines und Konter – der Dialog wird zur Herausforderung, kränkend, sinnlich, manchmal laut, oft wenig subtil, einfach emotional. Doch was ist es, das Konsumentinnen und Konsumenten an der Beobachtung von öffentlichen Streits reizt? Streiten – das heißt lebendig sein, sagte der Publizist Michel Friedman aus Frankfurt in einem Interview mit dem Deutschlandfunk vor zwei Jahren. Er hat ein Buch über Streitkultur veröffentlicht und glaubt fest daran, dass man durch Streiten lernt. Streiten habe einen Wert an sich, man setze sich mit anderen und deren Meinungen auseinander. Wer streite, provoziere, sei lebendig. Friedmann sieht das als Freiheitsrecht, als Sauerstoff der Demokratie.

Wie gut dieser Sauerstoff verbindet, zeigte jüngst ein Massenansturm in Frankfurt. Verschwitzt strecken sie die Hände in die Höhe, gedrängt dicht an dicht – rund 1.000 Jugendliche versuchen, nur eines zu bekommen: ein Give-away von Rapper Reezy und Achraf – dem Gründer des Streetwear-Labels 6PM. CD oder Streetwear – Menschen aus ganz Hessen strömen zur Frankfurter Hauptwache am 23. August 2023. Nach einem Social-Media-Aufruf der beiden in die Fußgängerzone. Rap – der zieht.

Jigzwar gegen Karat, Mois gegen Maestro, The Game gegen Eminem – gern erklären Rappende auf Onlineforen oder in den sozialen Netzwerken, warum sie den jeweils anderen gedisst haben. »Er hat schwerwiegende, harte Sachen über mich gesagt«, lauten die Antworten. »Er hat in einer Insta-Fragerunde angegeben, dass er zu 0% Kontakt mit mir haben will« oder einfach »Weil es sonst niemand macht«. Egal ob persönliche Gründe oder weil der Rappende es fühlt: Im Hip-Hop wird gebattelt – unmittelbar, ungeschönt und über längere Zeit hinweg.

Diese Auseinandersetzung mit dem jeweils anderen gehört zur demokratischen Verpflichtung, sagt Publizist Friedman. In seinem aktuellen Buch »Schlaraffenland abgebrannt«, das jetzt erscheint, spricht er über das Privileg der Demokratie: »Aber ist dieses Privileg nicht auch Verpflichtung? (…) Es macht mich traurig, wie wenig Lust und Sehnsucht Menschen haben, zu streiten. Zu denken. Vor-zu-denken. Nach-zu-denken. Ideen zu entwickeln. Thesen zu entwickeln. Fantasien freien Lauf zu lassen. Gefühle in Worte umzusetzen, Argumente zu suchen. Gegenargumente zu finden. Konflikte auszuhalten, sich zu engagieren.« Womöglich ist es das, was den Hip-Hop und Battle-Rap so lebendig macht. Das Aufstehen für Eigenes, das Auflehnen gegen Meinungen, die Stärkung von Einsichten durch ihre kurzfristige Defragmentierung.

Was zunächst plump daherkommt, mit Hurensöhnen, Nutten und sexualisierter Sprache ist jedoch weniger einfach, als es scheint. Wer battelt und disst, muss die richtigen Worte finden – und das im richtigen Augenblick. Im Takt die Buchstaben wortstark aneinanderreihen, so, dass sie nicht kaltlassen, sondern, genau: aufreiben. Nicht nur Brüllen, Monologisieren oder Aufdrängen. Sondern einen öffentlichen Diskursraum in der Musik schaffen. Eine Aufsässigkeit, die in ihrer ganz eigenen Kultur erwünscht ist, denn wer raushaut, weckt auf, der kriegt im Hip-Hop eine Antwort.

»Streit ist ein Miteinander, nicht ein Gegeneinander«, findet Publizist Friedman in seinem aktuellen Buch. Ein guter Streit sei wie ein Konzert ohne Dirigenten. »Die Solisten sind gut vorbereitet, haben geübt, können harmonisch mit ihren Instrumenten mehr Miteinander schaffen, als ein Solo entstehen lassen könnte.« Immer wieder beziehen sich die Rappenden aufeinander, hauen raus, (re-)agieren. Zwar nicht per definitionem harmonisch, aber zumindest in Bezug aufeinander.

»Mit Eminem ist es nichts Persönliches«, betonte The Game im Mai. »Ich hab’ das Gleiche mit Jay-Z gemacht, als ich jünger war. Manchmal schießt man halt. Hip-Hop muss interessant sein.« Und wer schießend streitet, scheint interessant zu bleiben. Im Hip-Hop geschieht Streit nicht subtil, sondern schlagkräftig direkt. Wer streitet, haut zu, lockt den Gedissten aus der Reserve, will angreifen, um auszuteilen. Weggeduckt wird nicht.

Gerade hier kommt es vor, dass verbale Gewalt den Diskursraum prägt. Da sind Vorurteile und politisch unkorrekte Meinungen. Frauen, Mutterf*** und kalkulierte Provokationen stehen an der Tagesordnung von Rap-Songs, fehlerhafte Frauenbilder ebenso. Warum ist das hier erlaubt?

Schon länger melden sich die Frauen in der Deutschrap-Szene aber selbst zu Wort. Die weiblichen MCs der aktuellen Generation zeigen, dass auch weiblich »hart gedisst« werden kann. Antifuchs, Schwesta Ewa oder Celine – sie zeigen sich und packen aus: »Du hattest recht, ich bin crazy – Steh’ auf dei’m Benz mit ’nem Basey – Du hast mein Leben gefickt – Jetzt kriegst du alles zurück – Geistesgestört wie Slim Shady – Du nennst mich nie wieder ›Baby‹ – Denn für mich bist du ein Hurensohn.«

Hinfort der scheinbar »klassisch-weibliche« Sanftmut, stark und laut kommen die femininen Wortkraftpakete auf die Fläche; sind seit Jahren nicht mehr aus dem Hip-Hop wegzudenken. Die Künstlerkolleginnen und -kollegen werden herausgefordert – im direkten Kräftemessen der Sprachgewalt.

Ein Track hier, eine Line da – gedisst wird im Hip-Hop seit jeher. Ein Kriegsbeil, das mittlerweile auch teilweise begraben wird. »Es gibt keine Gegner gerade«, sagte Rapper-Legende Fler in einem Online-Interview Anfang des Jahres. »Wen soll ich denn dissen?« Disstracks seien nur dann sinnvoll, wenn der Gedisste ein hohes Standing habe. Anderen Rappern durch den Diss eine Plattform zu bieten sei nicht sinnvoll. Also geht es gegen alle – gegen die Welt. Wie bei MiZebs. Corona, Ukraine und Klimakrise – aufreibende Themen gibt es genügend. Recht hat er.

Streiten hat also doch auch etwas mit Augenhöhe zu tun. Wer gut streiten kann, der erhebt sich nicht, der prügelt nicht nur ein. Wer streiten kann, geht in Verbindung, setzt sich auseinander. Dass das im Rap seit seiner Gründung hitzige Wortwechsel einschließt, ist Ehrensache. Wem das nicht gefällt, der darf gern drüber streiten.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2023.