Das Deutsche Hygiene-Museum, gegründet vor mehr als 100 Jahren, versteht sich heute als ein offenes Forum für kulturelle, soziale und wissenschaftliche Debatten. Doch welche Rolle spielt das Thema Hygiene dabei noch? Politik & Kultur fragt bei Museumsdirektorin Iris Edenheiser nach.

Wie viel »Hygiene« steckt im Deutschen Hygiene-Museum Dresden (DHMD): Welche Rolle spielt das Thema Hygiene für Ihre Arbeit – historisch und heute?

Seit nunmehr über 30 Jahren sind wir so ziemlich alles – nur kein Museum, in dem es um Hygiene geht. Wir sind heute ein Haus, das sich vom Menschen ausgehend aktuell und gesellschaftlich relevant den wissenschaftlichen, kulturellen und sozialen Fragestellungen unserer Zeit zuwendet. Insofern spielt der Hygiene-Begriff für uns programmatisch überhaupt keine Rolle mehr, er ist heute nur noch ein Quasi-Marken-Name. Konzeptionell war er jedoch das Fundament des Hauses – und zwar als der weitgefasste Begriff, der er zu Anfang des 20. Jahrhunderts war und der wesentlich über unsere heutige alltagsweltliche Vorstellung von Hygiene als physische Sauberkeit hinausreicht. Er meinte in enger Verbindung mit lebensreformerischen Ansätzen die präventive Förderung von körperlicher und geistiger Gesundheit sowie des individuellen und gesellschaftlichen Wohlergehens. Darin angelegt sind jedoch bereits sozialhygienische Fantasien, die sich zunehmend eugenisch orientierten und auf einen imaginären Volkskörper richteten, bei dem genau definiert war, wer darin gesunde und deshalb erhaltenswerte Elemente darstellte und wer kranke und deshalb auszumerzende.

Wie ist das Deutsche Hygiene-Museum entstanden? Was war die ursprüngliche Idee hinter dem Haus?

Als Gründungsmoment gilt die Veröffentlichung der »Denkschrift zur Errichtung eines National-Hygiene-Museums« von Karl August Lingner, dem sogenannten »Odol-König«, im Jahr 1912, die in der Folge der I. Internationalen Hygiene-Ausstellung in Dresden verfasst wurde. Zunächst war das Museum noch eine Institution ohne Haus: Es funktionierte über Wanderausstellungen, die auf der Basis von Werkstattproduktionen entstanden. Von Beginn an und bis 1990 war die Produktion von Lehrmitteln, wie z. B. anatomischen Modellen, ein wichtiger Bestandteil, zeitweise gar der Kern der Aktivitäten des DHMD. Die Grundidee des Hauses war die gesundheitliche Volksaufklärung im Zuge der gerade skizzierten Hygiene-Bewegung.

Welche Rolle spielte das Deutsche Hygiene-Museum nach der Machtergreifung Hitlers ab 1933?

Das Museum stellte sich mit seinen avancierten Vermittlungsmethoden und seiner Produktion von Lehrmitteln sofort ab 1933 in den Dienst der NS-Machthaber und popularisierte deren menschenverachtende rassistische und antisemitische Ideologie. Das Museum hatte damit Anteil an der geistigen Vorbereitung millionenfacher physischer Vernichtung. Intern wurden in vorauseilendem Gehorsam bereits kurz nach der Inkraftsetzung des sogenannten »Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« alle jüdischen Mitarbeitenden entlassen, z. B. die verdienstvolle Wissenschaftlerin in Leitungsposition Marta Fraenkel, die in New York ihre Karriere fortsetzte. Auch am Museumsbau erfolgten Eingriffe, so wurde ein großes Fresko von Otto Dix abgeschlagen, das sich im damaligen Café befand und den Bau des Museums zeigte.

Wie förderte das Deutsche Hygiene-Museum in der DDR mittels Ausstellungen die gesundheitliche Aufklärung und Vorsorge der Bürgerinnen und Bürger?

Nach dem Zweiten Weltkrieg standen zunächst Aufklärung und Prävention von Volks- und Infektionskrankheiten im Fokus, danach erfolgte eine Umorientierung auf die Erziehung zu gesunder Lebensführung. Ab 1954 war das Museum »Zentralinstitut für medizinische Aufklärung« und vermittelte die staatlich gelenkte, zentralisierte und vorsorgeorientierte Gesundheitspolitik des Ministeriums. Dazu gehörte im Kontext der globalen Systemkonkurrenz auch das Propagieren einer Überlegenheit des DDR-Gesundheitssystems gegenüber dem der BRD. Lange Zeit konzentrierte sich das Museum auf Wanderausstellungen, die es zum Teil in spektakulären Wanderpavillons präsentierte. Viele Ausstellungen, z. B. zum Arbeitsschutz, wurden direkt in den Betrieben gezeigt. Später wurde die Produktion für Film und Fernsehen, unter anderem mit der DEFA, zusehends wichtiger. Ab den 1980er Jahren rückte explizit auch psychische Gesundheit in den Fokus. 1982 wurde das Haus Mitglied der WHO und damit auch die Sonderausstellungstätigkeit intensiviert. Für 2024 bereiten wir eine große Sonderausstellung zum Hygiene-Museum in der DDR vor, welche diese Aspekte sehr ausführlich behandeln wird.

Wie wollen Sie heute das Deutsche Hygiene-Museum in die Zukunft führen? Welche Schwerpunkte setzen Sie?

Wir bauen auf einem sehr gut aufgestellten Haus auf, das im Kern weiterhin entschieden zeitgenössisch ist und sich als Debattenort versteht, an dem gesellschaftlich relevante, aktuelle Fragestellungen diskutiert werden. Was ein »Museum vom Menschen« im Anthropozän und einer klimakrisengebeutelten Welt sein kann – das ist eine Debatte, die wir intern und mit externen Partnerinnen und Partnern führen. Konkret tun wir dies z. B. entlang der Aktualisierung der Dauerausstellung. Anpassungsmaßnahmen an die Klimakrise und ein Bekenntnis zu nachhaltigen Arbeitsweisen sind jedoch selbstverständlich ein Querschnittsthema für das gesamte Haus. Für unsere populär-avancierten Sonderausstellungen bedeutet das vor allem ein neues Arbeiten im szenografischen Bereich. Und Museumsarbeit ist immer auch Beziehungsarbeit: Das DHMD befindet sich seit einiger Zeit in einem diversitätsorientierten Öffnungsprozess, z. B. durch eine Community-Werkstatt. Diese Verbindungen zur post-migrantischen Stadtgesellschaft wollen wir weiter intensivieren. Dazu gehört in Dresden eine Reflexion der spezifischen lokalen historischen Erfahrungen ebenso wie ein Outreach-Programm in die ländlichen und Transformationsregionen Sachsens. Neben dieser Lokalisierung steht ein Ausbau internationaler Kooperationen an – insbesondere mit Partnerinnen und Partnern aus dem »Globalen Süden« und Osteuropa.

Intern steht – wie bei allen Kulturinstitutionen – mehr Querschnittsarbeit, mehr Agilität, mehr Partizipation der Mitarbeitenden auf der Tagesordnung. Perspektivisch müssen wir raus aus der Wachstumslogik eines »Immer größer, schneller, weiter«. Dabei ist besonders auch die Politik als Trägerin von Kulturinstitutionen gefragt: Erfolgsmessungen ausschließlich an den Zahlen der Besucherinnen und Besucher müssen ebenso infrage gestellt werden wie die Sinnhaftigkeit von spektakulären Bau- und anderen Großprojekten in Zeiten finanzieller und personeller Knappheit.Also, Sie sehen – mit Hygiene hat all das nichts mehr zu tun.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 12/2022 – 1/2023.