Zweimal unterbrochener Heulton, nach 30 Sekunden eine Wiederholung, dieser sogenannte ABC-Alarm warnte in meiner Kindheit regelmäßig vor dem Einsatz atomarer, biologischer oder chemischer Waffen. Die älteren Leserinnen und Leser werden sich sicherlich auch an diese Probealarme erinnern. Regelmäßig wurde so wachgehalten, dass es jeden Moment anders sein kann, dass Handlungsfähigkeit und vor allem Schutz im Notfall dringend erforderlich ist. Einen großen Stellenwert hatten dabei die Übungen vor militärischen Angriffen. Manöver von Nato-Truppen, insbesondere US-amerikanischer Einheiten, gehören zu meinen Kindheitserinnerungen. Mit dem Fall der Mauer schien dieses nicht mehr erforderlich zu sein. Manche sprachen gar vom Ende der Geschichte, zumindest aber hatte der Kalte Krieg seinen Schrecken verloren. Manöver waren von gestern. Ebenso war es ewiggestrig, Vorräte anzulegen. Der weltweite Markt schien alles »just in time«, also zu dem Zeitpunkt, wo es gebraucht wurde, kostengünstig anzubieten. Produktion in Europa oder gar in Deutschland galt als zu teuer.

Die drei Jahre Coronapandemie haben gezeigt, dass fehlende Vorsorge äußerst kurzsichtig war. Sie haben gezeigt, wie Lieferketten zusammenbrechen, wie plötzlich selbst elementare Utensilien im Krankenhaus wie Masken oder Schutzkittel fehlen.

Die Hochwasser an Ahr und Erft im Sommer 2021 haben einmal mehr vor Augen geführt, welche dramatischen Auswirkungen Starkregen haben können und dass die bisherige Art des Bauens an Flussnähe im Vertrauen, dass schon nichts passieren wird, dringend hinterfragt werden muss. Die Dürren in den letzten Sommern und fehlende langsame Sommerregen führen nicht nur zu Ernteeinbrüchen, sie stellen auch die Gartenkultur, insbesondere den Schutz und die Pflege historischer Gärten, vor neue Herausforderungen.

Der Angriff Russlands auf die Ukraine und der seit mehr als einem Jahr andauernde Krieg zeigen, dass in Europa, fast in unserer unmittelbaren Nachbarschaft Kriege möglich sind. Mit »Zeitenwende« wird die vor wenigen Jahren kaum vorstellbare Aufrüstung beschrieben.

Krankheiten, Klima, Krieg, das sind nur drei Bedrohungen, mit denen sich die gesamte Gesellschaft und so auch der Kulturbereich auseinandersetzen müssen. Sie verlangen Vorsorge und Investitionen, deren Nutzen auf den ersten Blick nicht zu erkennen ist. Vorsorge im Kulturbereich ist wenig »sexy«, sie kann nicht ausgestellt werden. Lobeshymnen in den Feuilletons sind kaum zu erwarten.

Aktuell stehen drei Maßnahmen an, um den Kulturbereich vor Katastrophen besser zu schützen: die Umsetzung des Sendai-Rahmenwerks, das KRITIS-Dachgesetz und das Klimafolgenschutzgesetz. Bei allen drei Maßnahmen sollte der Sachverstand aus dem Kultursektor eingebunden werden und vor allem kommt es bei allen drei auf den kooperativen Kulturföderalismus an. Denn Katastrophenschutz ist zuallererst Aufgabe der Länder und Kommunen.

Das Sendai-Rahmenwerk wurde im Jahr 2015 auf der dritten Weltkonferenz zur Reduzierung von Katastrophenrisiken in Sendai in Japan verabschiedet. Es ist eingebettet in die Umsetzung der UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und das Pariser Klimaabkommen. Alle drei Dokumente wurden 2015 von der Weltgemeinschaft verabschiedet, um vor Katastrophen zu schützen und die Gesellschaften in die Lage zu versetzen, Gefährdungen zu erkennen, sich ggf. anzupassen, sie umzuwandeln und sich davon zu erholen. Also, resilienter zu werden. Im Sendai-Rahmenwerk werden Pandemie, Naturkatastrophen bzw. der Klimawandel und Kriege angesprochen. Es zielt darauf ab:

  • das Katastrophenrisiko zu verstehen,
  • die Institutionen zu stärken, um das Katastrophenrisiko zu steuern,
  • in die Katastrophenvorsorge zu investieren, um die Resilienz zu stärken,
  • die Vorbereitung auf den Katastrophenfall zu verbessern und einen besseren Wiederaufbau ermöglichen,
  • die internationale Zusammenarbeit zu stärken.

Es geht also darum, einen ganzheitlichen Ansatz zur Katastrophenvorsorge zu entwickeln und das Bewusstsein für die Vorsorge zu schärfen. Besonders wichtig ist im Sendai-Rahmenwerk, dass staatliche und nichtstaatliche Akteure zusammenarbeiten. Federführend für die Umsetzung des Sendai-Rahmenwerks ist das Bundesministerium des Innern und für Heimat sowie das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) als nachgeordnete Behörde. Das BBK ist auch Ansprechpartner für den Kulturgutschutz und hat beispielsweise einen entsprechenden Leitfaden für die Kulturgut bewahrenden Einrichtungen erstellt. Ferner hat das BBK die Federführung für die Bundessicherungsverfilmung. Hier werden seit 1961 historisch bedeutsame Dokumente verfilmt. Dabei findet eine enge Zusammenarbeit von Bund und Ländern sowie der Stiftung Preußischer Kulturbesitz statt. Die Mikrofilme werden seit 1975 im Barbarastollen im baden-württembergischen Oberried in speziellen Edelstahlbehältern gelagert. Seit einigen Jahren werden statt einer Verfilmung auf Mikrofilm die Dokumente digitalisiert. Inzwischen ist der Bestand auf über eine Milliarde Digitalisate und Mikrofilme angewachsen. Es handelt sich jeweils um Dokumente mit besonderer Aussagekraft zur deutschen Geschichte und Kultur. Das BBK setzt damit die Verpflichtungen um, die die Bundesrepublik Deutschland mit der Ratifizierung der Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten im Jahr 1967 eingegangen ist. Mit der Federführung für die Umsetzung des Sendai-Rahmenwerks hat sich der Aktionsradius des BBK auch für den Kulturgutschutz über die Haager Konvention hinaus ausgeweitet.

Mit dem KRITIS-Dachgesetz, kurz für Kritische-Infrastruktur-Dachgesetz, soll die EU-Richtlinie zur Sicherung kritischer Infrastruktur in deutsches Recht umgesetzt werden. Kritische Einrichtungen im Sinne der EU-Richtlinie sind: Energieversorgung (Strom, Fernwärme und -kälte, Erdöl, Erdgas, Wasserstoff), Verkehr (Luftfahrt, Schienenverkehr, Schifffahrt, Straßenverkehr, öffentlicher Verkehr), Bankwesen, Finanzmarktinfrastrukturen, Gesundheit, Trinkwasser, Abwasser, Digitale Infrastruktur, öffentliche Verwaltung, Weltraum. Ziel ist es, auf Pandemien, Krieg, Naturkatastrophen etc. gemeinschaftlich reagieren zu können. Hierzu sollen Mindestvorgaben im Bereich der physischen Sicherheit sowie ein Resilienzplan entwickelt werden, der regelmäßige Risikobewertungen und Maßnahmen zur Sicherung der Infrastruktur vorsieht. In der EU-Richtlinie ist Kultur nicht explizit genannt. Umso wichtiger ist es nun, auf der nationalen Ebene Kultur einzubeziehen und dabei beim dringend erforderlichen Kulturgutschutz nicht stehen zu bleiben, sondern ebenso die Kulturorte in ihrer Breite und die immaterielle Kultur in den Blick zu nehmen.
Die Erarbeitung eines Klimafolgenschutzgesetzes wurde von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP im Koalitionsvertrag vereinbart. Hier geht es in erster Linie darum, angesichts des Klimawandels die Infrastruktur zu sichern und entsprechende Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Hier wird es notwendig sein, die unterschiedlichen Anforderungen aus dem Kulturbereich in das Gesetzgebungsverfahren einzubringen.

Nachhaltige Kulturpolitik muss sich daran messen lassen, ob entsprechende Vorsorge vor Katastrophen wie Krieg, Wetterextremen und Pandemien getroffen wurde. Das ist zwar wenig öffentlichkeitswirksam, für die Resilienz des Kultursektors aber unverzichtbar.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 7-8/2023.