In der Geschichte der Kunstwelt gab es immer wieder Ereignisse, die zur Änderung des allgemeinen Verständnisses führen. Die Kunst verfolgte immer wieder unterschiedliche Ziele. Wenn wir an die allerersten Zeichnungen überhaupt denken, dann stellen wir fest, dass die Kunst als Aufzeichnung diente. Das, was die »Künstler« damals für so wichtig hielten, dass es übermittelt werden sollte, wurde in Kunst gefasst. In Zeiten vor der Verbreitung von Lesefähigkeiten diente die Kunst als bildlich verständliche Sprache. Als die Mäzene und die Kirche begriffen, dass Kunst auch als anwaltlicher Vertreter einer spezifischen Meinung dienen konnte, ergab sich die Erhebung der Künstler über die anderen Handwerker. Es war von Genie die Rede.

Diese Bezeichnung blieb bis zur heutigen Wahrnehmung haften. Die Künstler, die als Genie dargestellt wurden, waren im Endeffekt die, für die wir Kunsthändler uns eingesetzt haben. Wenn die Geschichte gut ist – jung, Außenseiter, problematisches Leben, früher Tod, talentiert etc. –, kann aus einer Lebensgeschichte mit den dazugehörigen Werken ein allgemein verständliches Narrativ erzeugt werden, das auch vermarktbar ist. Da wir zurzeit alles durch einen Filter des Preises betrachten, ergibt sich dadurch ein perfektes Konstrukt: eine Pyramide aus Galerien, bei der eine Handvoll große Namen um die Spitze buhlen und alle anderen als Zulieferer darunter Position einnehmen.

Die Kunstwelt erzeugt Verlangen und bedient dieses durch Angebot. Parfümwerbung ist ein gutes Beispiel dafür. Ein Bild mit einer Marke zeigt ein Ideal, das wir uns selbst wünschen und das erreichbar ist – zumindest denken wir es unterbewusst –, wenn wir dieses Parfüm kaufen und verwenden. Ein einfaches Werkzeug, das wir aus diversen Ereignissen der medialen Vergangenheit kennen. Hauptsächlich nach der Industrialisierung, wo die Profite nur durch genügend Umsatz erzielt werden konnten.

Am 13. November 2022 führt OpenAI die DALL-E-2-Plattform ein. Spätestens im Februar 2023 wird das als Werkzeug der Kreativität erkannt. Künstler legen Einspruch gegen die Verwendung ihrer Werke als Lehrbuch der Künstlichen Intelligenz (KI) ein. Andere beanspruchen Auszahlungen, wenn eine KI deren Werke verwendet. Als ob Menschen nicht genau das schon seit Anbeginn der Zeit machen. Kann ich nicht einen »Picasso« malen oder einen »August Sander« fotografieren? Die sorgen sich um ihren Markt. Das ist eine berechtigte Sorge, deren Drohung unausweichlich ist. Tatsächlich endet der größte Teil der Kunst. Die Museen und Zollfreilager sind (fast) voll. Von der Vielzahl an Werken, die ein Künstler produziert, gibt es einen Markt für nur das, was die Betrachter kaufen wollen, egal was intendiert ist.

Die Vermarktung, vor allem durch die großen Galerien und den Geldsegen der Investoren vor 2008 hat zu einem Klima in der Kunstwelt geführt, in dem jeder, und damit meine ich wirklich jeder, darauf spekuliert, dass Kunst nur teurer wird, egal ob es noch relevant ist, geschweige denn gut. Das wird unterstützt durch präzise An- und Verkäufe über Auktionshäuser von Sammlern, Händlern und Künstlern, die versuchen, ihren Markt aufrechtzuerhalten. Dies nahm stark zu, nachdem Artnet 1995 online ging. Die Sammler suchten eine Bewertungsgrundlage für Kunstwerke. Die Auktionsergebnisse waren ein messbarer Wert. Dass sie manipulierbar sind und unvollständig, hat keinen so richtig interessiert. Meinungen werden ja mehr durch Konsens als durch Fakten gebildet. Meistens stimmen diese überein, aber sie sind nicht zwingend verbunden.

KI hat das Potenzial, den Künstler von der Rolle als Gesellschaftsgenie zu entthronen. De facto ist das schon lange passiert, aber KI kann das für jedermann, nicht nur für die, die in der Kunstwelt arbeiten.

Man sagt, dass ein Bild wie 1.000 Wörter ist. Wenn ich mit 20 Wörtern ein Bild, das 1.000 Wörter darstellt, machen kann und dieses auch meiner Vorstellung entspricht, hat KI den Konzeptualismus vollendet. Endlich kann jeder die eigene Ästhetik formulieren. KI greift auf die gesammelte visuelle Erfahrung unserer ganzen Gesellschaft zurück. Wir sagen, was wir wollen, und KI zeigt es uns. Wenn es nicht passt, justieren wir nach, um die Ergebnisse näher an unsere Vorstellung zu bringen. Wir offenbaren unser visuelles Verlangen, und KI bedient dieses mit Kunst, die wir selbst gutheißen. Wir müssen nicht mehr lernen zu malen oder fotografieren. Wir müssen lediglich schreiben können – noch. Das wird sehr spürbare Auswirkungen haben.

Optimistisch gesehen wird das dazu führen, dass Kunstliebhaber sich ihr eigenes Verlangen selbst erfüllen können. Die Zugänglichkeit durch den eigenen Einfluss auf den Prozess wird den Lerneffekt beschleunigen. Diese Kunstliebhaber werden dann andere Kunst besser verstehen und wahrnehmen können, da sie selbst durch den Prozess, auch mit Unterstützung, durchgegangen sind. Das ist gut für alle Beteiligten.

Pessimistisch gesehen kann KI dazu führen, dass Menschen in einem Feedback-Loop des Visuellen landen, wo sie immer wieder dem begegnen, was sie »mögen«. Diese Wiederholungen führen zu einem Konsens, wie von der Kirche und jener anderen Autoritätsstruktur bereits lange erkannt. Es kann uns spalten. Das, was wir gemeinsam erfahren, führt zu Auseinandersetzung zwischen uns, gerade weil wir unterschiedliche Erfahrungen zur gemeinsam erlebten Auseinandersetzung bringen.

Zurzeit ist KI noch fast ausschließlich mit Informationen von Menschenhand trainiert. Mit der Zeit wird die Menge an generierter Information, die in die KI zurückgefüttert wird, wachsen. Somit kann sich eine abstrahierende Schleife ergeben, was das Abbild der am meisten gemochten Bilder darstellt. Ob die KI dadurch ihre Fähigkeit, uns das zu zeigen, was wir begehren, verliert, bleibt abzuwarten. Ggf. werden wir dadurch erkennen, dass wir es sind, die die Kunst machen und ausmachen. Denn allein ist die KI nur wie ein Füller in der Sakkotasche.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 04/2023.