Ein einzelner Tropfen, Nebel oder die spiegelnde Oberfläche eines Sees: Wasser kann in vielerlei Gestalt erscheinen, aber nur gefroren hat es eine feste Form. Wie also kann man dieses veränderliche Element fixieren, abbilden, darstellen? Eine Herausforderung, auf die die bildende Kunst viele Antworten gefunden hat.
Die große Sturmflut, die im November 1775 auch die westfriesische Insel Texel überschwemmte, hat ihre Spuren in der Kunstgeschichte hinterlassen: In Form einer Federzeichnung des niederländischen Marinemaler Hendrik Kobell etwa. Sie zeigt die tosende See und als »Fels in der Brandung« ein einzelnes Haus. Doch die sorgfältig nachgezeichneten Kämme der Wellen wirken zähflüssig. Das Drama, das der Künstler bannen wollte, illustrieren eher die panisch davonspringenden Schafe und die Menschen, die verzweifelt den Deich zu sichern versuchen, der bereits von den Fluten überspült wird. Stürme auf See oder Schiffbruch sind ein wiederkehrendes Motiv in der niederländischen Kunst – Verweise auf einen strafenden Gott und die dunkle Seite des Meeres, das der Seefahrernation im 17. Jahrhundert zu ungeahnter Blüte, zu Reichtum und Macht verhalf. Schiffe, die wie die sprichwörtlichen Nussschalen auf den Wogen schaukeln, versinnbildlichen die Bedrohung, die die entfesselte Gewalt des Wassers eben auch bedeutet.
Im kleinen Rahmen der Stillleben dagegen, die sich im Barock ebenfalls großer Beliebtheit erfreuen, symbolisieren mit Wasser gefüllte Gläser oder Karaffen Reinheit und Ursprünglichkeit. Ausnahmen bestätigen allerdings die Regel: Mitte des 18.Jahrhunderts malt der Franzose Jean Siméon Chardin ein einfaches Wasserglas – nebst Kaffeekrug und Gemüse – als Lichtmedium. Das durchsichtige Gefäß mit der durchsichtigen Flüssigkeit verweist auf nichts anderes als auf sich selbst. Die Transparenz von Wasser und Glas inszeniert der Maler als geradezu körperlose, farbige Erscheinung. Rund 100 Jahre später sprachen die Schriftstellerbrüder Edmond und Jules de Goncourt in diesem Zusammenhang von einem »Wunder« – und der Impressionismus setzte die Nutzung von Wasser als Instrument optischer Effekte in Form von Lichtbrechung und farbiger Reflexion intensiv fort.
Über die Jahrhunderte bestand die künstlerische Auseinandersetzung mit Wasser nur selten in der reinen Darstellung dieses Elements. Eine frühe Ausnahme bildet das Werk Leonardo da Vincis. Als Künstlerforscher studierte er eingehend die Dynamik von Strudeln, das Aussehen von Strömungen oder Tropfen. In verschiedenen Studien und Zeichnungen beispielsweise hielt er fest, welche Muster entstehen, wenn Wasser auf ein Hindernis trifft. Leonardo war fasziniert von der großen Ähnlichkeit zu den Strukturen, die Wind hervorbringt – etwa, wenn eine Böe Sand aufwirbelt. Tatsächlich streiten Experten bis heute, ob seine eindrucksvollen sogenannten »Sintflutzeichnungen« mit ihren mal spiral-, mal lockenförmigen Wirbeln wirklich immer Wasser- oder vielleicht doch auch Windphänomene darstellen sollen.
Kein Zweifel dagegen herrscht bei Hokusais berühmter »Großer Welle vor Kanagawa«, obwohl der Meister des japanischen Farbholzschnitts in seiner um 1830 entstandenen Darstellung dem Wasser sein flüchtig-flüssiges Wesen ganz und gar ausgetrieben hat. Die Welle, die er von links sich aufbäumen lässt wie eine Kralle, die nach der rechten Bildhälfte greift, ist zum Ornament erstarrt. Ihr meerblauer »Körper« wird von weißer Gischt gekrönt, die in kleinen, klauenartigen Spitzen endet. Hokusais »formbewusste« Welle beeindruckte auch die europäische Kunstwelt und wurde so sehr Ikone, dass darüber leicht die Fischerboote übersehen werden, die an ihr herabgleiten und im Wellental zu verschwinden drohen.
Wasser darzustellen hieß die längste Zeit, seine Form zu erfinden. Erst die Fotografie vermochte seine durch Wind oder Strömung bewegte und durch wechselnde Lichtverhältnisse veränderliche Erscheinung wirklich still zu stellen und zu zeigen, wie etwa eine Welle im Moment aussieht, in dem sie bricht. Die unterschiedlichen Helligkeiten von Himmel und reflektierender Wasseroberfläche stellten die Pioniere mit ihren Plattenkameras im 19. Jahrhundert zwar vor größte Herausforderungen, doch gelang es Fotografen wie dem Franzosen Gustave Le Gray schon um 1850, dramatische Brandung ebenso wie eine sanft gekräuselte See auf nuancierte und gleichzeitig malerische Weise einzufangen. Die Faszination von Künstlerinnen und Künstlern für die Wandelbarkeit und schiere Endlosigkeit großer Wassermassen dauert bis heute an. So widmet der japanische Konzeptfotograf Hiroshi Sugimoto den Ozeanen seit den 1980er Jahren eine eigene Serie. In seinen kontemplativen »Seascapes« zeigt er sie immer gleich und doch immer verschieden: Mal trennt eine klare Horizontlinie das Wasser vom Himmel, mal verschwimmt beides und unterscheidet sich das Meer zu verschiedenen Tages- und Jahreszeiten und an verschiedenen Orten der Welt allein durch unzählige Grau-Abstufungen und verschiedenartig bewegte Oberflächen.
Diese Riffelungen, sanfte und weniger sanfte Wellen, haben es auch der US-amerikanischen Malerin und Zeichnerin Vija Celmins angetan. Sie greift auf fotografische Vorlagen für ihre meist kleinformatigen Drucke, Gemälde und Zeichnungen zurück, und überträgt diese dann in minutiöser Kleinarbeit ins Hell-Dunkel wogender Oberflächen. In der Regel füllen sie den gesamten Bildraum. Es handelt sich um Übersetzungen aus der Wirklichkeit, sagt die Künstlerin, die immer wieder in Erfindung übergehen. So einfach das Motiv – eine Wasserfläche –, zeigt sich gerade durch diese Reduktion eine unerhörte Komplexität.
Mit Land-Art und Konzeptkunst hat sich seit dem 20. Jahrhundert der Fokus der Kunst allerdings mehr und mehr verschoben: Von der paradoxen Herausforderung, die Erscheinung von Wasser festzuhalten, sie zu fixieren und dabei doch ihren veränderlichen Charakter zu bewahren, hin zum Spiel mit seinen Eigenschaften. Der dänische Künstler Ólafur Elíasson, interessiert an den physikalischen Phänomenen in der Natur, hat sich in seinen Installationen intensiv mit den verschiedenen Erscheinungsformen von Wasser beschäftigt – vom farbigen Nebel bis zu künstlichen Wasserfällen, die er von der Brooklyn Bridge in New York prasseln ließ oder von einem Baukran in der getrimmten Parklandschaft von Versailles, in der sich der »alleinstehende« Wasserfall in passender Künstlichkeit wie ein schmaler Vorhang ausnahm.
Am radikalsten aber sorgte der Verhüllungskünstler Christo für einen neuen Zugang zum Thema Wasser. In einer seiner letzten Arbeiten – den orangefarbenen »Floating Piers« im oberitalienischen Iseosee – ermöglichte er Tausenden von Besucherinnen und Besuchern eine an und für sich unmögliche Erfahrung: Sie konnten über Wasser gehen. Dem künstlerischen Umgang mit dem nassen Element war damit eine neue Dimension eröffnet.