Bilder der Zerstörung von Kulturgut prägen seit Jahren die Nachrichten und damit auch die öffentliche Wahrnehmung. Denkmäler wurden und werden gezielt oder als »Kollateralschäden« von Kriegshandlungen zerstört und beschädigt, archäologische Stätten und Sammlungen geplündert, verwüstet und Objekte in den illegalen Kunsthandel gebracht. Die Bilder aus Mali, Syrien und dem Irak wurden von Zerstörungen in neuen Konfliktregionen überlagert, vor allem durch die Folgen des Angriffs Russlands auf die Ukraine. Es sind aber auch Naturkatastrophen und zunehmend die Folgen des Klimawandels, die ein schnelles und abgestimmtes Handeln zur Rettung von Kulturgut erfordern.

Dieses schnelle Handeln ist national und international im Bereich der humanitären Hilfe und Katastrophenhilfe eingeübt und über Institutionen wie das Technische Hilfswerk oder Mechanismen wie das europäische Katastrophenschutzverfahren, den EU Civil Protection Mechanism (UCPM), fest etabliert. Für das große Feld des Kulturgutschutzes gibt es aber bislang noch keine entsprechend etablierten Verfahren und Strukturen auf internationaler Ebene. Daher wurde auf europäischer Ebene 2019 ein von der Generaldirektion Katastrophenschutz und humanitäre Hilfe der Europäischen Kommission (GD ECHO) gefördertes Projekt initiiert, das unter Federführung des italienischen Zivilschutzes auf die Entwicklung und Verbesserung der technischen und operativen Kapazitäten zum Schutz des kulturellen Erbes vor den Folgen von Katastrophen zielt: Protecting Cultural Heritage from the Consequences of Disasters (PROCULTHER). Im gleichen Jahr wurde im Auswärtigen Amt mit Blick auf die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik das Thema Kultur und Krise analysiert. Deutlich trat hervor, dass es in Deutschland an Strukturen fehlt, um in einem Katastrophenfall im internationalen Raum schnelle Hilfe zum Schutz und Erhalt des kulturellen Erbes leisten zu können.

Das Deutsche Archäologische Institut als Forschungseinrichtung im Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes hat mit Anregung und Unterstützung von Mitgliedern des Unterausschusses Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik des Deutschen Bundestages 2019 die Initiative ergriffen, ein Projekt ins Leben zu rufen, das einen deutschen Beitrag zum europäischen Mechanismus zum Ziel hat. Das Projekt KulturGutRetter ist ein Netzwerk von Expertinnen und Experten sowie zugleich ein Netzwerk von Institutionen. Die KulturGutRetter leisten einen grundlegenden Beitrag zum europäischen Katastrophenschutz als Baustein der nationalen Sicherheitsstrategie. Dabei bringt das Technische Hilfswerk (THW) seine Expertise und seine Strukturen der internationalen Katastrophenhilfe ein, das Leibniz-Zentrum für Archäologie in Mainz (LEIZA) seine lange Erfahrung in den Restaurierungswissenschaften und das Deutsche Archäologische Institut (DAI) seine internationalen Netzwerke und seine Expertise im Bereich des immobilen Kulturerbes und der IT auch im Hinblick auf Krisensituationen.

Es geht darum, Strukturen und Abläufe zu entwickeln, damit Expertinnen und Experten aus Deutschland im Katastrophenfall im Ausland Hilfe leisten können. Hierbei ist vieles zu bedenken. Es muss Restaurierungslabore geben, die mit einem Flugzeug schnell an den Einsatzort gebracht werden können. Es müssen aber auch die Abläufe im Einsatz klar definiert, beschrieben und eingeübt sein. Das ungeheuer breite Spektrum an potenziell betroffenem Kulturgut setzt wiederum voraus, dass ein entsprechendes Netzwerk an Expertinnen und Experten bereitsteht, um im Notfall eingesetzt werden zu können. Das Projekt muss dabei sowohl in Deutschland verankert als auch in internationale Strukturen der Katastrophenhilfe wie den UCPM eingebunden sein. Als Projekt werden die KulturGutRetter seit 2023 im Kontext der internationalen Katastrophenhilfe des Auswärtigen Amtes finanziert.

Auch wenn die Entwicklung der KulturGutRetter noch nicht beendet ist, sind sie doch bereits tätig, z. B. in der Hilfe für die Ukraine. Da das Deutsche Archäologische Institut seit langer Zeit eng mit ukrainischen Kolleginnen und Kollegen zusammenarbeitet, konnte bereits im März 2022 mit der Hilfe begonnen werden. Seitdem wurden fast 70 Stipendien für Kolleginnen und Kollegen in der Ukraine vergeben. Die Stipendien sind zudem mit konkreten Projekten vor Ort verbunden. Die KulturGutRetter haben sich wiederum zusammen mit Partnern daran beteiligt, Hilfsgüter an die Ukraine zu liefern. Grundlage war ein Hilfsersuchen der Ukraine über den EU-Katastrophenschutz-Mechanismus. Auf der Grundlage der ukrainischen Bedarfslisten wurden unter anderem zahlreiche Sachspenden zu Lieferungen zusammengestellt und dann über das Logistikzentrum des THW in Hilden in die Ukraine versandt. Von größter Bedeutung war für das Gelingen hierbei das Zusammenspiel vieler Partner auf deutscher Seite. Zusammen mit Blue Shield Deutschland e.V., der Deutschen Gesellschaft für Kulturgutschutz e.V. (DGKS) und dem Team des SiLK – SicherheitsLeitfaden Kulturgut mit den Notfallverbünden in München, Stuttgart, Köln, Halle/Saale, Weimar, Dresden und Berlin wurde ad hoc ein Logistiknetzwerk erfolgreich aufgebaut. Bis heute ist Material zum Kulturgutschutz in 380 Packstücken mit 76,6 Tonnen Gewicht versandt worden.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 7-8/2023.