Mediation ist ein strukturiertes Verfahren, um Konflikte und Streitigkeiten gut miteinander zu klären, wenn Konfliktparteien dazu nicht mehr ohne Hilfe in der Lage sind. Der Mediator Jörn Valldorf gibt im Gespräch mit Theresa Brüheim Einblicke, wie dies funktionieren kann, welche Methoden angewandt werden und auch welche Herausforderungen bestehen.

Theresa Brüheim: Welche Rolle spielt Mediation im Streitfall bzw. kann sie spielen?

Jörn Valldorf: Das hängt sehr stark vom Streitfall ab. Eine Mediation kann dabei helfen, einen Konflikt zu klären, da der Mediator nicht an diesem beteiligt ist. Wir als Mediatorinnen und Mediatoren sind allparteilich. Wir haben keine aktive Rolle im Konflikt und begleiten die Parteien beim Finden einer Lösung, sind aber nicht Teil der Lösung.

Wie sieht dieser Begleitprozess aus?

Die Medianten kommen zu einem Mediator bzw. zu einer Mediatorin. Dann folgen fünf Phasen, die die Mediation durchläuft. Das passiert aber nicht alles in 90 Minuten. Es ist völlig abhängig von der Schwere des Konfliktes, von der Zerrüttung der beiden Parteien. Das können z. B. bei einer Scheidung schon mal zehn Sitzungen sein, je nachdem, was es zu klären gilt. Konflikte zwischen Arbeitskolleginnen und -kollegen sind dann vielleicht nach drei oder fünf Sitzungen geklärt. Das ist immer sehr individuell. Ein Mediator sollte sich irgendwann überflüssig machen. Einen so langen Prozess, wie wir es aus einer Therapie kennen, leistet Mediation nicht. Mediation befasst sich mit einem konkreten Konflikt. Wir sind keine Psychotherapeuten. Wir gehen nicht in die Tiefe. Ich vergleiche das gern mit einem Eisberg: Oben guckt die Spitze raus, dann nehme ich als Mediator bildlich gesprochen eine Tauchermaske und einen Schnorchel und gucke ein bisschen unter die Wasseroberfläche. Was brodelt da, was kommt hoch, was muss besprochen werden, damit eine gute Verständigung erreicht werden kann? Ein Therapeut oder ein Psychiater würden sich den Taucheranzug anziehen, die Sauerstoffflasche auf den Rücken schnallen und ganz tief runtertauchen und gucken, was da los ist.

Sie sprachen von den fünf Phasen der Mediation. Welche sind das?

Die erste Phase dient dem Ankommen. Es wird erklärt, was Mediation ist, wie der Prozess abläuft und was zu erwarten ist. Dann geht man in die zweite Phase: Hier geht es darum, die Themen herauszuarbeiten. Über was müssen wir miteinander sprechen, damit wir uns wieder besser verstehen? In der dritten Phase geht es in die Konfliktklärung. Da passiert der Perspektivwechsel, das Herzstück der Mediation. Das heißt, ich verstehe, warum mein Gegenüber so gehandelt hat, und er oder sie versteht, was mich bewogen hat, so zu handeln. Und wir kommen in der vierten Phase zur Lösungsfindung, um dann in der fünften Phase, im besten Fall, eine verbindliche Vereinbarung zu treffen, die regelt, wie wir in Zukunft miteinander umgehen, wie wir dieses Problem lösen wollen. Je nach Themen pendelt das zwischen der zweiten, dritten, vierten Phase immer hin und her. Ich persönlich frage die Mediantinnen und Medianten nach der zweiten Phase, wenn die Themen über die gesprochen werden sollen, klar sind: »Worüber wollen Sie zuerst sprechen? Dann kommen wir in die dritte Phase, in die vierte. Und dann fangen wir beim nächsten Thema natürlich wieder in der dritten Phase an. Bis wir eine Klärung aller strittigen Themen erreicht haben.

Wie kann man Mediatorin bzw. Mediator werden? Wie erfolgt die Ausbildung?

Zuerst sucht man ein Ausbildungsinstitut. Es gibt allerdings unterschiedliche Standards. Beim Bundesverband Mediation haben wir höhere Standards für Mediation, als das Gesetz vorschreibt. Unsere lizenzierten Ausbilderinnen und Ausbilder BM bieten modulare Ausbildungen an, die bei 230 Stunden inkl. Supervision enden. Zum Abschluss bearbeitet man selbstständig einen Praxisfall, lässt diesen supervidieren und hat dann auf jeden Fall die Bedingungen des Mediationsgesetzes erreicht, um sich zertifizierte Mediatorin bzw. Mediator nennen zu können. Die Ausbildung umfasst in der Regel sieben bis acht Wochenenden und eine Intensivwoche. Das machen die Institute aber ganz unterschiedlich. Wichtig ist am Ende die Summe der Stunden. Es ist keine formale Vorqualifikation für die Ausbildung nötig. Viele Mediationsinstitute bieten Infoabende an, bei denen man das Institut und die Ausbilder kennenlernen kann.

Das Alter der Auszubildenden reicht meist von Ende 20 bis Mitte 50. Die Menschen kommen aus unterschiedlichen beruflichen Hintergründen. Niemand, der diese Ausbildung macht, muss hinterher als Mediatorin bzw. Mediator arbeiten. Manche sehen das als persönlichen Entwicklungsprozess, um sich selbst besser kennenzulernen und über Konflikte, den Umgang und die Bewältigung zu lernen. Es gibt auch Menschen, die das beruflich nutzen, aber nicht direkt als Mediator arbeiten, sondern z. B. in einer Gewerkschaft, in einer Kanzlei oder in großen Personalabteilungen, wo sie immer wieder mit Konflikten zu tun haben.

Sie sprechen von zertifizierten Mediatorinnen und Mediatoren. Inwieweit ist Mediator ein geschützter Begriff, bzw. ist es besonders wichtig, die Zertifizierung zu betonen? Ich denke dabei auch an die Bezeichnung »Coach«, die ja eben nicht geschützt ist. Jede und jeder kann sich so nennen – auch ohne eine einschlägige Ausbildung absolviert zu haben.

Auch der Begriff Mediator ist nicht geschützt. Aber es gibt das Mediationsgesetz und die Zertifizierte-Mediatoren-Ausbildungsverordnung. Man kann sich zertifizierte Mediatorin bzw. zertifizierter Mediator nennen, wenn man die Ausbildung, die ab 2024 mindestens 130 Stunden umfassen muss, absolviert hat und die anderen Bedingungen der Ausbildungsverordnung erfüllt. Die drei großen deutschen Mediationsverbände haben höhere Standards mit mindestens 230 Stunden Ausbildung. Nach erfolgreicher Prüfung der Unterlagen können Sie sich dann Mediator BM (Bundesverband Mediation), Mediator BAFM (Bundesarbeitsgemeinschaft für Familienmediation) oder Mediator BMWA (Bundesarbeitsgemeinschaft für Wirtschaftsmediatoren) nennen. Zusätzlich muss man regelmäßig eine gewisse Zahl an Fortbildungsstunden nachweisen, um in der Qualität up to date zu bleiben.

Sie hatten zu Beginn Mediationen in Scheidungsfällen und im Arbeitsumfeld erwähnt. Welche sind die häufigsten Mediationsfälle, in denen Sie persönlich tätig werden?

Wir haben ganz unterschiedliche Arbeitsfelder für Mediatorinnen und Mediatoren. Das reicht auf höchster Ebene bis zu internationalen Friedensverhandlungen. Ich persönlich arbeite meistens mit zwei Gruppen. Zum einen sind es familiäre Konflikte wie Scheidungen oder Beziehungskonflikte familiärer Art. Das können Geschwister sein, die sich nicht einig werden, wie man mit den pflegebedürftigen Eltern umgeht, oder nach dem Todesfall der Eltern auch Erbstreitigkeiten. Zum anderen bearbeite ich Konflikte am Arbeitsplatz. Das hat aus meiner Sicht seit der Pandemie zugenommen. Ich habe viele Mandanten, die aufgrund von Verständigungsproblemen in Arbeitskontexten bei mir sind.

Können Sie Gründe dafür ausmachen, wieso die Konflikte am Arbeitsplatz zugenommen haben?

Wir leben in Zeiten, die für alle sehr belastend sind. Wir kommen aus einer Pandemie, die wir in diesem Ausmaß noch nicht erlebt haben. Dann haben wir den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, was für viele Menschen mit Sorgen, Ängsten und Belastungen einhergeht. Wir haben die Inflation. Zudem hat jede und jeder von uns noch eigene Themen, die belasten. Das schleppe ich alles mit an meinen Arbeitsplatz.

Auch habe ich das Gefühl, dass Arbeitgeber unterschätzt haben, dass nicht alles so weiterläuft wie früher. Das tut es eben nicht. Da ist ganz viel bei den Menschen passiert. Teilweise haben sich Verhaltensmuster im Homeoffice manifestiert, die zu Hause wunderbar funktionieren, aber nicht, wenn ich mir ein Großraumbüro mit sechs Personen teile.

Steht am Ende einer Mediation eigentlich immer ein gelöster Streit?

Es gibt eine Klärung. Durch die Arbeit als Mediator habe ich ein anderes Verständnis bekommen für das, was wir landläufig ein Happy End nennen. Dieses märchenhafte »Und sie lebten glücklich und zufrieden« – nein. Ein Happy End kann auch eine Trennung sein – sei es bei einem Ehepaar oder eine Trennung im Beruflichen. Es ist okay zu sagen, wir passen nicht mehr zueinander, wir trennen uns und vereinbaren, wie wir diese Trennung gut miteinander vollziehen und einen Schlusspunkt setzen, sodass keiner mit einem allzu schlechten Gefühl rausgeht. Auch eine klare Trennung – gut begleitet – ist ein guter Ausgang einer Mediation. Wir als Mediatorinnen und Mediatoren stehen für Wahrheit und Klarheit. Und das tut meistens erst mal weh. Aber es hilft mehr als irgendwelche ungeklärten Schwebezustände.

Streit ist negativ konnotiert und hat vornehmlich ein schlechtes Image. Wie kann Streit auch konstruktiv sein?

Auf die Frage möchte ich zwei Antworten geben. Die eine ist, wir alle sind in einer Kultur aufgewachsen, in der Streit sehr, sehr negativ belegt ist. Haben Sie zu Hause oder in der Schule gut streiten gelernt?

Eher nein.

Damit ist schon eines gesagt: Streit, oh mein Gott. Ja? Hinzu kommt, dass Streit für ganz viele Menschen ein ganz, ganz dehnbarer Begriff ist. Es kann schon als Streit empfunden werden, wenn man nach einem Kinofilm zu heftig diskutiert. Dann gibt es das andere Extrem, es fliegen die Kaffeetassen durchs Büro. Streit hat ein schlechtes Image, weil – das ist meine These – wir, zumindest die meisten von uns, nicht gelernt haben, gut zu streiten.

Ich sage immer, ein Streit ist wie ein Gewitter, es reinigt die Luft und die Atmosphäre. Wenn ich jetzt in einem Streit mit Vorwürfen, Beleidigungen, Angriffen auf Sie losgehen würde, dann ist das natürlich »ein schlechter Streit«. Wenn ich es aber schaffe, Ihnen mit Ich-Botschaften – Stichwort: gewaltfreie Kommunikation – klar zu sagen: »Wenn du so reagierst, löst du das bei mir aus«, dann sende ich erst mal Ich-Botschaften. Das Problem ist, wenn Sie nicht gelernt haben, auf solche Ich-Botschaften zu hören, empfinden Sie das natürlich auch erst mal als Angriff. Aber das wäre eine bessere Form zu streiten. Indem ich sage, was ich in einer Situation brauche oder ich mir anders gewünscht hätte. Dann kann man gucken, wie man einander entgegenkommt oder zu einer Einigung findet. Aber so, wie wir Streit oft auch in Filmen, in Serien inszeniert sehen, ist es nicht wirklich hilfreich, um miteinander wieder gut in Kontakt und in Verbindung zu kommen.

Lassen Sie uns noch über den Bundesverband Mediation sprechen, für den Sie tätig sind. Welche Aufgaben übernimmt dieser, und welche Bedeutung kommt ihm zu?

Der Bundesverband Mediation ist der größte Mediationsverband im deutschsprachigen Raum. Wir haben über 3.000 Mitglieder und zwei große Ziele. Das eine ist, Mediation als Methode der Verständigung in Konflikten zu etablieren. Wir machen darauf aufmerksam, dass es dieses Verfahren gibt, dass man es nutzen kann und es sehr hilfreich ist. Und wir kümmern uns um die Aus- und Weiterbildung, setzen wichtige Standards und organisieren Kongresse und interne Fortbildungen, damit unsere Mitglieder auf der Höhe der Zeit sind, was die Methoden, Verfahren, Diskussionsstände angeht. Gerade hatten wir eine große Schulung zum Thema Marketing für Mediatoren, um startende Kolleginnen und Kollegen dabei zu unterstützen, sich auf dem Markt zu etablieren. Außerdem bieten wir eine Suchfunktion nach Mediatorinnen und Mediatoren auf unserer Homepage.

Wie ist die Wahrnehmung in unserer Gesellschaft gegenüber dem Verfahren Mediation?

Es gibt eine schöne Anekdote von früher: Ein Kollege wurde für eine Mediation angefragt, und beim Termin standen in einem Unternehmen alle mit Yogamatte und Sportanzügen da. Diese Zeiten sind lange vorbei. Mittlerweile ist Mediation ein anerkanntes und etabliertes Verfahren. Dafür wurde auf vielen Ebenen viel getan. Am 18. Juni ist Tag der Mediation. Da machen unsere Mitglieder, Regional- und Fachgruppen Aktionen, um auf das Verfahren aufmerksam zu machen. Gerichte empfehlen immer mehr Mediationen. Es gibt viele unterschiedliche Felder, wo Mediation eingesetzt wird. Das Problem ist aber, dass Mediation ein sehr geschütztes und vertrauensvolles Verfahren ist, das hinter verschlossenen Türen stattfindet. Das heißt, wir können in der Regel nicht darüber sprechen, wo Mediationen stattgefunden haben und wie erfolgreich sie verlaufen sind.

Vielen Dank.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2023.