Wenn von Wohnen die Rede ist, stehen zumeist die baupolitischen Fragen im Vordergrund. Wohnraum ist insbesondere in den urbanen Zentren knapp. Die Mieten verschlingen zunehmend einen großen Teil des Einkommens. Insbesondere für junge Menschen, Studierende, Auszubildende, aber auch junge Familien, stellt das Finden von geeignetem Wohnraum oftmals ein erhebliches Problem dar. Andererseits besteht im ländlichen Raum teilweise großer Leerstand. Große Häuser, in denen vormals Mehrgenerationenfamilien lebten, werden von – oftmals älteren – Alleinstehenden bewohnt. Das Wohnangebot und der Wohnbedarf passen einfach nicht zueinander.

Wohnraum ist ein Grundbedürfnis jedes Menschen, darum ist das Recht auf Wohnen in Artikel 11 des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UN-Sozialpakt) verbrieft. Wohnen ist also ein Menschenrecht. Gleichzeitig ist Wohnraum aber auch ein Wirtschaftsgut und allzu oft auch ein Spekulationsobjekt. Es kann lukrativer sein, Büroräume ungenutzt leer stehen zu lassen, als sie in Wohnungen umzubauen, um so dem drängenden Wohnungsmangel zu begegnen. In den 1990er und 2000er Jahren wurde in unverantwortlicher Art und Weise kommunales Wohnungseigentum verkauft, um die Haushaltssituation der Kommunen zu verbessern. Was weg ist, ist weg, und den Kommunen fehlt jetzt dieses Instrument, um eigenen, preiswerten Wohnraum anzubieten.

Gleichzeitig sind die Anforderungen an nachhaltiges und energieeffizientes Bauen gestiegen, was wiederum oftmals die Kosten für den Neubau nach oben treibt. Zugleich darf nicht außer Acht gelassen werden, dass viele Menschen zwar über mangelnden Wohnraum klagen, wenn es jedoch um Nachverdichtungen oder um die Ausweisungen von Bauflächen im Bestand geht, ist vielen der eigene möglichst unverbaute Blick wichtiger als die Nöte wohnraumsuchender Menschen.

Beispielhaft dafür ist die Debatte um die Bebauung des Tempelhofer Feldes in Berlin. Das riesige ehemalige Flughafengelände in der Mitte von Berlin wird heute als großer öffentlicher Park genutzt. Seit Jahren gibt es eine Debatte darüber, ob Teile des Feldes bebaut werden sollen, um dringend benötigten Wohnraum in der Hauptstadt zu schaffen. Ein Volksentscheid vor zehn Jahren sprach sich gegen eine Bebauung aus.

Nicht vernachlässigt werden darf darüber hinaus, dass es bei der Schaffung von Wohnraum ebenso darum gehen muss, den bestehenden Baubestand neu durch Um- und Anbauten zu nutzen. Im Wohnungsbestand ist viel sogenannte »graue Energie« gebunden. Umbauten sind unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten oftmals sinnvoller als Neubauten. Hierfür müssen die entsprechenden Rahmenbedingungen von der Politik geschaffen werden – angefangen von Bauvorschriften bis hin zum Steuerrecht, wenn es beispielsweise um die Umwandlung von Büroraum in Wohnraum geht.

Wohnraum bedeutet zugleich soziale Einbettung, die Nahversorgung mit Lebensmitteln, Arztpraxen, Kindertagesstätten, Schulen, Kirchen, Bibliotheken und andere Kulturorte und nicht zuletzt die Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr. Letzteres stellt gerade im ländlichen Raum ein beträchtliches Problem dar. Der preiswerte Wohnraum erscheint in einem anderen Licht, wenn zusätzliche Kosten für PKW usw. berechnet werden. Von der Ökobilanz einmal ganz abgesehen.

Neben den genannten Faktoren darf die ästhetische Dimension beim Wohnungsbau nicht außer Acht gelassen werden. Die ästhetische Qualität von Stadtquartieren im Allgemeinen und von Gebäuden im Besonderen sind ein wesentlicher Faktor für das Zusammenleben. Leerstände, hässliche oder verwahrloste Gebäude tragen zur Unwirtlichkeit von Städten bei und sind ein Faktor mit Blick auf soziale Probleme. Hinzukommt, dass sich die Erwartungen und Anforderungen an den eigenen Wohnraum – zurecht – verändert haben. Wohnen ist eben mehr als ein Dach über dem Kopf. Wohnen ist zugleich individueller Ausdruck des Lebens. In einer ausdifferenzierten und immer stärker individualisierten Gesellschaft sind auch der Wohnort und die Wohnung, insbesondere ihre Größe, ihr Zuschnitt und ihre Einrichtung oftmals ein persönliches Statement.

»Wohnst du noch oder lebst du schon?« gehört sicherlich zu den bekanntesten Werbesprüchen eines weltweit agierenden schwedischen Möbelhauses. Dieser Werbespruch aus dem Jahr 2002 ist nicht nur sehr eingängig, er bringt auch auf den Punkt, was Wohnen bedeutet. Ironischerweise gerade mit Blick auf Möbel, die millionenfach in Wohnungen in vielen Ländern der Erde zu finden sind. Hier paart sich der Anspruch von Individualität mit der Konformität moderner Massen-Konsum-Kultur.

Wohnungseinrichtungen sind nicht nur tagtäglich in Gebrauch, sie sind auch ein wichtiges Distinktionsmerkmal. Der erste Blick in eine Wohnung offenbart vieles über das Leben und die Interessen der Menschen, die in der Wohnung leben.

Während der Coronapandemie hat man vieles – ungewollt – über die Wohnungen und damit das unmittelbare Lebensumfeld von Menschen erfahren, die man eigentlich nur aus dem beruflichen Kontext kennt. Viele Videokonferenzen wurden aus Küchen, Wohnzimmern, kleinen Arbeitsecken, Schlafzimmern geführt – bis alle damit vertraut waren, entsprechende Hintergrundbilder einzurichten und damit wieder die Intimität der eigenen Wohnung zurückzugewinnen. Gleichzeitig hat das sogenannte Home-Office, also das »Heimbüro«, Einzug gehalten, und noch heute arbeiten viele zumindest tageweise zuhause. Die Wohnung ist damit zum normalen Arbeitsort geworden, was eine Rückkehr zu vorindustriellen Zeiten bedeutet, in denen Arbeit, Wohnen und Leben an einem Ort stattfanden. Die meisten Wohnungen und Wohnquartiere sind allerdings für diese neue Form der Erwerbstätigkeit nicht wirklich geeignet.

Wohnen ist mehr als ein Dach über dem Kopf. Die Wohnung ist mehr als nur ein Ort zum Schlafen und zum Kochen. Menschenwürdiges Wohnen ist ein Menschenrecht, das sollte Maßstab für die Wohnungspolitik sein. Mein herzlicher Dank gilt Philipp Meuser für die Unterstützung bei der Planung und Realisierung dieses Schwerpunkts.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2025.