Seit der Mensch das Feuer zähmte, sucht er nach dem richtigen Platz dafür. Vom Erdloch zur Einbauküche, vom Rauch zum Dampfgarer – das Kochen wurde immer kultivierter, das Essen dabei nicht unbedingt besser. Die Geschichte des Kochens ist eine Geschichte der Verfeinerung – und der Verirrung. Wie sieht das Kochen der Zukunft aus, wenn die Küche längst alles kann, nur nicht mehr gebraucht wird?
Vor 25 Jahren habe ich mich verliebt. In eine Küche. Sie stand damals in einer Ausstellung, glänzend und unerschwinglich – so wie große Lieben eben manchmal beginnen. Fünf Jahre habe ich gewartet. Und als sie dann endlich in mein Haus einzog, wusste ich: Das war kein Möbelstück. Es war eine kleine Raumskulptur, ein Versprechen auf Dauer. Seither ist sie da – zeitlos, verlässlich, schön. Wir führen eine stille Beziehung, morgens besonders innig, beim ersten Kaffee. Gekocht wird selten, gelebt dafür umso mehr.
Manche Küchen sind heute größer als ganze Wohnungen in der Nachkriegszeit– und doch wird in ihnen kaum noch gekocht. Die Gegenwartsküche glänzt, öffnet sich zum Wohnraum, zeigt sich als Statussymbol. Aus einem funktionalen Arbeitsraum ist ein Zeichen bürgerlicher Lebensführung geworden. Aus dem Mittelpunkt des Zusammenlebens hat unsere Überflussgesellschaft einen Ort gemacht, der zunehmend leer bleibt.
Die Feuerstelle als Ursprung des Raums
Die Geschichte des Kochens beginnt nicht mit dem Rezept, sondern mit dem Raum– genauer: mit einem Loch in der Erde, in dem das Feuer gezähmt wurde. Diese elementare Geste markiert einen Wendepunkt der Menschheitsgeschichte, lange bevor sich der Homo sapiens als dominante Spezies in der Evolution durchsetzte. Mit der Zubereitung von Nahrung verband sich nicht nur der Akt des Essens, sondern auch der Moment des Bleibens. Das Feuer zog den Menschen zur Erde, ließ ihn verweilen, sammeln, kreisen. Aus der Feuerstelle wurde ein Platz. Aus dem Platz wurde ein Raum. Aus dem Raum ein Haus.
Die ältesten bekannten Feuerstellen sind rund 780.000 Jahre alt und wurden schon von frühen Homininen wie dem Homo erectus genutzt. Es gilt als wahrscheinlich, dass der moderne Mensch den Umgang mit dem Feuer von seinen evolutionären Vorfahren übernahm und ihn zur sozialen Praxis weiterentwickelte. Die Feuerstelle wurde also zum Mittelpunkt gemeinschaftlicher Ordnung, lange bevor Architektur im eigentlichen Sinne entstand.
Die Etablierung der Küche als Raumstruktur
In frühen Hochkulturen wie etwa in Ägypten oder Mesopotamien war die Küche bereits Teil strukturierter Raumfolgen. Große Tempel- und Palastanlagen verfügten über spezialisierte Kochzonen, in denen nicht nur Vorräte gelagert, sondern Speisen rituell zubereitet wurden. Auch in griechischen oder römischen Villen gehörten Küchen zur festen architektonischen Ordnung, mit Abluftsystemen und klar zugewiesenen Funktionsbereichen. Die Küche war Raum, nicht nur Tätigkeit. Die Koch- und Küchenkultur, die die Römer nach Mitteleuropa gebracht hatten, blieb bis zu den großen Völkerwanderungen fast unverändert. Der Zerfall der römischen Ordnung führte zum Verlust der zuvor ausgeprägten räumlichen Differenzierung und leitete den Übergang zu einfacheren, agrarisch geprägten Lebensformen ein: Viehhaltung unter einem Dach mit dem Schlaf-, Wohn- und Kochraum und ein hausnaher Garten zur Selbstversorgung galten als Standard des Mittelalters.
In den adeligen Haushalten des 18. Jahrhunderts verlagerte sich der Kochbereich zunehmend in abgelegene Gebäudeteile. Die Zubereitung der Speisen erfolgte fernab der Öffentlichkeit, in Seitenflügeln, Kellern oder separaten Wirtschaftsbauten. Der Speisesaal war Ort der Repräsentation, die Küche der Ort des Unsichtbaren. Zugleich entwickelte sich die Küchenarchitektur weiter: Rauchzüge, Wasserversorgung, Kühlräume, Personalräume – ein komplexes System hinter der Oberfläche höfischer Selbstinszenierung.
Die Küche im bürgerlichen und proletarischen Haushalt
Im 19. Jahrhundert wurde die Küche wieder Teil des Wohnhauses, vor allem im städtischen Mietwohnungsbau. In Berliner Mietskasernen und Hamburger Etagenwohnungen war die Küche oft das einzige beheizte Zimmer. Sie diente dem Kochen, dem Waschen, dem Essen als multifunktionaler Raum. In bürgerlichen Ratgebern wurde sie zum Ort moralischer Erziehung, ökonomischer Planung und hygienischer Kontrolle. Hygienische Materialien wie pflegeleichtes Linoleum, Eisenherde und abwaschbare Fliesen veränderten das Interieur. Die Küche wurde optimiert, blieb jedoch architektonisch und sozial abgeschottet.
Im Arbeiterhaushalt war die Küche der Mittelpunkt des Alltags. Oft das einzige Zimmer mit Feuerstelle, wurde hier alles erledigt: heizen, essen, pflegen, schlafen. Die Küche war nicht Nebenschauplatz, sondern Hauptakteur der großfamiliären Bühne, überfrachtet mit Funktionen, zentral für das Zusammenleben. Der Raum war klein, aber lebendig.
Die Frankfurter Küche als Wendepunkt
Einen radikalen Bruch markierte die »Frankfurter Küche«, entworfen 1926 von Margarete Schütte-Lihotzky, einer österreichischen Architektin und Pionierin funktionaler Innenraumgestaltung. Im Rahmen des von Ernst May, dem damaligen Stadtbaurat von Frankfurt am Main, geleiteten Siedlungsprogramms »Das Neue Frankfurt« entwickelte sie den ersten standardisierten Küchentypus der Moderne. Auf nur sechs Quadratmetern vereinte sie Spüle, Vorratsschränke, Arbeitsflächen, Mülleimer und eine klar definierte Bewegungslogik. Die Küche wurde erstmals als rational planbarer Innenraum begriffen: funktional, hygienisch, effizient.
Diese neue Küche war ein Werkzeug der sozialen Moderne. Sie sollte Arbeit sparen, Ordnung schaffen und Wohnraum effizient nutzen. In Tausenden Wohnungen wurde sie eingebaut – als standardisiertes Modul, als Manifest der Fortschrittsarchitektur. Und doch blieb sie geschlechtlich kodiert: Die Küche war der Frau zugewiesen, isoliert vom übrigen Wohnraum, durch eine Tür getrennt vom sozialen Leben. Der Fortschritt der Gestaltung änderte wenig an der sozialen Rolle.
Die Bühne der Gegenwart und die Küche von morgen
Heute ist die Küche offen. Sie grenzt sich nicht mehr ab, sondern ist Bestandteil des Wohnraums. Kücheninseln, freistehende Blöcke, rahmenlose Schrankfronten und eingelassene LED-Bänder prägen das Bild. Der Raum präsentiert sich. Was gekocht wird, ist oft zweitrangig. Die Küche ist abermals Bühne für Design, für Technik, für Lebensstil. Gleichzeitig verdrängen Lieferdienste, Convenience-Produkte und Außer-Haus-Verpflegung die alltägliche Essenszubereitung. Die Küche bleibt bestehen, nicht aus Notwendigkeit, sondern als Symbol. Als Manifest der Selbstoptimierung. Als Ort, der zeigt, dass man sich gesund, nachhaltig, bewusst ernähren könnte, auch wenn man es nicht tut.
In teuren Stadtwohnungen ist die Küche häufig das Herzstück: großzügig, offen, hochwertig. Ganze Grundrisse werden von Innenarchitekten rund um die Küche herum geplant. Die Logik einer optimierten Raumfolge bleibt sekundär. In prekären Wohnverhältnissen hingegen fehlt es oft an Raum, Ausstattung und Zeit zum Kochen. Küchenarchitektur wird zum sozialen Marker: Wer sich eine Küche leisten kann, zeigt sie. Wer sie braucht, hat oft keine adäquate.
Ist die Küche heute noch ein Ort des Kochens – oder längst ein Spiegel sozialer Unterschiede, kultureller Selbstdarstellung und ökonomischer Verhältnisse?
»Zeige mir Deine Küche, und ich sage Dir wie Du kochst.«
Die Architektur der Zukunft muss sich dieser Widersprüche annehmen. Sie muss Küchen entwerfen, die nicht nur glänzen, sondern gebraucht werden können. Räume, die funktional und wandelbar sind, die Teilhabe ermöglichen, statt Distinktion zu zementieren. Küchen, in denen gemeinsam gekocht werden kann, wie in Genossenschaften, WGs oder Gemeinschaftsbauten. Küchen, die offen sind, nicht nur zum Wohnzimmer, sondern zur Gesellschaft. In einer zunehmend diversen Gesellschaft gilt das umso mehr.
Vielleicht liegt die Zukunft der Küche nicht im Gerät, sondern im Gebrauch. Nicht in der Oberfläche, sondern in der Praxis. Die Küche bleibt ein Werkzeug. Der Ort, an dem der Mensch einst zusammenkam, um soziale Ordnung und Rituale an der Feuerstelle zu lernen, bleibt auch ein kultureller Raum.
Aber wie müsste dieser Raum aussehen? Muss eine vegane Küche anders riechen als eine koschere? Braucht eine vietnamesische Familienküche eine andere Infrastruktur als eine schwäbische? Und sind migrantische Küchen tatsächlich »andere« Räume oder einfach die ehrlichere Version dessen, was wir Zusammenleben nennen?
Meine Mutter erzählt mir oft von der Zeit ihrer Jugend – von einer Küche, in der für die zwölfköpfige Familie und 40 Taglöhner gekocht wurde. Heute braucht man drei Quadratmeter Arbeitsfläche für ein Avocadobrot – damals reichten fünf für ein ganzes Dorf. Vielleicht sollten wir wieder lernen, mit weniger Raum mehr Nähe zu schaffen. Oder wenigstens so zu kochen, dass es für alle reicht. Vielleicht liegt in dieser Erinnerung mehr Zukunft, als uns lieb ist.